Zeit zu zweit macht glücklich
Zu Weihnachten ganz auf Geschenke zu verzichten, ist auch keine Lösung. Wer nichts einpackt oder auszupacken hat, verpasst etwas Grossartiges: ein Zeichen der Liebe. Das kostbarste, aber schwierigste Geschenk ist Zeit.
Veröffentlicht am 20. November 2014 - 09:44 Uhr
Das wertvollste Geschenk, das man machen kann, ist man selber. «Schenke mit Geist ohne List, sei eingedenk, dass dein Geschenk du selber bist», reimte Joachim Ringelnatz. Uns gibt es nur einmal auf der Welt, und Besitz haben alle mehr als genug. Genug Wein im Keller, genug CDs und Taschentücher, Socken, Krawatten, Handschuhe, Spiele, Füllfederhalter, Krimskrams, der alles verstopft. Zuerst der Stress, das Passende zu finden. «Schenken ist keine leichte Sache, eine, die viele Schwierigkeiten bringt», wusste schon der römische Philosoph Seneca. Dann, nach Weihnachten, der Stress, die lieb gemeinten Dinge wieder loszuwerden. Deshalb ist das beste Geschenk ein bisschen Zeit. Aber auch das schwierigste.
Zeit zu zweit ist ideal, denn woran es den meisten Leuten in Zeiten des materiellen Overkills mangelt, sind menschliche Beziehungen mit Anteilnahme und Aufmerksamkeit. Die deutlichsten Zeichen, dass Menschen raus aus dem sozialen Kühlschrank und rein in die wohlige Wärme der Gemeinschaft und des Zusammenlebens möchten, sind die manische Sammelei von Freunden bei Facebook, der ständige Austausch von «Was mache ich gerade?» bei Twitter oder von Lebenszeichen über Whatsapp. Wer statt der virtuellen Freundschaft nun reale Zeit mit sich selber schenkt, gibt etwas, wofür wirklich Bedarf besteht. Der andere schätzt dies umso mehr, weil er weiss, wie wertvoll die Zeit ist. Der Gutschein für ein gemeinsames Abendessen, einen Kino- oder Theaterbesuch, eine Tanzveranstaltung wird zum Hit unter dem Weihnachtsbaum.
Die Ernüchterung folgt rasch, denn in der Praxis hat das Zeitgeschenk seine Tücken. Die Beschenkte muss sich selbst Zeit nehmen, um sich die gemeinsame Zeit schenken zu lassen. Beim Blick in die Agenden, wann es denn mit dem Restaurantbesuch oder dem Ausflug klappen könnte, offenbart sich das Dilemma. Zeit, um die geschenkte Zeit zu nutzen, findet man kaum. Schon wieder Stress – einfach anders.
Also doch Taschentücher, Füllfederhalter, Seife? Nein. Die ganze Schenkerei etwas gelassener zu nehmen, ist die beste Möglichkeit, sich nicht unter Stress zu setzen. Beim Schenken kommt es nicht so sehr auf das Was an. Der Sinn des Schenkens besteht darin, dass man überhaupt etwas schenkt. Soziologen wie der Franzose Marcel Mauss, der sich schon vor 90 Jahren in seinem «Essai sur le don» mit dem Schenken beschäftigt hat, glauben, dass es quasi zur Standardausstattung des Menschen gehört. Der deutsche Soziologe Georg Simmel war überzeugt, dass eine Gesellschaft ohne Nehmen und Geben nicht bestehen kann. «Geschenke knüpfen ein soziales Netz», meint die Wiener Soziologin Elfie Miklautz in ihrem Buch «Geschenkt». «Wir schenken, um Wertschätzung zu zeigen, um eine Bindung zu unterstreichen oder Nähe auch materiell zu dokumentieren.»
Da der Akt des Schenkens selbst so wichtig ist, darf der Beschenkte das Geschenk nicht verderben. Freut er sich nicht angemessen, mäkelt er sogar an dem Geschenk herum, sorgt das für riesige Enttäuschung. Man wollte doch Freude bereiten, hat sich Mühe gegeben, das Passende zu finden. Ein abgewiesenes Geschenk ist eine grosse Beleidigung.
Jedes Geschenk verlangt ein Gegengeschenk, mit dem der Beschenkte schnell in die Klemme kommen kann. Als «Soziologie der Reziprozität» beschreiben die Soziologen Frank Adloff und Steffen Mau den Automatismus von Geben und Nehmen. Auf etwas Grosses etwas Kleines zurückzuschenken, ist schäbig. Der Betriebswirtschaftsprofessor Bernd Stauss empfiehlt in seinem Buch «Optimiert Weihnachten», als Strategie für die Bescherung an Heiligabend ein paar Variationen an Gegengeschenken in petto zu haben. Vielen ist das zu mühsam, und da ist die Idee von etwas geschenkter gemeinsamer Zeit vielleicht gar nicht so schlecht.