Zwar haben sich Monika und Jürg Hanselmann-Moser aus Kaisten im Fricktal nicht genau am Arbeitsplatz kennen gelernt, sondern vor 15 Jahren in den Herbstferien. Beide arbeiteten damals bei den Schweizerischen Bundesbahnen – Jürg in der Ostschweiz, Monika im aargauischen Laufenburg. Die Liebe entflammte jedoch, als sich Jürg ins Fricktal versetzen liess und zum Bahnhof Rheinfelden wechselte, wo wenig später auch Monika ihre neue Stelle antrat. «In Rheinfelden lernten wir uns erst richtig kennen. Wir unternahmen vieles gemeinsam und genossen die Zeit zusammen am Arbeitsplatz», erzählt Monika Hanselmann. Den Arbeitsort haben die beiden Bähnler inzwischen gewechselt: Jürg ist bei SBB Cargo in Basel tätig, Monika arbeitet nach der Babypause bei Change SBB.

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Der Arbeitsplatz gehört heutzutage zu den beliebtesten Kontaktbörsen überhaupt. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa lernen rund zehn Prozent der Deutschen ihren Partner am Arbeitsplatz kennen. Andere Quellen sprechen gar von 35 bis über 50 Prozent. Jede fünfte Frau zwischen 20 und 35 Jahren hatte gemäss einer Umfrage eines anderen deutschen Instituts bereits eine Beziehung im Büro. Ähnliche Zahlen dürften auch für die Schweiz gelten. «Grundsätzlich ist der Arbeitsplatz sicher ein idealer Ort, um sich allmählich besser kennen zu lernen und sich vorerst auch ohne Absichten näher zu kommen. Gerade das Verlieben ist ja dann am leichtesten, wenn es nicht erwartungsvoll angestrebt wird», erklärt Rolf Kuhn, Arbeitspsychologe von der Pervia-Organisationsberatung in Chur.

Wissenschaftlich erforscht ist das Thema bisher kaum. Und auch in der Arbeitspsychologie, an Vorträgen oder in Lehrbüchern scheint die Liebe am Arbeitsplatz noch kein Thema zu sein. Weshalb die Kontaktbörse Arbeitsplatz so erfolgreich ist, lässt sich allerdings auch ohne Forschungen erklären: In immer weniger Branchen ist der Arbeitstag auf acht Stunden beschränkt. 50- bis 60-Stunden-Wochen sind oft an der Tagesordnung. Deshalb nimmt der Arbeitsplatz immer mehr Raum im Leben ein und ersetzt häufig Freunde, Familie und Sportverein.

«Die Chance, einen Partner im Beruf kennen zu lernen, ist heute recht gross. Zum einen verbringen wir einen erheblichen Teil unserer Zeit am Arbeitsplatz und erleben dort alle Facetten des Menschseins. Zum andern sind die Umgangsformen in den Betrieben zunehmend lockerer und kollegialer geworden, und die Trennung der Geschlechter in der Arbeitswelt ist nicht mehr so ausgeprägt wie früher», sagt Kuhn. Und Morgenmuffel oder Besserwisser werden am Arbeitsplatz viel früher erkannt. Persönliche Stärken und negative Charakterzüge treten noch vor der ersten gemeinsamen Nacht offen zutage.

Vor- und Nachteile für alle

Die veränderte Rolle der Frauen trägt ebenfalls viel zum Erfolg der Kontaktbörse Job bei. Frauen sind heute aktiver denn je im Berufsleben – damit ist die passive Rolle des weiblichen Geschlechts endgültig Vergangenheit. Während früher eine Ehefrau noch stillschweigend duldete, dass ihr Mann mit seiner Sekretärin «rein dienstlich» verreiste, geht sie jetzt selbst arbeiten und flirtet im Job so heftig mit dem gut aussehenden Praktikanten, dass sich ihr Mann seine «Dienstreise» zweimal überlegt.

Je nach Branche und Organisationskultur sind die Chancen, am Arbeitsplatz einen Partner zu finden, allerdings unterschiedlich. «Ich kann mir vorstellen, dass bei personenbezogenen Dienstleistungen Paarbildungen häufiger vorkommen als in rein produktorientierten Unternehmen», vermutet Rolf Kuhn. «Das Gleiche gilt für Tätigkeiten, wo Emotionen eine wichtige Rolle spielen, wie zum Beispiel im Pflege- oder im Bildungsbereich.»

Liebesgeflüster zwischen Kantine und Aktenschrank bringt für die von Amors Pfeilen Getroffenen wie auch für ihr berufliches Umfeld Vor- und Nachteile mit sich. Verliebte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer laufen Untersuchungen zufolge im Betrieb häufig zu Höchstform auf. Sie erscheinen pünktlich und hoch motiviert zur Arbeit. «Liebe am Arbeitsplatz steigert die Leistung», ist die amerikanische Sexualforscherin Shere Hite überzeugt. Noch bis vor kurzem reagierten viele Firmen jedoch äusserst zurückhaltend auf amouröse Verbandelungen am Arbeitsplatz. Der Computerriese IBM beispielsweise sah in einer wilden Ehe unter Kollegen einen klaren Verstoss gegen die Unternehmensetikette.

Mittlerweile ist der Kurs vieler Firmen liberaler – ein gutes Arbeitsklima macht die Mitarbeiter motivierter und produktiver. Insbesondere Unternehmen mit Nachwuchssorgen stehen unter Zugzwang: Welche qualifizierte Fachkraft möchte denn schon in einem Betrieb arbeiten, in dem die Moralvorstellungen einer Klosterschule herrschen? Japanische Unternehmen machen sich den Liebeseffekt am Arbeitsplatz schon seit etlichen Jahren zunutze; sie gründeten firmeneigene Heiratsinstitute. In den USA werden die perfekt aufeinander abgestimmten Arbeitspaare mittlerweile als rentable «Dreamteams» gehandelt.

Manchmal brauchts Klärung

Vielleicht deshalb zeigen sich auch die hiesigen Arbeitgeber zunehmend von ihrer toleranten Seite: Sie haben erkannt, dass Zuneigung am Arbeitsplatz der Produktivität förderlich sein kann. «Betriebsklima und Arbeitsmotivation können durch Partnerschaften am Arbeitsplatz positiv oder auch negativ beeinflusst werden – je nach Stand der Beziehung», erklärt Axel Langer von der Financial Services Group der UBS. «Solange Arbeitsleistung und -erfolg von Mitarbeiter und Team nicht beeinträchtigt werden, sind Liebesbeziehungen am Arbeitsplatz Privatsache.»

So ganz ohne Tücken sind sie aber nicht. «Sobald Unsicherheiten über den Umgang mit vertraulichen Informationen entstehen, ist eine Klärung mit den Beteiligten nötig, andernfalls leidet das Arbeitsklima», betont Sepp Huber, Pressesprecher der Swisscom. Schwierig wird es weiter, wenn berufliche und private Interessen in Konflikt geraten. Wütende Szenen am Kopierer und der Klatsch der Kollegen tragen nicht zu einer entspannten Arbeitssituation bei. Und bei Liebeskummer wird die Atmosphäre schnell vergiftet, und die Arbeitsleistung leidet ebenfalls darunter.

Wenn das Betriebsklima leidet

Liebesbeziehungen mit Partnern verschiedener Hierarchiestufen gelten als besonders problematisch. Ein Verhältnis zum Vorgesetzten sorgt schnell für Getuschel, Neid und böse Bemerkungen. Die UBS verfolgt deshalb die Richtlinie, dass ein Partner nicht der direkte Vorgesetzte des anderen Partners sein soll. «In diesen Fällen – soweit sie bekannt sind – wird eine Versetzung eines der beiden Mitarbeiter angestrebt», erklärt Axel Langer.

Einen starken Einfluss auf das Betriebsklima haben laut Rolf Kuhn auch unerwiderte Liebesangebote und Beziehungen, die aus der Sicht des Umfelds normverletzend sind – zum Beispiel bei Beziehungen zwischen Verheirateten oder Gleichgeschlechtlichen. Kuhn: «Am dramatischsten ist der Einfluss sicher dann, wenn sich eine heimliche Dreiecksbeziehung in derselben Firma abspielt.»

Monika und Jürg Hanselmann-Moser verzichteten darauf, ihre Liebesbeziehung am Arbeitsplatz offiziell bekannt zu machen – in der Hoffnung, dass es die andern dann schon merken würden. Und sie haben es gemerkt. «Zuerst fielen lustige Sprüche, später aber kam immer häufiger Eifersucht auf, weil wir so gut miteinander auskamen», berichtet Monika Hanselmann. Aus diesem Grund liess sie sich ins benachbarte Stein-Säckingen versetzen. «Heute würden wir sicher die Vorgesetzten informieren und unsere Vorstellungen der Zusammenarbeit darlegen», meint sie. «Aber wenn man jung und verliebt ist, denkt man noch nicht daran.»