Vor dem Lift trifft Isabelle Herzig den Sechstklässler Simon (Namen der Betroffenen geändert). Er erzählt ihr kurz das Neuste aus der Schule, bevor die beiden von seiner Mutter Karin Müller begrüsst werden. Es ist Mittagszeit, das Essen ist bald fertig, die vierjährige Eva will bei der Zubereitung des Salats helfen, der sechsjährige Noah rennt durch das Zimmer. Sein Bruder Simon deckt derweil den Tisch. Seit einem halben Jahr ist Isabelle Herzig regelmässiger Gast bei der Familie und begleitet sie im Auftrag des pädagogisch-psychologischen Zentrums Rötel in Zürich.

Der Grund für diese Besuche liegt in der schwierigen Situation, in der sich die Mutter und die drei Kinder befinden. Oder besser: in der sie sich vor eineinhalb Jahren befanden, nachdem sich Karin Müller vom Vater der Kleinen getrennt hatte. Das Hin und Her mit verschiedenen Ämtern, die Organisation des Alltags mit Beruf und den drei Kindern - die alleinerziehende Mutter geriet immer stärker unter Druck und war mit der unstabilen Situation überfordert. «Nach einer Lungenentzündung war ich am Rand meiner Kräfte», erzählt die 35-Jährige − und auch, dass sie im Gespräch mit der zuständigen Sozialarbeiterin den Wunsch nach praktischer, erzieherischer und moralischer Unterstützung angebracht habe.

Seither ist Isabelle Herzig drei Stunden in der Woche da. Während der ersten Monate mussten viele administrative und organisatorische Dinge aufgearbeitet werden. Als etwas vom Schwierigsten erwies sich aber, eine Balance zwischen den Bedürfnissen der Kinder und jenen der Mutter zu finden.

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Diese arbeitet an drei Nachmittagen, zwei davon als Innendekorateurin in einem Geschäft meist bis halb acht Uhr, am dritten als Spielgruppenleiterin. Von Freitag bis Samstagabend sind Noah und Eva beim Vater. «Anfangs war es das Dringlichste, die Mutter zu entlasten, damit sie wieder zu Kräften kommen konnte», sagt Sozialpädagogin Herzig. Über den Arzt organisierte sie eine Spitex-Hilfe für den Haushalt. Gemeinsam mit Karin Müller suchte sie nach Möglichkeiten für mehr Freiräume. Nun geht Eva an zwei Nachmittagen in die Spielgruppe, und Noah trainiert am Mittwochnachmittag im Kinderzirkus. Natürlich habe sie damals gemerkt, dass ihr im Alltag mit Eva eine Pause gut täte, denn die Trotzanfälle der Kleinen hätten sehr viel Kraft gebraucht, sagt Karin Müller rückblickend. «Doch von mir aus hätte ich kaum gewagt, an Tagen ohne Erwerbsarbeit eine Betreuung zu beantragen.» Anfangs holte sie während der freien Stunden oft den fehlenden Schlaf nach. Positiv an der Neuorganisation war auch, dass sie nun regelmässig mit jedem Kind einzeln etwas unternehmen konnte. Das bringt Ruhe in das Leben der vier.

Regel Nummer eins: Konsequent sein
Gleichwohl geht es beim Mittagessen lebhaft zu und her. Alle drei Kinder wollen gleichzeitig Aufmerksamkeit. Die Mutter fordert sie ruhig auf, der Reihe nach zu reden. Die beiden Buben erzählen von der Schule und dem Hort, Eva will etwas aus der Küche. Karin Müller geht darauf nicht ein, sondern sagt bestimmt, dass sie jetzt zuerst fertig essen wolle. Das sind neue Töne für die Kleine. Und es ist nur eine der Strategien, die ihre Mutter mit der Familienbegleiterin entwickelt hat, um sich im Alltag besser abgrenzen zu können. Ein anderes Beispiel: Früher war das Einkaufen mit Eva für Karin Müller eine Qual. Im Geschäft seien jeweils regelrechte Machtkämpfe abgelaufen, sagt sie. Heute läuft es besser: «Ich vereinbare jetzt zum Voraus, was sie kaufen darf, zum Beispiel ein Dessert für alle. Solche Regelungen bringen viel.»

Mit der Familienbegleiterin bespricht sie auch Rückschritte. «Gestern wurde es beim Zubettgehen wieder später», erzählt Karin Müller der Familienbegleiterin. Als die mit ihrer Arbeit begann, liess sich Eva abends nur mit grosser Mühe ins Bett bringen und stand auch nachts immer wieder auf. «Ich erklärte den Kindern, dass ihre Mutter den Schlaf braucht, und zusammen erarbeiteten wir dann eine Lösung», sagt Isabelle Herzig und erklärt, wie. Sie habe aufgezeichnet, wann Noah und Eva die Zähne putzen, wann die Gutenachtgeschichte beginnt und wann das Licht gelöscht wird. «Noch geht es nicht immer reibungslos, doch Eva schläft nun durch», zieht die alleinerziehende Mutter eine Zwischenbilanz. Sie habe durch die Familienbegleitung auch gelernt, was es heisse, konsequent zu sein. Denn: «Aus meiner eigenen Kindheit hatte ich keine Erziehungsvorbilder, da galt nur totale Härte.» Das habe sie bei den eigenen Kindern nicht gewollt und ihnen wohl zu viel durchgehen lassen.

Halb zwei Uhr. Die Kleinen müssen sich bereitmachen. Ausgerechnet jetzt will sich Eva die Lippen anmalen und trotzt, als die Mutter ihr das verbietet. Auch als sich Karin Müller nicht durchsetzen kann, mischt sich Isabelle Herzig nicht ein. Solche Situationen gehörten zu einem Familienalltag einfach dazu, erklärt die Expertin. Denn: «Kinder fordern ihre Eltern immer wieder heraus.» Sie greife nur ein, wenn zum Beispiel eine Mutter die Kinder nur noch anschreie oder die Kinder sich aggressiv verhalten würden. Und: Meistens beobachte sie und bespreche danach mit den Eltern eine bestimmte Szene. Wichtig sei aber auch, Eltern in vielen Gesprächen bewusst zu machen, welches ihre Stärken sind, so Expertin Herzig.

Seit sechs Jahren führt die 50-Jährige Familienbegleitungen durch. Das Schwierigste, sagt sie, die ebenfalls Mutter dreier Kinder ist, sei das Verändern festgefahrener Alltagsmuster. Dazu seien vor allem bessere Kommunikation und ein anderer Umgang mit Konflikten nötig. «Wirklich bewegt hat sich etwas, wenn sich die Beziehungen unter den Familienmitgliedern verbessert haben und die Atmosphäre entspannter ist.» Anders als bei der «Supernanny» im Fernsehen sei diese Arbeit in der Realität aber meist ganz unspektakulär, dramatische Szenen erlebe sie in ihrem Berufsalltag denn auch selten.

Heute sind im Zentrum Rötel 250 Familienbegleitungen im Gang, die in der Regel ein Jahr dauern. Seit 1995 hat sich die Zahl verfünffacht. Einen Grund dafür sieht Isabelle Herzig darin, dass dieses Angebot heute bekannter und die Schwellenangst gesunken ist - nicht zuletzt auch dank «Super-Nanny»-Sendungen im Fernsehen. «Doch bis wirklich Hilfe in Anspruch genommen wird, braucht es meistens Druck von aussen» (siehe «Erziehungsprobleme: Wann und wo gibt es Hilfe?»). Karin Müller brachte den Vorschlag bei der Sozialhilfe ein, nachdem sie eine Kollegin darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sich die Kinder auffällig benähmen. Nach einem halben Jahr sagt die Alleinerziehende heute: «Unterdessen habe ich den Alltag wieder besser im Griff, doch die Begleitung brauche ich noch.»

Wo gibt es Familienbegleitungen?

Familienbegleitungen werden meist über Sozialbehörden vermittelt, die auch die Kosten übernehmen. Weitere Anbieter findet man beim Fachverband Sozialpädagogische Familienbegleitung Schweiz, der garantiert, dass die Mitglieder eine Fachausbildung und Erfahrung haben (www.spf-fachverband.ch).

Erziehungs-Beratung

Haben Sie Fragen zum Umgang mit Kindern? Beratungs-Hotline für Beobachter-Mitglieder:

043 444 54 08 (Mo-Fr 9 bis 13 Uhr)

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