Editorial: Die unbequeme Frage nach dem Nutzen
Veröffentlicht am 10. März 2003 - 00:00 Uhr
Angenommen, Sie zahlen dieses Jahr 3240 Franken in eine
Lebensversicherung ein. Ob der Versicherer Ihr Kapital Gewinn
bringend anlegt, kümmert Sie nicht. Ihnen ist auch egal,
dass Sie für Zusatzleistungen zahlen, deren Sinn manchmal
zweifelhaft ist. Sie wissen, dass Ihre Prämie nächstes
Jahr wieder deutlich steigen wird. Aber selbst das lässt
Sie kalt.
Abwegige Annahmen? Nicht wenn man sie auf unser Gesundheitswesen
überträgt. 3240 Franken beträgt in diesem Jahr
die durchschnittliche Erwachsenenprämie in der Grundversicherung.
Tendenz: rasant steigend. Liegt der nächste Aufschlag
wie von den Kassen gerade angedeutet unter zehn
Prozent, dann gilt das schon als gute Nachricht. Und auf eine
Entlastung durch einkommensabhängige Prämien darf
so schnell niemand hoffen die wurden am 18. Mai mit
dem Nein zur SP-Gesundheitsinitiative deutlich abgelehnt.
Fazit: Mit Herumdoktern an der Finanzierung lässt sich
das Gesundheitswesen derzeit nicht kurieren.
Höchste Zeit also, nach dem Nutzen unserer Medizin
zu fragen: Das teuerste Gesundheitssystem Europas ist beim
Verhältnis von Aufwand und Ertrag nur Mittelmass. Zwar
verlangt das Krankenversicherungsgesetz, dass medizinische
Leistungen «wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich»
sein müssen. Was das konkret bedeutet, bleibt jedoch
offen, und wer es genauer wissen will, rührt an ein Tabu.
Für unsere Gesundheit ist das Beste gerade gut genug.
In der Tat brächte es wohl nur ein Zyniker fertig,
den Wert eines Menschenlebens zu beziffern. Doch was beim
Einzelnen zu Recht undenkbar ist das Abwägen von
Kosten und Nutzen , lässt sich auf gesellschaftlicher
Ebene nicht ewig umgehen. Welche Leistungen kann und soll
die Grundversicherung weiterhin bezahlen? Auch Therapien mit
geringen Chancen bei hohem Risiko? Oder Medikamente, für
die es billigeren Ersatz gibt? Selbst medizinische Forschung?
Wer so fragt, wird schnell mit Schlagworten wie «Rationierung»
oder «Zweiklassenmedizin» konfrontiert. Diese
dienen auch dazu, eine Diskussion über den Sinn von medizinischen
Leistungen im Keim zu ersticken. Urs Zanoni hat trotzdem nachgehakt
und berichtet in unserer Titelgeschichte (Siehe Nebenartikel)
von seinen Erkenntnissen. Er zeigt, warum absolute Gerechtigkeit
in der medizinischen Versorgung schon heute eine Illusion
ist. Und warum weniger Medizin sogar mehr Gesundheit bedeuten
kann.