Der Ärger ist programmiert
Die Pflegekosten sind seit Anfang Jahr neu verteilt – je nach Kanton mit ganz unterschiedlichen Konsequenzen. Für Patienten und Steuerzahler wirds vielerorts teurer als bisher.
Veröffentlicht am 14. Januar 2011 - 16:34 Uhr
Böse Überraschung für Maria Lang*, Bewohnerin im Zürcher Pflegeheim Wiesliacher: Obwohl nur leicht pflegebedürftig, wird sie im laufenden Jahr voraussichtlich rund 10'000 Franken mehr bezahlen als 2010. Dass es für mittel bis schwer pflegebedürftige Bewohner im selben Heim günstiger wird, ist für die 90-Jährige und ihre Angehörigen ein schwacher Trost: «Dabei hiess es, für die Patienten werde es billiger.»
Solche unerwarteten Konsequenzen der neuen Pflegefinanzierung, die seit Anfang Jahr in Kraft ist, bergen Zündstoff. Darum geht es: Bund, Kantone und Krankenkassen hatten sich jahrelang davor gedrückt, die gesamten Pflegekosten über die Krankenkassenprämien zu decken, obwohl das gesetzlich klar vorgeschrieben ist. Für die Pensions- und Betreuungskosten mussten die Heimbewohner immer schon selber aufkommen. Nun werden die Pflegekosten neu auf drei Träger verteilt – auf die Krankenkassen, die Pflegebedürftigen und die öffentliche Hand.
Wer wie viel bezahlt, ist schweizweit geregelt. Die Krankenkassen bezahlen je nach Pflegebedarf bis maximal 108 Franken pro Tag. Heimbewohner müssen für 20 Prozent des Kassenbeitrags aufkommen, also höchstens Fr. 21.60 pro Tag oder 7884 Franken pro Jahr. Reicht das nicht – wie in vielen Fällen –, haben Kantone und Gemeinden die restlichen Kosten zu decken.
Wie ist es dann möglich, dass Patienten wie Maria Lang 10'000 Franken mehr bezahlen müssen als bisher? Weil die Kantone für das Gesundheitswesen zuständig sind und die Restfinanzierung selber regeln und Kosten auf die Pflegebedürftigen abwälzen können. «Jeder Kanton kann das vollziehen, was ihm aus seiner Optik am besten dient», schreibt Curaviva Schweiz, der Dachverband der Alters- und Pflegeheime.
Die Kantone rechnen aufgrund der Neuregelung damit, dass für sie Mehrkosten von rund 350 Millionen Franken entstehen. Tatsächlich wären es sogar noch einige hundert Millionen mehr. Doch um nicht die ganzen Restkosten decken zu müssen, werden in den meisten Kantonen nun Obergrenzen je nach Pflegestufe festgelegt. So akzeptiert Basel-Stadt höchstens Fr. 204.80 pro Tag, in Schaffhausen sind es Fr. 217.60 und in Zürich 418 Franken, während Solothurn mit den Beiträgen der Krankenkasse und der 20-prozentigen Patientenbeteiligung auskommen will. Schaut man sich die Durchschnittswerte der tatsächlichen Pflegekosten gemäss amtlicher Statistik für 2008 an, sind es in der höchsten Pflegestufe 295 Franken pro Tag.
Nur in Ob- und Nidwalden basiert laut Curaviva die Finanzierung auf den individuellen Kosten der Heime. Und Genf verzichtet ganz auf die Kostenbeteiligung der Heimbewohner. Aber überall dort, wo die vorgeschriebenen Tarife die effektiven Kosten nicht decken, werden sich die Heime an ihren Bewohnern schadlos halten; eine andere Wahl haben sie gar nicht.
Die Kosten werden also verschoben, auf die allgemeinen, über die eigentliche Pflege hinausgehenden Positionen «Pension», «Infrastrukturpauschale» oder «Betreuung». So kassiert etwa das Zürcher Heim Wiesliacher von Maria Lang und allen anderen Bewohnern 20 Franken pro Tag als Betreuungstaxe, und zwar unabhängig vom Pflegebedarf. Im Kanton Schaffhausen beträgt diese maximale Pauschale 28 Franken pro Pflegetag, während die Berner Pflegeheime maximal Fr. 34.55 pro Tag für die Infrastrukturkosten verlangen dürfen.
Hinzu kommt: Weil die Gemeinden oder Kantone künftig mehr für die Pflege bezahlen müssen, kürzen oder streichen einige ihre Subventionen für die Heime – eine Massnahme, die letztlich ebenfalls zu höheren Pensionspreisen und Betreuungskosten für die Bewohner führen wird.
Angesichts dieser absehbaren Entwicklung hat der Preisüberwacher den Kantonen vorgeschlagen, einen Höchstwert für die Betreuungskosten, abhängig vom Pflegepersonalaufwand, festzulegen. Mit ernüchterndem Resultat, wie es Manuel Jung, Leiter Fachbereich Gesundheit, formuliert: «Abgesehen vom Kanton Zug, wo das bereits vorher so geplant war, hat kein Kanton die Empfehlung umgesetzt.»
Jung kennt im Gegenteil mehrere Beispiele, wo die Betreuungskosten 2011 massiv überhöht ausfallen werden. Er befürchtet, «dass den Bewohnern auch künftig mehr als die gesetzlich zulässigen Pflegekosten weiterverrechnet werden, einfach unter anderen Positionen». Damit hält die neue Pflegefinanzierung nicht, was sie verspricht: Das unwürdige Schwarzpeterspiel geht für viele Betroffene weiter.