Rechts, links und einmal das Geschenkband rundherum geschlagen. Nachlässig packt die alte Dame ein Päckchen zusammen. Dass sie damit früher viel sorgfältiger umgegangen wäre, fällt der 75-Jährigen nicht auf. Was sie hingegen ratlos macht, ist die Schüssel, die sie wenig später in den Händen hält: Sie will Weihnachtsguetsli machen. Aber aus welchen Zutaten? «In meinem Kopf ist alles durcheinander», wird die früher so patente Hausfrau wütend. Ein paar Jahre später kann sie sich am Abend nicht einmal mehr daran erinnern, dass sie tagsüber im Mittelpunkt eines Festes gestanden hatte – ihres 80. Geburtstags.

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«Anfangs habe ich mir die Vergesslichkeiten meiner Mutter mit dem Alter erklärt», erinnert sich die Tochter. Dennoch überzeugte sie den Hausarzt, ihre Mutter zur Untersuchung in die Memory-Klinik des Zürcher Pflegezentrums Entlisberg einzuweisen. Zufällig hatte sie, die in Zürich lebt und Mutter dreier Kinder ist, von der gerontologischen Beratungsstelle für Personen mit Gedächtnisstörungen oder anderen Hirnleistungsdefiziten erfahren. «Damals war Alzheimer kaum bekannt. Meine Mutter war die vierte Patientin im ‹Entlisberg›.»

Keine Chance auf Heilung

Heute leiden rund 110'000 Menschen in der Schweiz an einer von ungefähr 50 bekannten Formen von Demenz. Jedes Jahr kommen Zehntausende neue Fälle hinzu. All diesen Erkrankungen gemeinsam ist der unaufhaltsame Verlust der intellektuellen Fähigkeiten und der Selbstständigkeit. Unruhezustände, Ängste, Aggressionen, Lethargie, Gedächtnis- und Sprachverlust, Wahrnehmungsstörungen und Inkontinenz sind nur einige der Auswirkungen. Eine Chance auf Heilung gibt es nicht. Das Hauptrisiko für die folgenschwere Hirndegeneration ist hohes Alter.

Demenz bedeutet auch für die Angehörigen ein grosses Krankheitsrisiko. Rund zwei Drittel der Patienten werden zu Hause gepflegt. Schweizer Untersuchungen haben ergeben, dass viele der Pflegenden an Depressionen, Angstzuständen und körperlichen Gesundheitsproblemen leiden. Für viele Angehörige ist es eine Belastung, wenn die Kranken sich selber nicht mehr beschäftigen und zunehmend nicht mehr allein gelassen werden können. Die Spirale von Erschöpfung, psychischen Beschwerden und Rückzug drehe sich dann immer schneller.

«Kein eigenes Leben mehr»

So auch bei der bereits erwähnten Betroffenen. Drei Jahre lang betreute sie ihre Mutter. Einkaufen, Waschen, Haushalten versah die alte Dame anfangs noch weitgehend allein. Zettel an den Wänden erinnerten die Mutter daran, was wann wo und wie getan werden musste. Der stete Verlust der Gehirnzellen aber veränderte die Mutter: Sie vergass die Körperpflege, kaufte nur noch Süssigkeiten ein, nahm ihre Medikamente nicht regelmässig, verlor die Orientierung. «Es war sehr schwer für mich, die Respektsperson Mutter zu waschen und ihr nicht ständig zu widersprechen, wenn sie sich weigerte und behauptete, sie habe doch heute schon geduscht».

Mit der Zeit musste der Tagesablauf komplett den Eigenheiten der Mutter angepasst werden. «Von Beginn an schloss ich mich einer Angehörigengruppe an. Das gab mir viel Kraft», sagt die Tochter heute. Bald war sie dennoch am Ende. «Ich stand ständig unter Spannung, hatte kein eigenes Leben mehr.» Die Familie fand einen Heimplatz für die Oma in Wetzikon, erzählt die Tochter unter Tränen.

Kein Patentrezept

Loslassen tut weh. Oft plagen Angehörige Schuldgefühle, weil sie die Patienten in ein Heim geben. Dieser Schritt ist aber meist unausweichlich.

Nicht weniger belastend ist der Umgang mit dem Verdacht, der Lebenspartner oder ein Elternteil könnte an Demenz erkrankt sein. Den Tatsachen ist aber so schnell wie möglich ins Auge zu sehen. Denn Früherkennung ist wichtig, um eine altersbedingte Gedächtnisstörung von beginnender Demenz abzugrenzen und mögliche unterstützende Therapieangebote nutzen zu können. Allerdings: Die Tests und Untersuchungen bei Hausärzten und Spezialisten sind belastend und bedürfen meist grösster Überzeugungsarbeit beim Patienten. Eine Demenz beginnt lange bevor Angehörige Symptome bemerken. Längst haben die Kranken Strategien entwickelt, um mit Vergesslichkeiten klarzukommen. Teil der Krankheit ist, dass sie sich ihr nicht stellen.

Ein Patentrezept im Umgang mit Demenz gibt es nicht. Jede Erkrankung verläuft anders. Wenn es aber der Familie schlecht geht, geht es den Patienten doppelt so schlecht. Angehörige sollten wissen, dass die Kranken zwar ihre Urteilsfähigkeit verlieren, aber nicht ihre emotionale Wahrnehmungskraft. Ein respektvoller Umgang steht ihnen zu.

Viel Verständnis gefragt

Doch wie Geborgenheit vermitteln, wenn einen die Wut über die Starrköpfigkeit der Patienten zur Verzweiflung treibt, die Trauer darüber, nicht mehr erkannt zu werden, aggressiv macht? Experten raten, nicht gegen die Krankheit zu kämpfen, sondern sie zu akzeptieren und das pflegen, was vorhanden ist. Es mache keinen Sinn, Demenzkranken etwas ausreden zu wollen oder ihnen ihre Lethargie vorzuwerfen. Die Kranken können das nicht einordnen. Sie reagieren auf Kritik, die sie nicht verstehen, mit Angst oder Wut. Hilfreicher ist es, sie sanft zu fördern, sie auch mal in Ruhe zu lassen oder den Versuch zu wagen, die Welt der Kranken zu verstehen. Ein Blick in die Lebensgeschichte erklärt oft aktuelles Verhalten.

Und wenn der Geduldsfaden reisst, die eigene Überforderung und Isolation nur noch in gereiztes Verhalten mündet? Spätestens dann sollte man für Entlastung sorgen, sich entspannen und sich selbst auch verzeihen.

Wie man sich helfen lassen kann


Unterstützung

  • Hilfe von Angehörigen, Freunden und Nachbarn ist nur eine Entlastung, wenn alle wissen, worauf sie sich einlassen. Ein aufklärendes Gespräch über Ausdrucksformen und Veränderlichkeiten der Krankheit ist hilfreich.

  • Angehörigengruppen und -seminare, psychosoziale und psychiatrische Beratungen bieten Infos und Austausch.

  • Spitexorganisationen helfen beim Pflegen und Betreuen zu Hause.

  • Stundenweise Besuchsdienste und Spazierbegleitungen ermöglichen Angehörigen Freizeit und den kranken Menschen Abwechslung und Kontakt über die Familie hinaus.

  • Memory-Kliniken und Tagesstätten bieten therapeutische Angebote wie Alltags- und Gedächtnistraining, Turnen, Spielen.

  • Betreute Ferienangebote für Kranke und Angehörige bieten Erholung, entspannteres Beisammensein und Erfahrungsaustausch.



Finanzielle Hilfen

  • Die Unterstützungskriterien sind vielfältig. Unbedingt beraten lassen! Pro Infirmis, Pro Senectute und Gemeinden helfen weiter.

  • Der Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu AHV und IV muss angemeldet werden und besteht erstmals für den Monat, in dem das Gesuch eingereicht wird. Die Pflege durch Familienangehörige wird nur vergütet, wenn diese nachweisbar eine längere und wesentliche Erwerbseinbusse erleiden. Die Pflegebedürftigkeit muss durch ein Arztzeugnis ausgewiesen sein.

  • Die Hilflosenentschädigung AHV/IV wird in die Kategorien leicht, mittelschwer und schwer eingeteilt. Demenzkranke im Vorpensionsalter, die zu Hause leben, können je nach Schweregrad monatlich finanzielle Hilfe beantragen. Auch AHV-Bezüger haben ein Recht auf Unterstützung, allerdings sind die Beträge oft geringer. Bei Heimaufenthalt reduzieren sich die Leistungen zusätzlich. Anmeldeformulare gibt es bei den kantonalen IV-Stellen und AHV-Ausgleichskassen.

Kontaktadressen

  • Schweizerische Alzheimervereinigung, Telefon 024 426 20 00; Alzheimer-Telefon 024 426 06 06, www.alz.ch

  • ALZ Zürich, telefonische und persönliche Beratungsstelle, Telefon 043 499 88 63, www.alz-zuerich.ch

  • Stiftung Basler Wirrgarten, Telefon 061 685 91 90, www.wirrgarten.ch

  • Albert-Koechlin- Stiftung, Luzern, Telefon 041 240 70 45, www.derrotefaden.ch

  • Pro Senectute, www.prosenectute.ch

  • Pro Infirmis, www.proinfirmis.ch
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Quelle: Beobachter Edition