Beobachter: Es gibt Leute, die, wenn sie ein dickes Kind sehen, denken: «Wieso lassen die Eltern das zu?»

Andres Bächlin: Auf die Schuldfrage gehen wir gar nicht ein. In den meisten Fällen sind nicht die Eltern das Problem, sondern die vielen inkompetenten Ratschläge, die die Kinder von allen Seiten erhalten. Anstatt zu helfen, bewirken sie oft das Gegenteil: Die Betroffenen werden

frustriert. So isst jemand nicht einfach zu viel. Essen kann auch eine Lösung für Probleme sein. Aber es hat unerwünschte

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Nebenwirkungen und kann so wiederum zum Problem werden.

Beobachter: Wo setzen Sie an, wenn ein

dickes Kind zu Ihnen kommt?

Bächlin: Wir arbeiten immer mit der

ganzen Familie. Die Eltern müssen klare Richtlinien setzen nicht nur beim Essen, sondern auch wenn es ums Fernsehen oder ums Taschengeld geht. Innerhalb dieser Regeln muss

es aber auch Freiheiten geben, die den Genuss zulassen. So

dürfen die Kinder Schokolade

essen, aber nur sehr begrenzt und nur die allerbeste. Die Kinder müssen ihrerseits Verantwortung übernehmen. Wir erwarten, dass sie für die ganze Familie kochen, und zwar von A bis Z. Ausserdem führen wir mit den Kindern,

den Vätern und den Müttern

wöchentlich intensive Gespräche. Das ganze Programm dauert

elf Monate.

Beobachter: Die Kinder müssen sich

also in einem Mass mit sich auseinander setzen, wie das andere in ihrem Alter nicht müssen. Ist das belastend oder ein Vorteil?

Bächlin: Wenn sie in der Gruppe Gespräche führen, lernen sie schon früh, ihre Gefühle einzuordnen und zu benennen. Dabei geht es nicht nur um Hunger oder «Gluscht», sondern auch um Trauer, Freude, Aggression. Ihren Altersgenossen sind sie in dieser Hinsicht natürlich ein Stück voraus, und davon profitieren sie.

Beobachter: Auf welches Ziel arbeiten Sie hin? Sollen die Kinder ein

gewisses Gewicht erreichen?

Bächlin: Wenn mich ein Kind fragt, wie schwer es sein sollte, antworte ich jeweils: «Das weiss ich nicht.» Ich muss mit ihm zusammen

einen Weg beschreiten, bis sich das Kind in seinem Körper ganz einfach wohl fühlt. Ziel ist deshalb das «Wohlfühlgewicht» und nicht eine bestimmte Zahl.

Beobachter: Das bedingt aber, dass man sich sehr selbstbewusst von gängigen Schönheitsidealen distanziert. Für Kinder und

Jugendliche ist das besonders schwierig.

Bächlin: Die Kinder sind schon stark

beeinflusst von der Werbung. Aber das ist ein Teil des Wegs: Sie müssen lernen, sich selber

zu mögen. Es mag banal klingen, aber die Kinder müssen mit

ihrem Körper Freundschaft

schliessen. Viele sehen sich

selber nämlich viel hässlicher,

als es die anderen tun.