Amtliche Erbsünde
Das Berner Regierungsstatthalteramt und ein Notar schlampen bei der Abwicklung eines Nachlasses. Den Ärger tragen die Betroffenen.
Veröffentlicht am 11. Oktober 2004 - 09:45 Uhr
Zum siebten Mal jährte sich die Hochzeit des Paars. Es sollte ein Freudentag werden, aber es kam ganz anders. «Ich fand meine Frau weinend und völlig aufgelöst zu Hause vor», erzählt Markus Kipfer. Grund für den Zustand seiner Frau war ein eingeschriebener Brief vom Regierungsstatthalteramt. Der Brief bildete den Auftakt zu einem nervenaufreibenden Rechtsstreit mit Behörden und Justiz, an dem sich die Kipfers ohne jegliches Verschulden beteiligen mussten.
Iris Kipfer wusste, dass es mit der Zahlungsmoral ihres Vaters zu Lebzeiten nicht zum Besten bestellt war. Nach seinem Tod ist sie unschlüssig, ob sie das Erbe antreten soll. Zweifeln lassen Iris Kipfer nicht nur seine Probleme mit buchhalterischen Dingen, sondern auch eine Schuldanerkennung, die der Vater wenige Monate vor seinem Tod zugunsten seiner langjährigen Lebenspartnerin unterzeichnet hat. Die Schuldanerkennung beläuft sich auf 200000 Franken und übersteigt damit das erwartete Erbe. Wird sie eingefordert, wird das Erbe zum Verlustgeschäft.
«Machen Sie ein öffentliches Inventar, dann sind Sie fein raus», rät ihr sinngemäss der Notar. Iris Kipfer folgt dem Rat und erwartet mit Spannung den Ablauf der Inventarfrist. Erst als offensichtlich keine Forderung der Lebenspartnerin eingetroffen ist, nimmt sie das Erbe an. Netto resultiert für die Kipfers eine Erbsumme von 170000 Franken – Kapital, das sie weitgehend in die Renovation ihres Wohnhauses in Spiez stecken.
Gross ist deshalb der Schock, den der Brief von Regierungsstatthalterin Regula Mader auslöst. Es sei ein Fehler passiert, schreibt Mader. Die Forderung der Lebenspartnerin über 200000 Franken sei ordnungsgemäss eingegangen, aber «fälschlicherweise nicht an den zuständigen Inventarnotar weitergeleitet worden». Kipfers hätten die Forderung über 200000 Franken zu begleichen.
Auch die Aussage des Notars, wonach man nach Durchführung eines öffentlichen Inventars «fein raus» sei, erweist sich jetzt als falsch. Selbst bei Annahme einer Erbschaft unter öffentlichem Inventar werden unverschuldet nicht geltend gemachte Forderungen nicht hinfällig. Lediglich die Haftung wird auf die Höhe des geerbten Vermögens beschränkt.
Korrektes Vorgehen war kein Schutz
Kipfers Hausumbau ist längst in vollem Gang. Der folgende Rechtsstreit zehrt zusätzlich an den Nerven. «Jedes Mal, wenn wieder Post vom Rechtsanwalt oder vom Gericht kam, krampften sich mir die Magenmuskeln zusammen», sagt Iris Kipfer. Von den Anwälten fühlt sie sich zum Abschluss eines Vergleichs gedrängt. Der Weiterzug berge, so argumentieren sie, erhebliche Prozessrisiken. Der Vergleich verpflichtet die Kipfers zur Zahlung von 160000 Franken an die Lebenspartnerin des Vaters. Im Gegenzug übernehmen die Versicherungen die Anwalts- und Gerichtskosten. Widerstrebend willigen die Kipfers schliesslich ein.
Die Behörden geben sich legalistisch: «Juristisch gesehen ist den Kipfers an sich kein Schaden entstanden. Die Ausrichtung einer Genugtuung für erlittenen Ärger sieht das Gesetz nicht vor», sagt Christian Blaser, Justizinspektor des Kantons Bern. Auch der Notar findet eine Ausrede. Er habe nicht über den Haftungsumfang orientiert, weil «die Voraussetzungen als nicht gegeben beurteilt wurden».
Und Iris Kipfer? «Wir haben alles richtig gemacht und haben trotzdem das Nachsehen!» Zurück bleiben Frust und Verbitterung.