Träumte ich denn noch, oder war es tatsächlich Realität? Schwarz auf weiss stand es im «San Francisco Chronicle», den ich im Frühstückscafé durchblätterte: Ab sofort können gleichgeschlechtliche Paare heiraten. Das war am Samstag, dem 14. Februar.

Mein Freund Peter-John Vickers und ich leben seit elf Jahren in der Schweiz zusammen. Am Vortag waren wir bei Freunden in San Francisco angekommen. Ich hatte zuvor an einem Ärztekongress teilgenommen. Jetzt wollten wir noch einige Ferientage in Kalifornien geniessen.

Der Zeitungsartikel krempelte unser Programm komplett um. Wir waren uns einig, die Chance zu nutzen. In der Schweiz können wir nur eine registrierte Partnerschaft eingehen. Hier gings um eine vollwertige Ehe mit den gleichen Rechten und Pflichten, wie sie heterosexuellen Paaren offen steht. Sofort machten wir uns auf den Weg zur City Hall, wo die Trauungen vorgenommen wurden. Eine unbeschreibliche Feststimmung erwartete uns dort – und eine riesige Warteschlange.

Alle fühlten sich als Revolutionäre
Für Hunderte von Männern und Frauen ging hier der Wunsch paarweise in Erfüllung: endlich der Partnerschaft eine feste Form zu geben! Endlich als Paar voll anerkannt werden! Besonders Paare, die seit langem zusammenleben, zum Teil zusammen Kinder erziehen, nahmen diese Gelegenheit wahr.

Eine Ungewissheit plagte Peter-John und mich: Stand das Recht auf Heirat auch Ausländern zu? Zu unserer grossen Erleichterung erhielten wir die amtliche Bestätigung noch im Laufe des Tages.

Der Entschluss des Stadtpräsidenten von San Francisco, ein eher konservativer Katholik irischer Abstammung, die gleichgeschlechtliche Ehe zuzulassen, hatte die ganze Stadt überrascht – vor allem alle Schwulen und Lesben. Wir alle, die da Schlange standen, hatten unsere Hochzeit nicht vorbereitet. Zuwarten und alles in Ruhe arrangieren kam nicht in Frage. Jetzt handeln, hiess die Devise, bevor die Bush-Administration die gleichgeschlechtlichen Ehen wieder verbietet.

Wegen des Ärztekongresses hatte ich immerhin einen guten Anzug bei mir. Improvisation war gefragt – und trug auch Früchte. Mit dem hinter uns wartenden Paar einigten wir uns, gegenseitig als Trauzeugen zu fungieren. Die beiden Männer liehen uns zudem ihre Eheringe aus.

Trotz der Warterei herrschte eine total aufgestellte Stimmung; wir alle waren von der Überzeugung beseelt, Teil einer typisch amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu sein. Wir, die Minderheit der Schwulen und Lesben, pochten auf gleiche Rechte, die uns die Verfassung garantiert, die aber in den Gesetzen nie ihren Niederschlag gefunden hat. So hatten die Schwarzen Ende der sechziger Jahre begonnen, ihre Rechte einzufordern – sie kämpften unter anderem dafür, dass Heiraten zwischen Schwarzen und Weissen auch in den Südstaaten erlaubt würden.

Wir verwirklichten unseren «american dream». Praktische Hilfe leistete die hiesige freie Marktwirtschaft. Kaum standen wir in der Schlange, tauchten erste Sandwich-, Blumen- und Getränkeverkäufer auf. Auch Pfarrer und Priester aller Religionen und Konfessionen fanden sich am Ort des Geschehens ein und boten religiöse Zeremonien fürs Seelenheil an.

Ich hatte eigentlich auch die religiösen Fundamentalisten erwartet, die mir seit einer Homo-Demonstration in Washington in unliebsamer Erinnerung sind. Doch sie sollten erst Tage später auftauchen, wie immer mit ihren Plakaten, wonach Gott die Schwulen hasse und die Christen die Familien schützen müssten. Ich kann beim besten Willen nicht einsehen, weshalb Schwulenehen eine Gefahr für die Familien darstellen sollen. Noch weniger verstehe ich, dass Christen so viel Hass verbreiten können.

Kleine Enttäuschung um fünf Uhr nachmittags: Die Verwaltung gab bekannt, dass es nicht mehr möglich sei, alle noch Wartenden zu trauen. Der Aufsteller erfolgte postwendend: Die Mitarbeiter des Zivilstandsamts erklärten sich bereit, auch am Sonntag eine freiwillige Schicht einzulegen. Wir bekamen Nummern und damit die Gewissheit, dass unsere Trauung am nächsten Tag sicher erfolgen konnte.

Das Jawort fiel auf einer Treppe
In der City Hall gings am Sonntag zu wie in einem Bienenhaus. Hunderte von Paaren drängten sich von Büro zu Büro zu Büro und liessen ihre Schriften und Pässe kontrollieren. Trotz dem Massenandrang verstand es die Verwaltung, der Trauung einen würdigen Rahmen zu geben. Auf einer Treppe im Innern des Gebäudes las uns der Mitarbeiter mit feierlicher Stimme einen Text über die Bedeutung der Ehe vor. Dann gaben wir uns das Jawort und tauschten die geliehenen Ringe aus.

Mit einem Riesenapplaus begrüsste die Menge jedes Paar, das die City Hall verliess. Hunderte von Leuten, die sich vorher nicht kannten, bildeten eine einzige Hochzeitsgesellschaft. Das wird uns in bester Erinnerung bleiben.

In der Schweiz wollen wir noch einmal mit den Eltern und Freunden feiern, kirchlich und weltlich. Ob sich in unserem Alltagsleben etwas geändert hat? Eigentlich nicht. Doch das gute Gefühl, verheiratet zu sein, ist geblieben.

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