Der dreijährige Julian weiss genau, wie die 7000-Franken-Stereoanlage zu bedienen ist. Schauen die Eltern für zwei Sekunden weg, hat er auch schon eine CD von Nana Mouskouri eingelegt – Papis Lieblingssängerin!

Julian hat der CD bereits früher zwei Kratzer verpasst, unabsichtlich natürlich, Vaters Ärger war deswegen nicht kleiner. Seither hängt die Mouskouri im zweiten Lied, und für Julian gilt: Hände weg von der Stereoanlage! Aber der Kleine macht sich trotz Verbot immer wieder an das Gerät heran – und überschreitet damit eine Grenze, die ihm seine Eltern gesetzt haben. Holt ihn Mami vom Gerät weg, endet das meist in einem Getöse und für Julian oft mit einem Erfolg. Denn die Eltern lassen ihren Sprössling gewähren – und weichen bewusst dem drohenden Konflikt aus.

Damit tun sie sich und dem Nachwuchs langfristig keinen Gefallen. Besser wäre, das Kind konsequent in die Schranken zu weisen. «Eltern können nicht vermeiden, dass ein Kind einen Wutanfall bekommt, wenn sie ihm Grenzen setzen», sagt der Zürcher Kinderarzt, Erziehungspädagoge und Buchautor Remo H. Largo. Das Kind reagiere zwar frustriert. «Sie können ihm diese negativen Gefühle aber nicht ersparen.»

Doch oft fürchten Eltern die erzieherische Massnahme. Sie haben Angst, mit einem Nein oder einer bewussten Lenkung die Entwicklung der Kinder zu beeinträchtigen. Oder gar ihre Liebe zu verlieren. Largo rät, nicht willkürlich in Aktivitäten eines Kindes einzugreifen, sondern dort Grenzen zu setzen, wo ein Kind nicht kompetent ist und nicht selbst entscheiden kann. Überlassen es die Eltern ihren Sprösslingen, wann sie ins Bett gehen wollen, endet diese «Freiheit» in der Regel im Chaos. Largo: «Eine entschiedene Haltung der Eltern in den Bereichen, in denen das Kind nicht kompetent ist, erlebt es nicht als Fremdbestimmung, sondern als Sicherheit.»

Keine Befehle aus dem Hintergrund
Doch Kinder suchen Grenzen, tasten sich ständig an sie heran, überschreiten sie und beobachten, wie die Eltern reagieren. Grenzen oder Spielregeln, die menschliches Zusammenleben überhaupt ermöglichen, müssen Kinder zuerst erlernen. Sie orientieren sich von Geburt an bloss an ihren Bedürfnissen. Grenzen sollten deshalb so formuliert sein, dass ein Kind sie versteht. «Es ist entscheidend, wie Eltern ein Verbot oder eine Aufforderung an das Kind formulieren», sagt der Kinderpsychotherapeut und Sozialpädagoge Klaus Fischer von der deutschen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche. Er warnt vor einigen klassischen Fehlern:

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  • Formulieren Sie eine Aufforderung nicht als Frage: «Meinst du nicht auch, dass du genug Süssigkeiten gegessen hast?» Um nicht autoritär zu erscheinen, geben Eltern ihrem Kind eine verschwommene, unklare Botschaft. Sie hoffen insgeheim, dass es zustimmt und ein Konflikt ausbleibt. Erfolgversprechender ist eine klare Anweisung: «Ich möchte, dass du aufhörst zu naschen. Du hast genug Süsses gegessen.»
  • Geben Sie keine Befehle aus dem Hintergrund: Das Kinderzimmer gleicht einem eingestürzten Secondhand-Shop. Die Mutter ruft aus einem anderen Raum: «Räumt das Zimmer auf!» Doch die kleinen Chaoten können sehr gut einschätzen, wie ernst die Lage ist und ob es gefahrlos möglich ist, die Mutter zu überhören. Besser ist es deshalb, direkten Kontakt herzustellen. Das heisst: zu ihnen hingehen, sie allenfalls berühren und auf Augenhöhe klar sagen, was zu tun ist.


Formulieren Sie positive Anweisungen

  • Brechen Sie den Kontakt nicht zu schnell ab: Klein Moritz wirft seine Jacke stets auf den Boden. Den Eltern wird das zu bunt, sie fordern: «Häng bitte deine Jacke auf!» Wo aber befindet sich die Jacke, wenn sich Papi nach dieser Aufforderung umdreht und den Raum verlässt? Auf dem Boden! Und der Sprössling ist verschwunden. Mehr Erfolg hat, wer wartet, bis der Kleine gemacht hat, was von ihm verlangt wird. Damit unterstreicht man die Eindeutigkeit der Aufforderung.
  • Geben Sie Anweisungen, vermeiden Sie Verbote: Erwachsene sagen Kindern häufig, was sie nicht tun sollen oder was stört. Sie lenken damit die Aufmerksamkeit auf die negative Seite des Verhaltens. Die Kinder erhalten dadurch jedoch keinen klaren Hinweis, was man von ihnen eigentlich erwarten würde. Besser ist es, eine klare, positiv formulierte Anweisung zu geben: «Setz dich bitte hin!» statt: «Hample nicht so herum!»


Buchtipps

  • Remo H. Largo: «Kinderjahre»; Piper-Verlag, 2002, Fr. 18.10
  • Cloud und Townsend: «Liebevoll Grenzen setzen»; Gerth-Medien, 2001, Fr. 27.80
  • Jan-Uwe Rogge: «Kinder brauchen Grenzen»; Rororo-Verlag, 2001, Fr. 18.10


Adressen

  • Erziehungsberatungsstellen gibt es in allen Kantonen. Fragen Sie auf dem Jugendamt oder bei den sozialen Diensten Ihrer Gemeinde nach.


Elternnotrufe (24 Stunden)

  • Zug: Telefon 041 710 22 05
  • Zürich: Telefon 044 261 88 66, www.elternnotruf.ch
  • Beratungs- und Kommunikationsplattform für Menschen in schwierigen Lebenssituationen: www.kummernetz.ch