Gute Spiele machen das Lernen zum Abenteuer
Das Angebot an Lernprogrammen für Kinder ist riesig. Wie die Spreu vom Weizen trennen? Experten empfehlen Lernspiele, die die Kinder mit kniffligen Aufgaben konfrontieren, ohne sie dabei aber zu überfordern.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Die zehnjährige Saskia mag das neue Programm nicht. «Das ist wie in der Schule.» Die Lernsoftware heisst «Emil und Pauline im Weltraum» und verbindet – laut Herstellerwerbung – das Angenehme mit dem Nützlichen. Mit dem Pinguin Pauline und dem Bär Emil könne man Abenteuer im Weltraum erleben und zugleich den «gesamten Lernstoff» in Mathematik und Deutsch festigen.
Doch die versprochenen «kniffligen Rätsel und spannenden Aufgaben» langweilen Saskia nur. Ihr Vater ist enttäuscht. Er hatte der Ankündigung des Verlags vertraut, wonach die «zahllosen auditiven und visuellen Lernanreize» automatisch die Motivation des Kindes weckten.
Die geschilderte Szene ist typisch. «Lernsoftware bewegt sich auf einer heiklen Gratwanderung zwischen Unterhaltung und Lernen», sagt der Kindersoftware-Experte Thomas Feibel.
Die Freizeit nicht «verschulen»
Lernen ist eine ernsthafte Tätigkeit, die mit Uben und geduldigem Wiederholen verbunden ist. Programme wie die Reihe «Emil und Pauline» oder «Secret Number», das als Detektivspiel angelegt ist, können für die Schule durchaus geeignet sein. Doch für das Spielen zu Hause taugen sie oft wenig, denn nach einem anstrengenden Schultag sollte nicht auch noch die Freizeit durch Computerprogramme «verschult» werden.
Generell gilt: Lernsoftware, die für den Unterricht konzipiert wurde, sollte von den Eltern nur ganz gezielt eingesetzt werden – etwa um in Absprache mit dem Lehrer an einer Lernschwäche zu arbeiten. Dafür geeignet sind vor allem Programme, die in einem engen Zusammenhang mit dem Unterrichtsstoff stehen und als Ergänzung zu den Schulbüchern entwickelt wurden.
Spielerisches Lernen ist gefragt
Manche Lernprogramme betten Rechen- und Deutschaufgaben in unterhaltende und interessante Spielszenen ein. Bei solchen «Edutainment»-Programmen steht die Unterhaltung klar im Vordergrund. Doch Vorsicht: Mit solchen Spielen können zwar Fertigkeiten geübt werden, eine Fehleranalyse findet jedoch nicht statt. Das macht es schwierig, gezielt Lerndefizite aufzuarbeiten und systematisch Schwächen aufzuarbeiten.
Ein gutes Beispiel für diese Art von Programmen ist die für Primarschüler konzipierte Programmreihe «Schlaue Bande». In der Ausgabe für die vierte Klasse reist eine Gruppe von Kindern nach Ägypten, um bei Ausgrabungen mitzuhelfen. Als der Professor entführt wird, müssen die Kinder ihn befreien und dazu Rätsel aus den Fächern Deutsch, Mathematik und Geografie lösen. Gleichzeitig erfahren sie eine Menge über die altägyptische Geschichte. Die Spielanlage spricht Kinder dieser Altersgruppe, die auch Abenteuerbücher wie Enid Blytons «Fünf Freunde» verschlingen, sehr direkt an. Für die Schule mit ihren 45-minütigen Lektionen allerdings ist die sehr umfangreiche Rahmenhandlung weniger geeignet.
Gute Spiele fördern die Kreativität
Ein Renner bei Primarschülerinnen und -schülern ist auch Peter Lustigs «Löwenzahn». Das Computerprogramm ist fast noch spannender als die gleichnamige Fernsehserie: Um Lustigs Bauwagen herum passiert immer etwas Spannendes: Die Kinder entdecken kleine Filme, Experimente und Spiele.
«Löwenzahn» lockt nicht mit Abenteuern und ist nicht allein auf den Computer beschränkt, sondern regt dank Bastelanleitungen zum Nachbauen und Ausprobieren an. Da lernt man zum Beispiel, ein Badewannenschiff zu bauen – oder kann auf einem Ozeandampfer auf Erkundungstour gehen.
Auch einfache Spiel-/Lernprogramme wie «Globi» haben ihren Reiz. Hier können mehrere Kinder am Computer Zahleninseln besuchen und sich dabei im Wettstreit messen. Auch Geschicklichkeitsspiele sind eingebaut: An einer Stelle müssen die Kinder etwa Haien ausweichen, um auf eine neue Insel zu kommen.
«Globi» ist besonders für kleinere Kinder geeignet, da es sehr übersichtlich und einfach aufgebaut ist. Grössere Spieler sind jedoch schon bald unterfordert: Die Lösung der immer gleichen Aufgaben wird mit der Zeit langweilig.
So finden Sie die richtige Software
Die Zahl der «Edutainment»-Programme wächst stetig – kein Wunder, tun sich viele Eltern mit dem Kaufentscheid schwer. Welches sind die wichtigsten Kriterien für gute Lernprogramme? Für Spielexperten sind folgende Eigenschaften zentral:
- Kinder sollten nicht einfach nur passiv konsumieren. Das Programm muss ihnen auch die Möglichkeit bieten, aktiv in das Geschehen am Bildschirm einzugreifen. Gute Programme konfrontieren die Spielenden immer wieder mit kleineren Aufgaben, die gelöst werden müssen.
Schlechte Programme handeln eine Geschichte linear ab. Auch wenn die Kinder immer wieder aufgefordert werden, Dinge und Personen anzuklicken, die animiert sind und etwas tun oder sagen, können solche Programme die Motivation kaum lang aufrechterhalten. - Programme sollten eine Vielzahl von Arbeits- und Lernmöglichkeiten enthalten. Definitiv out sind Puzzles und Abfragen, die mit quäkendem «Das hast du gut gemacht» kommentiert werden.
- Kinder haben vom Fernsehen und vom Gameboy her hohe Ansprüche an die grafische Gestaltung und Animation von Programmen. Lernsoftware fällt bei ihnen durch, wenn die multimedialen Möglichkeiten der Integration von Ton, Bild und Sprache schlecht ausgenützt werden.
- Verpönt ist sturer Drill. Attraktiver sind Spiele, die in interessante Geschichten und Abenteuerszenarien verpackt sind. Allerdings ist darauf zu achten, dass der Lernanspruch nicht verloren geht. Sonst kann man den Kindern gleich reine Unterhaltungsprogramme schenken – zum Beispiel die gut gemachte «TKKG»-Reihe oder die elektronische Fassung von «Hexe Lillis» Abenteuer im Königsschloss.
- Kinderprogramme sollten wie das «Globi»-Spiel mehrere Schwierigkeitsgrade anbieten. So können auch Kinder miteinander spielen, die nicht gleich alt sind. Vor allem aber «wachsen» solche Lernprogramme mit, wenn die Kinder älter werden.
- Am wichtigsten ist es aber, dass die Kinder dabei sind, wenn ein neues Programm angeschafft wird. Sie sind die Expertinnen und Experten: Sie wissen genau, welche Spiele Spass machen und welche zum Gähnen sind.
Zum Schluss ein heisser Tipp: In vielen öffentlichen Bibliotheken kann man auch Lernsoftware ausleihen. Besorgen Sie sich dort ein Programm und lassen Sie es die Kinder zu Hause ausprobieren: Leiden die Kinder nach der Rückgabe an Entzugserscheinungen, dann lohnt sich der Kauf bestimmt.