In der Privatschule Forum 44 im Zentrum von Aarau wird konzentriert gebüffelt – mitten in den Frühlingsferien. Die Prüfungsvorbereitungskurse in Mathematik und Französisch sind restlos ausgebucht. «Es läuft hervorragend», sagt Schulleiter Johannes Berchtold. Seit der Gründung des Instituts vor sechs Jahren steigen die Schülerzahlen stetig an, und auch die schlechte Wirtschaftslage kann dem Forum 44 nichts anhaben – «obwohl unser Angebot in den Bereich der Luxusgüter gehört». Berchtold spricht denn auch vom «Zusatzprodukt Bildung», das hier gekauft werden kann.

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Die Nachfrage ist gross. Eine möglichst hohe Schulbildung ist der Eintrittspreis für eine aussichtsreiche Berufskarriere – diese Maxime erhält in der Schweiz immer grössere Bedeutung. Davon zeugt auch die sprunghafte Entwicklung der Maturitätsquote: Holten sich 1970 erst 6440 Jugendliche das Ticket zur Hochschule, waren es im Jahr 2001 bereits 25198. Das entspricht knapp einer Vervierfachung.

Fand früher eine Selektion aufgrund der schulischen Leistungen statt, sorgen heute die Eltern mit dem Portemonnaie dafür, dass die Sprösslinge nicht vom Königsweg Matur abkommen – durch gezielte Vorbereitung, wenn eine Übertrittsprüfung ansteht, und durch individuellen Nachhilfeunterricht, wenn durch schlechte Noten eine Rückstufung droht.

Die Nachhilfe kostet viel Geld

«Diese Parallelschule ist offenbar ein Bedürfnis», sagt Beat W. Zemp, Präsident des Dachverbands der Schweizer Lehrerinnen und Lehrer, und kommentiert maliziös: «Wer im regulären Unterricht etwas versäumt hat, kauft einfach privaten Nachhilfeunterricht, um die Lücken zu stopfen.»

Das Geschäft mit der gekauften Bildung floriert. Beim Aarauer Forum 44 zum Beispiel kosten Ferienkurse je nach Dauer zwischen 250 und 500 Franken, ein massgeschneidertes Lerntraining à 20 Lektionen stolze 1150 Franken und das zehnte Schuljahr gar 16000 Franken.

«Wir sind uns bewusst, dass unsere Dienstleistungen nicht billig sind», sagt Schulleiter Berchtold, «aber viele Eltern haben heute keine Lust auf die ständigen Konflikte mit ihren Kindern wegen der Schularbeiten. Deshalb delegieren sie diese Aufgabe lieber an uns.»

Das Lernen daheim ist passé. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder in den Privatunterricht. Umso mehr, als auch die Volksschule Schwächen zeigt: Knappe Budgets, grosse Klassen und hohe Fremdsprachigenanteile erschweren den Unterricht in den öffentlichen Schulen und verunmöglichen eine individuelle Förderung.

Darum empfehlen sogar Volksschullehrer ihren Schülerinnen und Schülern, sie sollten zur Prüfungsvorbereitung ein Privatinstitut aufsuchen, da sie selber diese Leistung nicht mehr erbringen können.

Die Sicherheit wächst

Diese Erfahrung machte auch die Sechstklässlerin Jacqueline Huber (siehe Nebenartikel «Beispiel von Nachhilfeschülern»). Die Primarlehrerin sei froh gewesen, als sie gehört habe, dass Jacqueline einen halbjährigen Gymivorbereitungskurs besuche, da sie das entlaste. «Jacqueline ist eine gute Schülerin, aber allein mit dem Schulwissen muss man ein halbes Genie sein, um die Gymiprüfung zu schaffen», sagt ihre Mutter Patrizia Huber. Die 2200 Franken für den Kurs seien gut investiertes Geld gewesen – Jacqueline habe, wie zuvor schon ihre ältere Schwester Caroline, im Kurs viel gelernt und sei mit mehr Sicherheit an die Aufnahmeprüfung gegangen.

Auch im Lernstudio Zürich haben sich in diesen Wochen rund 250 Sechstklässler auf den Übertritt ins Gymnasium vorbereitet. Laut Klaus Loges, Leiter für Beratung und Förderunterricht, leisten sich Eltern aus allen Bildungsschichten die Kurse des Lernstudios, die 900 bis 4000 Franken kosten. «Der Gymibesuch ist für Eltern eine wichtige Weichenstellung für die Karriere der Kinder.» (Siehe Nebenartikel «Ausdruck des Machbarkeitswahns») Dafür verzichten weniger Begüterte auch auf Annehmlichkeiten wie Ferien oder ein neues Auto.

Jährlich rund 1,5 Milliarden Franken setzt der private Bildungsmarkt in der Schweiz heute um, und die Prognosen sind rosig. «Private Anbieter können schneller und flexibler auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagieren als die staatlichen Schulen», sagt Markus Fischer, Sekretär des Verbands Schweizer Privatschulen. Dies sei «ein enormer Vorteil», denn das Schulsystem in der Schweiz sei etwas verkrustet und könne die notwendigen Reformen nur träge umsetzen.

Den Vorteil haben aber nur jene, die beim teuren Buhlen um bessere Bildungschancen mithalten können. Kritiker sehen im Trend, die schulische Selektion über die Finanzkraft zu steuern, eine weitere Abkehr von der Chancengleichheit und eine Fortsetzung der schleichenden Privatisierung des staatlichen Schulsystems (siehe Nebenartikel «Baselland: Der Staat zahlt mit»). Silvia Grossenbacher von der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung etwa befürchtet «eine Verschärfung der sozialen Unterschiede, weil private Förderangebote für einen Teil der Bevölkerung unerschwinglich sind».

Darauf hat Jungunternehmer Massimo Barbazeni reagiert. Mit der letztes Jahr in Kleinbasel eröffneten Wissensbörse wendet sich der 32-Jährige an weniger zahlungskräftige Kunden. Die Lehrerschaft des Lerninstituts, das Nachhilfeunterricht und Hausaufgabenbetreuung vermittelt, besteht hauptsächlich aus Studenten, weshalb die Preise relativ tief sind: Eine Lektion kostet 46 Franken. «Ich habe eine Marktlücke entdeckt», meint Barbazeni.

Nach den Sommerferien will er das Angebot erweitern. Das Geschäft läuft gut: 60 Lehrkräfte unterrichten etwa 100 Schüler, jeden Monat kommen 20 neue hinzu. «Ende Jahr werden wir bei 200 Kunden sein», ist Barbazeni überzeugt.

Mehr Druck erwünscht

Eltern und Kinder schätzen das Angebot. «Für die Ausbildung unserer Kinder gibt es keine Grenzen», sagt Andrea Mercier, Informatikkursleiterin und Webdesignerin aus Arlesheim. Sohn Timi, 15, nimmt seit gut einem halben Jahr Nachhilfestunden in Mathematik, Englisch und Französisch (siehe Nebenartikel «Beispiele von Nachhilfeschülern»).

Seine Sekundarklasse sei sehr gross und der Lehrer habe keine Zeit, auf ihn einzugehen, kritisiert Timi. Anders an der Wissensbörse: Dort kümmert sich die Privatlehrerin um ihn allein und erklärt eine Aufgabe so lange, bis er sie lösen kann.

Die 14-jährige Basler Gymnasiastin Liza Schönholzer bestand neben der Mathematiknachhilfe gar auf zusätzlichen Privatstunden in Französisch, weil sie mehr Druck wollte. Sie findet ihre Lehrerin an der Kantonsschule zwar gut, aber für sie zu wenig streng (siehe Nebenartikel «Beispiele von Nachhilfeschülern»). Mutter Phyllis Schönholzer, die als Sekretärin und Kundenberaterin arbeitet, kann sich den Zusatzunterricht für ihre Tochter aber auf Dauer nicht leisten: «Liza braucht jemanden, der ihr die Tür aufmacht und das Gefühl gibt, dass sie es schaffen kann.»

Sie hofft, dass das nur für kurze Zeit nötig sei. Doch die Anforderungen an der Mittelschule seien hoch, und auf Schwächen der Schüler in einzelnen Fächern werde kaum Rücksicht genommen.

Das finden auch Sabine und Daniel Sauter, die beide im kaufmännischen Bereich tätig sind. Ihre 16-jährige Tochter Regina nimmt seit dem Eintritt ins Gymnasium vor zweieinhalb Jahren Mathematiknachhilfe im Aktiv-Lern-Center in Baar.

Mathe sei Reginas schwächstes Fach, sagt Sabine Sauter, und sie als Eltern könnten sie fachlich nicht mehr unterstützen. 85 Franken kostet die Lektion pro Woche, 340 Franken im Monat. «Das Engagement macht für uns Sinn, da Regina in den übrigen Fächern gut ist. Für unsere Tochter sind die Nachhilfestunden zu einem festen Bestandteil ihres Schulalltags geworden», sagt Sabine Sauter.

Läuft alles planmässig, wird Regina bald zur stark wachsenden Gruppe junger Leute gehören, die mit der Matura im Sack ihre beruflichen Ziele anpeilen. Gesamtschweizerisch liegt die Maturitätsquote gegenwärtig bei 18,5 Prozent; in den Agglomerationen und in der Romandie ist sie mit rund 30 Prozent noch deutlich höher.

Am ausgeprägtesten ist der Drang zur Matur in einzelnen Zürcher Gemeinden, wo über die Hälfte aller Schülerinnen und Schüler ins Gymi wollen. Oder sollen, wie das in der gut situierten Seegemeinde Zollikon an der Tagesordnung ist. «Ich bin froh um jedes Kind, das ohne private Förderung in die Mittelschule kommt», sagt Lehrer Adrian Michael, der seit 23 Jahren Schülerinnen und Schüler von der Primarschule ins Gymi begleitet. Es gehöre hier zum guten Ton, den Nachwuchs im Gymnasium zu haben. «Da besteht die Gefahr, das Kind durch forcierten Nachhilfeunterricht in eine Leistungsstufe zu drücken, in der es überfordert ist», kritisiert Michael.

Manche Zolliker leisten sich private Förderkurse quasi vorbeugend. Die zwei Kinder von Dominique und Peter Bühler etwa hatten die Primarschule ohne Probleme hinter sich gebracht und verfügten über entsprechend gute Vornoten – der Sprung in die Mittelschule wäre wohl auch ohne Hilfe gelungen. Dennoch besuchten Dennis, 16, und Carla, 13, im Küsnachter Privatinstitut Schüelerclub Prüfungsvorbereitungskurse (siehe Nebenartikel «Beispiele von Nachhilfeschülern»). «Wir wollten ihnen im Hinblick auf die neue Schulsituation Sicherheit geben. Sie sollten das Lernen lernen», sagt Dominique Bühler, Sonderklassenlehrerin und Mitglied der örtlichen Schulpflege. Den Bühlers war der private Förderunterricht jeweils rund 1000 Franken wert: «Es hat ihnen geholfen, sie kommen im Gymnasium gut zurecht.»

Das ist nicht immer so. Der Gymiboom macht den Schulen Sorgen. Die Mittelschulen platzen aus allen Nähten, zu grosse Klassen erschweren das Lernen. «Es kommen immer mehr Schüler mit geringerem Potenzial zu uns», sagt Salome Flühler, die seit zehn Jahren Deutsch am Zürcher Realgymnasium Rämibühl unterrichtet.

Flühler stellt fest, dass sie mit dem Stoff heute langsamer vorwärts kommt als vor ein paar Jahren. Das liege vor allem an den schwächeren Schülern, die mehr Zeit bräuchten, um dem Unterricht zu folgen. «Viele dieser Schüler schaffen mit professioneller Unterstützung zwar die Aufnahmeprüfung, bekommen aber bereits in der Probezeit massive Schwierigkeiten und müssen sich durch die ganze Schulzeit durchkämpfen.» Was sie erneut zu Kandidaten des privaten Bildungsmarkts macht.

Geschwächte Sekundarschule

Auch Rämibühl-Rektor Nicolas Lienert findet, dass einige der Neueintretenden in der Sekundarschule besser aufgehoben wären. Dieser würden durch das heutige Credo «Gymi um jeden Preis» zunehmend die guten Schüler entzogen, was dem Ansehen der Oberstufe schade. «Es ist ein Jammer, dass durch diese Entwicklung das bisherige Bildungssystem in Frage gestellt wird.»

Fragt sich bloss, welches. Denn der schweizerische Bildungsföderalismus äussert sich heute in nicht weniger als 26 kantonalen Schulsystemen, die sich in Bezug auf Lehrpläne, Übertritts- und Abschlussmodalitäten zum Teil grundlegend voneinander unterscheiden.

Dieser Wildwuchs ruft nun die Politik auf den Plan. In den Kantonen Basel-Landschaft, Solothurn und Bern wurden Standesinitiativen lanciert, die vom Bund eine bessere Koordination im Schulbereich verlangen. Daneben engagiert sich auch die Erziehungsdirektorenkonferenz für

eine landesweite Regelung betreffend der zu erreichenden Ziele jeweils am Ende des zweiten, des sechsten sowie des neunten Schuljahrs.

«Es muss wieder eine gewisse Ordnung in die Schweizer Bildungslandschaft kommen», sagt die SP-Grossrätin Guda Hess-Güdel, die im März mit einer Motion die Berner Standesinitiative angestossen hat. Mit der gegenwärtigen Orientierungslosigkeit schwäche sich die Volksschule selber und arbeite dadurch dem privaten Bildungsmarkt in die Hände. «Gegen diese Konkurrenz muss die Volksschule bestehen können», betont die Politikerin.

Auf die Lehrer kommt es an

Systemmängel hin, private Konkurrenz her: Auch in Zukunft wird der Erfolg der staatlichen Schule in erster Linie von der Qualität der Lehrerinnen und Lehrer abhängen. Der Thurgauer Severin Trösch, 15, ist fest entschlossen, einen Beitrag dazu zu leisten: Der Sekschüler will Oberstufenlehrer werden. Einen Teil des dazu nötigen Rüstzeugs hat er sich soeben geholt – im privaten Lernatelier der Schule für Beruf und Weiterbildung in Romanshorn: Nach dem Besuch der dortigen viermonatigen Mathematiknachhilfe hat er die Aufnahmeprüfung für die Mittelschule problemlos bestanden.

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