Die beiden sind sich sofort sympathisch. Am kalten Buffet kommen sie ins Gespräch, die lachenden Blicke machen aus dem gegenseitigen Interesse kein Geheimnis. Einige Gläser Prosecco später sitzen Leila und Marco (alle Namen geändert) allein auf dem Sofa. Die Party geht dem Ende zu. Jetzt einfach so auseinander gehen? Die Bekanntschaft endet im Bett. Leila ist in festen Händen, Marco für sie ein Seitensprung.

«Ich lasse mich gern erobern», sagt Leila. Die 34-jährige Akademikerin lebte acht Jahre in einer festen Beziehung. In dieser Zeit hatte sie immer wieder kurze Affären mit andern Männern. «Jedes Mal wenn der öde Alltag wieder eingekehrt war, brauchte ich den Kick.» Die Beziehung wirklich aufs Spiel setzen wollte sie zwar nicht. «Aber ich habe mich nicht gewehrt, wenn ich die Gelegenheit hatte, fremdzugehen.»

«In Umfragen geben über 90 Prozent der Interviewten Treue als Grundvoraussetzung an, damit eine Partnerschaft gelingt», sagt Guy Bodenmann, Leiter des Instituts für Familienforschung und -beratung an der Universität Freiburg. Eskapaden ausserhalb der Beziehung sind zwar bei vielen Paaren ein Tabu, aber Realität. Untersuchungen zeigen, dass rund jedes dritte Paar von Untreue betroffen ist. Der Rücklauf solcher Umfragen sei aber sehr gering, «was für eine grosse Dunkelziffer spricht», erklärt Bodenmann.

Reparaturwerkstätte fürs Ego
Dass es zum Seitensprung kommt, hat verschiedene Ursachen. Psychologin Julia Onken unterscheidet nach Geschlechtern: «Männer haben eher das Bedürfnis nach Sexualität – sie suchen die kurze Affäre, in der sie ausleben können, was in der Beziehung nicht mehr möglich ist.» Wenn sich Routine in die Beziehung einschleiche, kehre auch im Bett Stille ein. Das Kribbeln holt man sich dann anderswo.

Frauen sind tendenziell anders: «Bei ihnen hat der Seitensprung die Funktion einer Reparaturwerkstätte für ihr angeschlagenes Selbstwertgefühl», so Onken. «Frauen suchen in einer Aussenbeziehung Bestätigung und das Gefühl, begehrt zu sein. Sie wollen gefallen. Weil das Interesse des langjährigen Partners nach einiger Zeit abnimmt, fühlt sich die Frau vernachlässigt und ist offener für eine Affäre.»

Andere Gründe, die zu einem Seitensprung führen, sind beispielsweise Unzufriedenheit in der Beziehung oder ganz einfach Verliebtheit in einen neuen Partner.

Jedes Mal wenn es herauskommt, bedeutet dies einen Vertrauensbruch und eine Krise: «Ein Seitensprung löst heftige Reaktionen aus und erschüttert eine Beziehung in den Grundfesten», so Bodenmann.

Leila hat stets versucht, ihre Affären zu verheimlichen: «Ich habe ihm zum Beispiel erzählt, dass ich mit einer Freundin ein paar Tage verreise, war dann aber mit einem Mann weg.» Oft hat sie sich in diesen Lügen verstrickt, bis ihr Freund es herausgefunden hat und sie zur Rede stellte. Nach ihrem Geständnis war jeweils eine Zeit lang Sendepause. «Später haben wir uns wieder vertragen.»

Ist es passiert, stellt sich die Frage nach dem Geständnis: Soll ich es meinem Partner sagen oder nicht? Eine Sache, die sich der Betrügende gut überlegen sollte, so Onken. Zunächst gilt es zu klären, ob es sich um einen «einmaligen Ausrutscher» handelt. Wenn in der Beziehung sonst alles stimmt, sei es besser, gar nichts zu sagen und das schlechte Gewissen auszuhalten. «Spürt der Fremdgeher jedoch, dass er innerlich emigriert, sollte der Seitensprung gestanden werden.»

Was dann kommt, ist harte Arbeit für beide. Regina und Antonio haben es geschafft, sie blieben trotz seinem Seitensprung zusammen. Acht Jahre lief ihre Beziehung ganz normal. Dann verriet ein SMS Antonio. Eine Sara schrieb, wie schön die Zeit mit ihm gewesen sei. Sofort stellte Regina ihn zur Rede, doch er stritt alles ab. «Ich war so wütend!», sagt sie. Am demütigendsten fand sie, dass er sie anlog. «Ich hielt ihn einfach nicht mehr aus. Er musste ausziehen.» Eine Woche später arrangierte Regina ein Treffen zu dritt. «Er war so verblüfft darüber, dass ich Sara kennen gelernt hatte – dann endlich sprach er über die Sache; es tat ihm Leid.»

Die Affäre war für Antonio zu Ende, er wollte Regina nicht verlieren. Sie aber konnte die Partnerschaft nicht einfach so weiterführen. Die beiden haben einen kleinen Sohn, Dario. Wenn er nicht gewesen wäre, hätte Regina aufgegeben. «Ein Jahr lang musste Antonio in der Mansarde unserer Wohnung leben. Erst nach dieser Zeit und nach etwa 1000 Gesprächen haben wir wieder zusammengefunden.» Dass Dario ohne Vater aufwachsen müsste, wollte Regina auf keinen Fall. «Unsere Beziehung ist nicht mehr so unbeschwert wie früher. Es sind viele Narben geblieben.» Trotzdem ist sie überzeugt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Die beiden erwarten im September ihr zweites Kind – und haben sich wieder Treue gelobt.

Auch Silvia und Martin reden viel über ihre Beziehung. Für sie beide ist es jedoch völlig normal, dass sie sich den Freiraum geben, den der andere braucht – auch in sexueller Hinsicht. «Wenn wir zusammen sind, ist der Moment am wichtigsten», sagt Martin. «Erzählt mir Silvia von einem Seitensprung, fühle ich mich zunächst schlecht. Dann aber merke ich, dass sie ehrlich ist und ich ihre Nummer eins bin.»

Erzwungene Treue ist nicht sinnvoll
Nur jedes zehnte Paar würde sich laut Guy Bodenmann als sexuell offen definieren. «Aber auch in diesen Beziehungen können Gefühle von Eifersucht entstehen», sagt der Familienforscher.

Die 26-jährige Silvia versteht sich in der «Ausprobierphase»: «Mir ist die Freiheit sehr wichtig und ich lasse sie auch meinem Partner. Jemanden an mich binden möchte ich auf keinen Fall.» Eifersucht kennen sowohl Silvia als auch Martin. Doch was Silvia grössere Mühe bereitet, sind verschiedene Ansichten und Erwartungen. Trotzdem kann sie sich Treue in einer Zweierbeziehung vorstellen – nicht aber, wenn sie auf Regeln und gesellschaftlichen Normen basieren soll.

Auch Julia Onken hält von Verboten grundsätzlich wenig. Treue, die erzwungen wird, sei nicht sinnvoll. Den Seitensprung umgehen könne man aber über die eigene Fantasie. Denn schliesslich «sind die Gedanken frei».

Partnerinhalte
 
 
 
 

Seitensprung: Wie verarbeiten?

«Es» ist passiert

  • Wenn der Seitensprung einmalig war: Dem Partner lieber nichts sagen und das schlechte Gewissen aushalten.

  • War der Sex ungeschützt, muss der Partner in Kenntnis gesetzt werden. Kondome benutzen ist Pflicht!

  • Spätestens nach dem Geständnis ist der Zeitpunkt da, über die Ansichten bezüglich Treue zu sprechen.

  • Klarheit schaffen: Wo in der Beziehung bin ich unzufrieden? Unausgesprochenes muss auf den Tisch.


Mein Partner geht fremd

  • Heftige emotionale Reaktionen sind in der ersten Phase normal. Aber nur ruhige Gespräche bringen Sie weiter.

  • Vermeiden Sie es, Details über das Wie und Wann des Seitensprungs zu erfragen. Sie erhöhen den Leidensdruck.

  • Lassen Sie Zeit vergehen. Treffen Sie keine Entscheidungen im Affekt.

  • Für einen Neuanfang der Beziehung müssen Sie verzeihen können. Handeln Sie dann neue Abmachungen für das Zusammenleben aus.

  • Holen Sie sich professionelle Hilfe. Finden Sie zu zweit keine Lösung, kann eine Paartherapie helfen.

Buchtipps

  • Julia Onken: «Die Kirschen in Nachbars Garten»; Goldmann-Taschenbuch, Fr. 16.60

  • Bodenmann: «Stress und Partnerschaft. Gemeinsam den Alltag bewältigen»; Verlag Huber & Lang, Fr. 34.90
  • Hans Jellouschek: «Warum hast du mir das angetan?»; Piper-Verlag, Fr. 16.50