Nie mehr Sackgeld!
Kein Taschengeld, dafür jeden Monat Geld von den Eltern auf dem Konto: Dank dem so genannten Jugendlohn lernen Teenager, mit Geld umzugehen.
Veröffentlicht am 30. Juni 2006 - 16:25 Uhr
Als ihr Sohn Lorenz mit einer Baseballkappe für 70 Franken nach Hause kam, schluckte Vanina Huber nur leer. Einmischen gilt nicht, das ist Teil der Abmachung. «Aber es war nicht leicht, mir die Vorwürfe zu verkneifen», räumt die Mutter ein. Und Vater Daniel Huber sagt: «Am liebsten hätte ich das Experiment sofort wieder abgebrochen.»
Das war vor anderthalb Jahren. Damals hatte die Familie aus St. Gallen vom herkömmlichen Sackgeld auf das Modell Jugendlohn umgesattelt: ein Betrag, den die Eltern monatlich aufs Konto ihrer Kinder überweisen und der von diesen selbstständig verwaltet wird, um damit einen Teil ihrer Lebenskosten zu finanzieren. Wie viel Geld und wofür, das ist Verhandlungssache und wird in einem Budget festgehalten. Für zusätzliche Abmachungen stellt die Familie einen Vertrag auf (siehe unten: «Auf Jugendlohn umsteigen: So gehts»).
Lorenz Huber, damals zwölf Jahre alt, war somit plötzlich Herr über monatlich 170 Franken. So viel Geld macht übermütig. «Häufig war ich schon Anfang Monat pleite», sagt Lorenz. Er habe lernen müssen, dass er den Jugendlohn nicht einfach verprassen könne wie früher das Sackgeld. Dieses habe er nach Lust und Laune ausgeben dürfen - keine Regeln, keine Auflagen.
Der Lohn hingegen ist an ein Budget gekoppelt, das die Eltern mit dem Sohn ausgehandelt haben. Lorenz muss für Kleider, Badi, Kino oder den Coiffeurbesuch selber aufkommen. Auch Geld für Geschenke, Schulmaterial oder für den Eintritt in die Kletterhalle holt er vom eigenen Konto. «Sein Übermut verflog schnell», so Vanina Huber. Der Begleitvertrag tut ein Übriges: Lorenz müsse regelmässig Schlagzeug üben, sich anständig anziehen und verlorene Gegenstände aus dem eigenen Sack berappen, steht dort. Wenn nicht, wird der Lohn gekürzt. «Unsere Aufgabe als Eltern ist es, hart zu bleiben», sagt der Vater. Nichts vorstrecken, wenn Lorenz kein Geld mehr hat - ihn dreinlaufen lassen, auch wenn man es als Eltern besser wüsste. «Sonst ist der Lerneffekt weg.»
Jugendlohn heisst auch, dass das Kind einen Schritt weg von den Eltern macht. «Loszulassen fiel uns zu Beginn nicht leicht», sagt die Mutter. Nun gehe Lorenz allein in die Stadt, um Schuhe zu posten, und frage nicht mehr als Erstes sie. Ohne Vertrauen funktioniere das nicht - Vertrauen darauf, dass Lorenz die Freiheit nicht einfach ausnutze und mit dem Geld Zigaretten oder Alkohol kaufe. «Für Härtefälle haben wir uns allerdings ein Vetorecht eingeräumt», erklärt Daniel Huber. Computerspiele etwa werden genau geprüft, bevor sie ins Haus kommen. Lorenz will nicht mehr zurück zum Sackgeld: «Endlich kann ich mein Geld selber einteilen und muss nicht mehr für jeden Kleinkram meine Eltern fragen.» Er entscheidet - und wählt auch mal den teuren Markenpulli. «Dafür gehe ich einmal weniger zum Coiffeur.»
«Wer bereits als Kind lernt, mit Geld umzugehen, hat als Jugendlicher seine Ausgaben im Griff», sagt der Zürcher Familientherapeut Urs Abt. Das kann nicht schaden in einer Zeit, in der fast jeder Fünfte zwischen 18 und 24 Jahren grosse Probleme bekundet, sein Kaufverhalten zu kontrollieren, wie die Soziologin Verena Maag in einer gesamtschweizerischen Studie aus dem Jahr 2004 herausgefunden hat. Eine Erhebung der AG für Werbemedienforschung kommt gar zum Schluss, dass jeder Vierte zwischen 16 und 25 Jahren mehr Geld ausgibt, als er sich leisten kann. «Die Eltern haben den Schuldenhorror und reagieren mit immer grösserer Kontrolle», sagt Abt. Das sei aber nicht die Lösung, wenn aus dem Kind später ein kritischer Konsument werden solle. Der Fachmann ist für weit gesteckte Leitplanken: Eltern sollen nicht als Entscheidungsträger auftreten, sondern als Lebensexperten, die dem Kind beratend zur Seite stehen.
Urs Abt, der als Erfinder des Jugendlohnmodells gilt, versteht dieses als ein Übungsfeld. Die Diskussionen um Budget und Kompetenzen seien Auseinandersetzungen über Werte und Normen. «So haben die Kinder die Möglichkeit, einen eigenen Standpunkt und eine eigene Identität aufzubauen», sagt Abt. Und die Eltern beginnen, auch ihr eigenes Konsumverhalten kritisch zu hinterfragen: «Uns wurde bewusst, dass wir grosse Ausgeber sind», erzählt Vanina Huber. Seitdem haben auch Mutter und Vater Huber ein Budget und führen Buch über ihre Ausgaben.
Ob das Modell Jugendlohn die Jugendlichen zu umsichtigen Konsumenten erzieht, ist jedoch umstritten. «Das Gegenteil ist der Fall», moniert etwa Monika Göldi, Präsidentin der Budgetberatung Schweiz: «Die Anspruchshaltung der Jungen wird mit dem Jugendlohn noch verstärkt.» Auf Lohn habe man nur Anrecht, wenn man dafür gearbeitet habe, findet Göldi. Beim Jugendlohn hätten die Kinder aber den Eindruck, das Geld stehe ihnen auch ohne Eigenleistung zu. «Wir empfehlen deshalb ein Taschengeld», sagt Göldi.
Ursula und Hans-Ulrich Weiss aus Grüningen ZH teilen die Vorbehalte der Budgetexpertin nicht. Vor zwei Jahren wechselte Sohn Raphael, 17, vom Sackgeld zum Jugendlohn. «Endlich hatte das Tauziehen ums Geld ein Ende», sagt der Vater. Zuvor habe Raphael immer häufiger mehr Geld verlangt - für die Dorfchilbi, für Disco und Kino. «Wir haben beinahe die Kontrolle verloren», erinnert sich Ursula Weiss. Nun reiche die Bemerkung: «Das fällt doch unter dein Budget» - und schon sei der Hausfrieden wiederhergestellt. Im Kopf des Sohns habe es angefangen zu arbeiten. «Er begreift allmählich, was das Leben kostet», sagt Hans-Ulrich Weiss.
Raphael nimmt die Sache ernst: «Tagsüber sammle ich die Quittungen und abends schreibe ich auf, wie viel ich wofür ausgegeben habe.» Rund 100 Franken monatlich müssen reichen - mit vier Kindern könne man keine grossen Sprünge machen, sagt der Vater. «Als wir den Jugendlohn eingeführt haben, haben wir Raphael gezeigt, wie er sich einen Batzen dazuverdienen kann.» Nun mäht er regelmässig den Rasen und hilft in der Autogarage des Vaters aus.
Vor einem Jahr hat Raphael eine Lehre als Landschaftsgärtner begonnen. Neuer Lohn, neues Budget: Hinzugekommen sind Posten wie Arbeitskleidung oder Halbtaxabo sowie eine Haushaltsabgabe an die Eltern. Der knappe Lehrlingslohn reiche für alles, sagt Raphael, sogar für die Eintritte ins Eisstadion, wenn die GCK Lions spielen. Er habe das Wirtschaften ja lang genug geübt. «Gegenüber seinen Geschwistern hatte Raphael einen klaren Startvorteil in der Arbeitswelt», so Hans-Ulrich Weiss. Die seien fürs Jugendlohnmodell bereits zu alt gewesen.
«Ideal ist ein Start mit zwölf Jahren», sagt Urs Abt. Kinder in diesem Alter hätten noch keine grossen materiellen Bedürfnisse, die Vergnügungssucht sei noch nicht zum Lebensstil geworden. «Haben sich die Kinder erst einmal an einen lockeren Umgang mit Geld gewöhnt, wird es schwierig, ihnen ein vernünftiges Verhalten beizubringen», ist der Familientherapeut überzeugt. 16-Jährige, die von ihren Eltern verwöhnt wurden, hätten wenig Freude an der Einführung des Jugendlohns. Handaufhalten sei eben bequemer als Budgetblätter und Verantwortung - zumindest vordergründig. «Tatsächlich aber untergräbt es die Würde der Kinder, wenn sie von der Geberlaune der Eltern abhängig sind», sagt Abt. In seinen Augen leisten die Kinder viel, vor allem, «wenn sie in der Pubertät ihr Ich zusammenfügen». Der Lohn ist für ihn ein Zeichen der Wertschätzung - «und für die Eltern die ökonomischere Alternative zum Sackgeld».
Seit die 16-jährige Livia Dülli aus Egg ZH Jugendlohn erhält, hat sie einen Blick für Schnäppchen und Sonderangebote entwickelt. Mit ihren Freundinnen, auch sie Jugendlohnbezügerinnen, tauscht sie Spartipps und Adressen günstiger Läden aus. Und Livias 14-jähriger Bruder Flavian braucht sein Handy nur noch für SMS, seitdem es sein eigener Lohn ist, der vertelefoniert wird: «Das Geld stecke ich lieber in ein Lehrbuch für Schlagzeug.»
«Die Verantwortung hat die Kinder preisbewusst gemacht», sagt Mutter Renata Loher Dülli. Und sparen die Kinder, profitieren auch die Eltern: Auf den ersten Blick sehe der Jugendlohn nach viel Geld aus - «trotzdem kommt er uns billiger als das Sackgeld». Wichtiger noch als der finanzielle Aspekt ist für Renata Loher Dülli jedoch die Erkenntnis, dass die Kinder Verantwortung übernehmen können. Und zwar mehr, als sie ihnen zugetraut hätte: «Ich realisiere, wie gross sie schon sind.»
Auf Jugendlohn umsteigen: So gehts
Eine Gruppe von Studierenden der Höheren Fachschule für Sozialpädagogik Luzern hat Familien bei der Einführung des Jugendlohns begleitet. Daraus ist die Arbeitsmappe «Jugend Cash» entstanden. Sie enthält eine Beschreibung des Modells Jugendlohn, Links zu Themen wie Budget und Schulden - sowie Tipps für Eltern, die das Modell umsetzen wollen. Eine Auswahl:
- Sprechen Sie mit Ihrem Kind über die Verantwortung, die Sie ihm übergeben wollen. Wichtig ist, dass auch Erwartungen, Wünsche sowie Befürchtungen und Ängste angesprochen werden. Die gegenseitigen Abmachungen können Sie in einem Vertrag festhalten.
- Überlegen Sie sich, wie viel Sie pro Jahr für Ihr Kind in jenen Bereichen ausgeben, die Sie mit dem Jugendlohn verknüpfen möchten. Teilen Sie die Summe durch zwölf. Sie haben nun den Monatsbetrag, der als Verhandlungsbasis dient. Stellen Sie ein Budget zu den Ausgaben auf, die damit bestritten werden.
- Es ist Sache des Kindes, den Lohn zu verwalten - verlangen Sie keine Rechenschaft. Das Kind soll selbstständig ein Bank- oder Postkonto eröffnen.
- Seien Sie konsequent und trauen Sie Ihrem Kind auch die Überwindung von Durststrecken zu. Besprechen Sie, wie Ihr Kind den Betrag aufbessern kann, etwa mit Hausarbeit oder einem Ferienjob.
- Setzen Sie den Jugendlohn nicht als Druckmittel ein und verknüpfen Sie ihn nicht mit Sanktionen.