«Ich bin halt nur Hausfrau»
Frauen in der Schweiz sind selbstbewusst und emanzipiert. Warum um Himmels willen beginnen dann so viele Gespräche auf der Beobachter-Hotline mit «Mein Mann hat gesagt»?
Veröffentlicht am 13. September 2010 - 08:37 Uhr
Dass die Frau ihr Leben voll auf den Mann ausrichtet, das war vorgestern. Heute fühlt sich der Mann manchmal ziemlich überflüssig. Frau hat ja auch noch andere Ziele. Sie will gut sein im Beruf, Geld verdienen, einen Sinn im Leben haben. Sie will ihren eigenen Kopf durchsetzen, sie will einen Partner, mit dem sie streiten kann. Sie will – und sie weiss, dass sie kann. So kennen wir das aus unserem Alltag, von unseren Freunden und Bekannten. Und dann so was: Geschichten, die man gar nicht zu Ende denken mag, weil der Fünfziger-Jahre-Mief, den sie verströmen, Kopfschmerzen bereitet.
Erste Geschichte: Endlich hat sie sich von ihrem Mann, einem Pascha und Frauenheld, getrennt. Nun ruft sie im Beobachter-Beratungszentrum an, um sich über ihre Rechte zu informieren. Plötzlich kämpft sie mit den Tränen und noch viel mehr mit ihrem schlechten Gewissen. «Wer macht ihm denn jetzt die Wäsche? Er kann das doch nicht allein», sagt sie. Man schüttelt den Kopf, weil man im ersten Augenblick nichts hat, das man dieser Logik entgegensetzen könnte. Dann denkt man die Geschichte zu Ende, und das Ende sieht vielleicht so aus: Er hat eine neue Freundin, ein neues Leben, und sie, inzwischen Exfrau, ist seine Hausangestellte. Das Schlimmste: Sie, die Exfrau, ist auch noch glücklich dabei, geht auf in ihrer Rolle.
Zweite Geschichte: Es geht um Internetabzocke. Sie hat eine dubiose Rechnung erhalten, und jetzt will sie wissen, ob sie zahlen muss. Der Beobachter-Experte erklärt ihr die Rechtslage und das geringe Risiko, in einem solchen Fall betrieben zu werden. Er empfiehlt, die Rechnung nicht zu bezahlen. Einen Tag später, dieselbe Frau: «Mein Mann hat gesagt, was Sie behaupten, stimme nicht. Nun zweifle ich natürlich auch.» «Ist Ihr Mann Jurist?» – «Er ist Maurer, aber er kennt sich aus.»
Dritte Geschichte: «Mein Mann hat meine Lebensversicherung gekündigt und sich das Geld auf sein Konto auszahlen lassen. Dazu hat er meine Unterschrift gefälscht. Mein Mann hat gesagt, er darf das. Darf er das wirklich?»
Diese Geschichten klingen, als kämen sie direkt aus Absurdistan. Dabei kommen sie alle aus dem Beobachter-Beratungszentrum, es sind echte Schweizer Geschichten, es sind typische Hotline-Gespräche, sagen die Beraterinnen und Berater. Keine Ausnahmen, sondern Alltag. Das Frauenbild, das in diesen Gesprächen aufscheint, ist deprimierend. Neulich sagte ein Berater: «Manchmal habe ich den Eindruck, unsere Frauen sind alle folgsame Huscheli.»
Sind sie natürlich nicht. Aber trotzdem: Diese Geschichten passen so nicht in die Schweiz von heute, in unseren Alltag mit gut ausgebildeten Frauen, mit eigensinnigen Politikerinnen, mit arbeitenden Müttern, mit Vätern, die zu Hause bleiben. Die Geschichten hinterlassen Ratlosigkeit.
Vierte Geschichte: Ihr Mann zahle ihr kein Taschengeld. Der Berater: «Sie haben aber ein Anrecht darauf.» Das sei ihrem Mann egal. Der Berater: «Gehen Sie zum Eheschutzgericht. Dort wird ein Richter den genauen Betrag des Taschengelds festlegen.» Also bitte schön, das sei doch viel zu extrem, das gebe nur Streit!
Taschengeld bekam man als Fünfjährige von den Eltern in die Hand gedrückt, um sich ein Eis zu kaufen. War man nicht ständig am Betteln für ein bisschen mehr Taschengeld, damals als Kind? Wie muss man sich das Leben einer erwachsenen Frau vorstellen, die um ihr Taschengeld betteln muss – in einem Land wie der Schweiz, wo drei Viertel aller Frauen zwischen 15 und 64 berufstätig sind?
Christiane Ryffel ist Soziologin und Paartherapeutin. Wie soll man solche Geschichten einordnen? Ryffel hat sich diese Frage auch gestellt, sie hat die Beispiele analysiert und sie sagt, dass es Geschichten sind über romantische Liebesideale, über Machtstrategien, über Frauenlist.
Fünfte Geschichte: «Ich habe nichts, ich bin pleite. Was soll ich machen?» Ihr neuer Freund wollte, dass sie zu ihm zog. Sie gab ihre Möbel weg, ihre Wohnung, ihr ganzes soziales Leben auf. Sie machte ihm den Haushalt, kochte, wusch. Ein paar Jahre war es wunderschön. Dann kam er miteiner neuen Freundin an, und sie musste wieder raus aus der Wohnung. Die Beraterin: «Haben Sie denn keinen Konkubinats- oder Arbeitsvertrag mit ihm?» – «Was ist das?»
«Wir Menschen haben Ideale, an denen wir uns orientieren», sagt Ryffel. Zum Beispiel haben wir das Ideal der romantischen Liebe. Es verheisst tiefes Vertrauen, möglichst wortlose Verschmelzung mit dem Partner. Wir Menschen leben aber auch in einer Realität, die allzu oft kollidiert mit unseren Idealen. Wir merken plötzlich, dass unser Partner nicht immer ganz aufrichtig ist. Oder dass die Familien- und Hausarbeit unfair verteilt ist.
Wir ahnen, dass wir mal kräftig auf den Tisch hauen, Sachen gründlich ausdiskutieren, uns informieren müssten. Die Realität stört unser Ideal, es ist ein bisschen, als ob wir plötzlich Ameisen in unserer Küche entdeckten. «Man mag das Schlimme zunächst gar nicht glauben, zweifelt lieber an sich selber als am Partner», sagt Ryffel. «Es wäre zu schmerzhaft, die idealisierte Vorstellung von der Beziehung aufzugeben.» Wir bringen unsere Zweifel zum Schweigen, so, wie wir die Ameisen, die plötzlich in unserer Küche auftauchen, töten.
Das Ideal ist in Gefahr, und die Hotline-Gespräche aus dem Beobachter-Beratungszentrum sind Momentaufnahmen verzweifelter Rettungsversuche. «Ausserdem zeigen sie», sagt die Soziologin, «wie die romantische Liebesvorstellung den Blick dafür vernebelt, dass in einer Partnerschaft auch wirtschaftliche Aufgaben und Fragen der Arbeitsteilung gelöst werden müssen.»
Man fühlt sich ertappt. Klar, diese Geschichten sind extrem. Sie sind die Spitze des Eisbergs. Und die nächste Frage lautet: Woraus besteht der Eisberg? Aus unseren eigenen Alltagsgeschichten? Womöglich sind wir dem Extrem näher, als uns lieb ist. Denn wir alle gehen unangenehmen Diskussionen in der Partnerschaft aus dem Weg, weil Diskutieren und Streiten und Sich-Anschreien nicht zur Liebe passen.
Christiane Ryffel geht noch weiter. Sie spricht von uralten Verhaltensmustern, die in diesen Geschichten zum Vorschein kommen. Verhaltensmuster, die uns alle angehen, weil sie Vorstellungen entspringen, die über Jahrhunderte eingeübt und von einer Generation in die nächste überliefert wurden. Diese Hilfsbedürftigkeit der Frauen, die beim Beobachter anrufen, widerspiegelt nichts anderes als die gesellschaftliche Realität, in der wir leben.
Eine Realität, in der Haus- und Familienarbeit immer noch mehrheitlich Sache der Frauen ist. Eine Realität, in der Frauen sich oft klein und wertlos fühlen, weil gerade diese Haus- und Familienarbeit immer noch weniger wert ist als die Erwerbsarbeit. Es ist auch eine Realität, in der die rechtliche Gleichstellung von Frauen erst wenige Jahrzehnte alt ist. «Zu jung, um in unserem Denken und Fühlen fest verankert zu sein», sagt Ryffel.
Sechste Geschichte: Es geht um die Steuererklärung. Aber das ist nebensächlich. Es könnte genauso gut um den Mietvertrag gehen oder um eine Urkunde vom Grundbuchamt oder um einen Leasingvertrag für ein Auto. Sie hat keine Ahnung, was sie da unterschrieben hat. Sie sagt: «Wissen Sie, solche Sachen erledigt mein Mann. Ich bin halt nur Hausfrau und Mutter.»
Wir waren schon so weit, zu akzeptieren, dass diese Geschichten uns alle irgendwie angehen. Aber bei Sätzen, die anfangen mit «Ich bin halt nur …», da regt sich Widerstand. «Ich bin halt nur Frau, ich kann halt nicht schreiben, ich kann halt nicht lesen, und selbständig denken kann ich auch nicht» Nein, danke, das geht zu weit.
Christiane Ryffel beschwichtigt. «Es ist eben immer noch so, in den meisten Fällen: Bekommt ein Paar Kinder, teilt sich die Welt plötzlich. In eine Aussenwelt und in eine Innenwelt», sagt sie. Die Aussenwelt, das ist demnach der Beruf, das ist die Welt des Mannes, in den meisten Fällen. Die Innenwelt, also die Familie, die Stundenpläne und Krankheiten der Kinder, der häusliche Frieden, all das wird zur Welt der Frau. «Mit der Zeit bilden sich Verantwortlichkeiten heraus, die von vielen Paaren nicht hinterfragt, sondern als gegeben betrachtet werden», sagt die Soziologin. Und sie sagt auch, dass das, was man nicht trainiert, irgendwann verkümmert. Irgendwann weiss eine Frau halt nicht mehr, wie man eine Steuererklärung ausfüllt.
Das kommt uns doch bekannt vor. Wir würden zwar nicht sagen: «Ich bin halt nur…» Aber es gibt schon Dinge, von denen wir keine Ahnung haben, weil der Partner oder die Partnerin sie immer erledigt.
Siebte Geschichte: Der Ehemann ist fremdgegangen, und seine Geliebte ist nun schwanger. Aber wer ruft im Beratungszentrum an, um sich über Alimente und Besuchsrecht zu informieren? Die Ehefrau.
Nun wirds interessant. Die Frau, das selbstlose Wesen, das sich für seinen Mann aufopfert – das ist der erste Gedanke, der einem hierzu einfällt. Aber man kann das auch anders sehen: «Die Frauen kümmern sich scheinbar selbstlos um peinliche Belange ihrer Männer. Sie bekommen aber durch die Informationen, die sie erhalten, ein Mittel in die Hand, mit dem sie die Entscheidungen ihrer Männer beeinflussen können», sagt Christiane Ryffel. Überhaupt, und das ist der Punkt, üben Frauen oft dort Macht aus, wo sie hilflos, naiv, wie Opfer wirken. «Frauen neigen eher als Männer zu verdeckten Machtstrategien», so Ryffel. «Sie weinen und beklagen sich, statt klare Forderungen zu stellen. Sie verweigern sich sexuell, hüllen sich stunden- oder tagelang in Schweigen, statt darauf zu bestehen, dass die Arbeit gerechter verteilt wird.»
Die unglaublichen und absurden Geschichten aus dem Beobachter-Beratungszentrum betreffen alle von uns ein bisschen – das Huscheli wie die moderne Frau, den Macho wie den modernen Mann. Und sie zeigen, dass die Gleichstellung der Geschlechter noch längst nicht in unserer Lebensrealität angekommen ist.