«Er will nicht ins Bett»
Jeden Abend tragen wir mit unseren Buben, 6 und 9, den gleichen Kampf aus: Sie wollen nicht um halb acht Uhr schlafen gehen. Je müder die beiden sind, desto aufgedrehter benehmen sie sich und desto weniger gehorchen sie. Rolf und Susi L.
Veröffentlicht am 30. März 2004 - 13:07 Uhr
Fast alle Eltern kennen das Phänomen. Es ist Schlafenszeit, aber die Kinder wollen nicht ins Bett. Oder sie stehen plötzlich wieder im Pyjama im Wohnzimmer, haben Durst, ein seltsames Geräusch gehört oder noch eine ganz wichtige Frage an die Eltern. Diese fühlen sich genervt, denn sie möchten endlich ihren Feierabend geniessen.
Erziehen und Kinderbetreuen ist eine anstrengende Aufgabe. Daneben sollte es auch Momente geben, in denen sich die Eltern als Paar und als Liebespartner begegnen können. Wer jedes Mal auf die Wünsche des Kindes eingeht, wird allmählich zum Sklaven. Das unerwünschte Verhalten des Kindes wird durch den Erfolg, den es damit hat, öfter auftreten und verstärkt. Wer aggressiv und verständnislos reagiert, erzeugt Gegendruck und verstrickt sich mit dem Kind in einen steten Machtkampf um das Zu-Bett-Gehen.
Was ist zu tun? Ein Abendritual ist eine grosse Hilfe und wirkt präventiv. Das heisst, es kann verhindern, dass das Problem überhaupt auftritt. Immer zur gleichen Zeit, immer in derselben Reihenfolge, immer das Gleiche. Zum Beispiel: Waschen, Zähneputzen, Schlaflied oder Gutenachtgeschichte, Lichterlöschen. Kinder lieben Rituale.
Sie verschaffen den Regeln Gewicht und Nachhaltigkeit. Wichtig ist natürlich die konsequente und regelmässige Durchführung. Situationen, in denen das Ritual wegfällt, müssen klar als Ausnahmesituationen deklariert werden.
Viele Kinder setzen Einschlafen mit Alleinsein gleich
Wenn das Zu-Bett-Gehen bereits nicht mehr funktioniert, ist es wichtig, Verständnis für das Kind zu zeigen, aber die Regel trotzdem durchzusetzen. Dies soll sachlich und knapp geschehen – denn wie meine Grossmutter sagte: «Ohne Publikum kein Theater!»
Wie ist denn diese Flucht vor dem Einschlafen zu verstehen? Jedes Kind hat sicher auch individuelle Motive, aber häufig dürfte die Befürchtung eine Rolle spielen, etwas zu verpassen, wenn man ins Bett muss und andere noch wach sind. Auf einer tieferen Ebene steckt aber eine Angst hinter dem Versuch, das Zu-Bett-Gehen und Einschlafen immer weiter hinauszuschieben. Es ist die Angst vor der Verlassenheit. Zu-Bett-Gehen und Einschlafen bedeutet Alleinsein, und Kinder sind nicht gerne allein. «Die Wachenden haben eine gemeinsame Welt, doch im Schlummer wendet sich jeder ab in seine eigene», hat der griechische Philosoph Heraklit vor mehr als 2000 Jahren geschrieben. Ängstliche Leute haben deshalb Mühe mit Einschlafen. Das gilt auch für Erwachsene.
Man muss loslassen können. Das gelingt nicht, wenn man noch voller intensiver Gefühle ist. Die können positiv oder negativ sein. Begeisterung und Vorfreude können den Schlaf ebenso vertreiben wie Ärger oder Befürchtungen. Deshalb braucht es vielleicht noch ein kurzes, verständnisvolles Gespräch mit dem Kind, in dem es sein Herz ausschütten oder Dampf ablassen kann, bis Ruhe einkehrt.