Am Anfang standen Brotsuppe mit Kümmel, Mehlpfluten und Chüngelragout. Oberstufenschüler und -schülerinnen aus dem aargauischen Muri stellten den Bewohnern zweier Altersheime Fragen zu den Ernährungsgewohnheiten von anno dazumal. Sie lernten dabei nicht nur die handwerklichen Details der Interviewtechnik kennen, sondern erfuhren auch, wie die heute Betagten in ihrer Jugend gelebt hatten.

Die Seniorinnen und Senioren ihrerseits freuten sich am Interesse der jugendlichen Gesprächspartner. Es wurden Beziehungen geknüpft, und unter Mitwirkung und Anleitung der Volkshochschule Oberes Freiamt entstand ein gemeinsames Rezept- und Begegnungsbuch über Lieblingsgerichte. Der 12-jährige Marcel bekennt darin, «dass alte Leute ganz anders sind, als ich es mir vorgestellt habe».

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Das Kochbuch aus dem Freiamt ist nur eines von vielen unkonventionellen Projekten, welche im «Generationenhandbuch» vorgestellt werden. Das Anfang Jahr erschienene Gemeinschaftswerk von Pro Juventute und Pro Senectute ist keine soziologische Studie über demographische Gesellschaftsstrukturen, sondern handelt von konkreten Beispielen: etwa von der Unterstützung, die Pensionierte stellensuchenden Jugendlichen im Welschland zukommen lassen, oder vom beeindruckenden Lerneffekt bei den Gymnasiasten, die im deutschen Stuttgart Senioren unterrichten. Etwa die Hälfte der vorgestellten Projekte stammt aus dem benachbarten Ausland. Anna Liechti, Redaktorin des Handbuchs, begründet dies damit, dass derartige Projekte in unseren Nachbarländern eine längere Tradition hätten.

Jung und Alt machen Zirkus
Wenn Jung und Alt miteinander zu tun bekommen, stellt sich oft gegenseitiges Staunen ein. Erst durch den persönlichen Kontakt realisieren junge Menschen, dass alte Leute über einen reichen Erfahrungsschatz verfügen und lustiger sind, als sie bisher annahmen. Umgekehrt müssen Betagte eingestehen, dass Kinder nicht einfach freche Gören sind, sondern begierig den Geschichten über das Leben von früher zuhören und die älteren Menschen als Mentoren schätzen.

«Zuerst fand ich es sehr merkwürdig, mit alten Menschen eine Zirkusvorstellung zu machen», gesteht die Sechstklässlerin Simone. Als Jubiläumsveranstaltung engagierte das Winterthurer Altersheim St. Urban den Mitmachzirkus Pipistrello und lud zwei Schulklassen ein, mit den Senioren ein Programm auf die Beine zu stellen. «Begeistert von der Idee waren die Schülerinnen und Schüler anfänglich nicht», erzählt der Lehrer Ernst Lanz, der mit seiner Klasse das Thema «Alter» bearbeitete, «aber die Atmosphäre entspannte sich rasch, die jungen und alten Artisten gingen einfühlsam miteinander um.» Der Lehrer ist überzeugt, dass gemeinsame Aktivitäten die Kluft zwischen den Generationen überwinden helfen.

Rentner betreuen Schulkinder
Voneinander profitieren dürfen auch die Schüler, Lehrer und Senioren, die sich in Uster ZH für das Projekt «Freiwillige Klassenhilfen» engagieren. Die Initiantin Pascale Sidler Angehrn suchte für ihre Lizenziatsarbeit ältere Frauen und Männer, die sich als Entlastung der Lehrkraft für einen wöchentlich Schulmorgen zur Verfügung stellen. Die Erfahrungen sind durchwegs positiv; dreizehn weitere Gemeinden haben die Idee der «Schulgrosseltern» bereits aufgenommen.

Der Mittelstufenlehrer Toni Trachsel ist sehr glücklich mit seiner Klassenhilfe: «Ich unterrichte 22 Kinder aus neun Nationen und bin froh, dass eine Seniorin Gedichtvorträge abhört, Französisch abfragt, mit unter- oder überforderten Kindern etwas übt. Die Kinder freuen sich immer sehr, wenn Frau Enderlin kommt; sie begleitet uns diesen Sommer sogar ins Klassenlager.»

Eine pädagogische Vorbildung ist nicht notwendig. Voraussetzung sind geistige Vitalität und, wie die engagierte Klassenhilfe Margrit Enderlin selbst meint, «Zuneigung zu den Mädchen und Buben.

Eine Grossmutterfunktion kann man auch für andere Kinder als die eigenen Enkel haben.» Die Senioren im Klassenzimmer arbeiten ehrenamtlich, somit bleibt die Klassenhilfe kostenneutral. Belohnt werden sie durch die Wertschätzung und die Zuneigung der Kinder. Margrit Enderlin ist überzeugt, dass ein solches Projekt eine Brücke zwischen den Generationen baut.

Kids besuchen Seniorenzeitung
Einblick in den Alltag von alten Menschen haben die Kinder bekommen, die im letzten Jahr die Seniorenzeitschrift «Zeitlupe» mitgestaltet haben. Während eines Reportage-Wochenendes berichteten sie über das Leben im Zürcher Altersheim «Grünau»; eine zweite Sekundarschulklasse nahm die Beziehung zu den eigenen Grosseltern unter die Lupe. Der 15-jährige Daniel schrieb zum Beispiel: «Es gibt Grossmütter, deren Hobbys nur Nähen, Bummeln, Spazieren sind. Meine ist da ganz anders, sie spielt mit mir Nintendo 64 und Fussball, und über Probleme kann ich gut mit ihr diskutieren.»

Eine differenzierte Meinung über die andere Generation erfordert Kontakt zueinander, woraus Beziehungen entstehen können. Wenn sie nicht auf natürlichem Weg zustande kommen, muss hier und dort nachgeholfen werden. Für Martin Mezger, Direktor der Pro Senectute Schweiz, sind die im Handbuch vorgestellten Praxisbeispiele ein hoffnungsvoller Anfang. Zudem soll im Herbst 2000 eine Tagung stattfinden, damit sich die einzelnen Schweizer Projekte vernetzen können.