Der verkannte Regengott
Der 84-jährige Hans Hangartner kann Regen machen. Sagt er. Dass nach all seinen Einsätzen in Dürregebieten tatsächlich immer wieder Regen fiel, ist Zufall. Sagen Wissenschaftler und Politiker.
Veröffentlicht am 1. Juli 2005 - 17:16 Uhr
Noch einmal mit seiner Maschine in einem Dürregebiet wie Mauretanien oder Senegal Regen erzeugen... Noch einmal die Freudensprünge von Kindern erleben, die noch nie Regen vom Himmel fallen sahen... Noch einmal einer staunenden Welt vor Augen führen, dass er, Hans Hangartner, Denker, Tüftler und Draufgänger, das Mysterium des Regenmachens ein Leben lang ergründet hat. Er, Hans Hangartner, der Sohn eines ins rumänische Siebenbürgen ausgewanderten Schweizer Melkers und einer Rumänin, die weder lesen noch schreiben gelernt hatte.
Bei der Vorstellung, mit 84 Jahren von der Wissenschaft, der Intelligenzija, für seine einmalige und einzigartige Erfindung endlich anerkannt zu werden, entspannen sich seine Gesichtszüge. Doch bei der nächsten Vorstellung verdüstert sich sein Blick wieder: Noch einmal von Physikern als Spinner abgetan werden? Noch einmal von Politikern für sein Lebenswerk mit dem Verdikt «Hokuspokus» in die Wüste geschickt werden? Noch einmal von Entwicklungshelfern hören müssen, bei dem unverhofften Regen habe doch der Zufall Pate gestanden?
Schweigen. Aufbrausen. Erklären. Zurückblenden. Lächeln. Nachdenken. Strahlen. Erzählen: Der pensionierte Maschinenkontrolleur lebt von Erinnerungen und Visionen. Kann denn nicht sein, was nicht sein darf?
«Langsam ist mir dieses Gschtürm verleidet», sagt er im Brustton der Enttäuschung mit einem Hauch von Zuversicht. Auch seine Frau rate ihm immer, es solle jetzt mit diesem Zeug aufhören. Jetzt, da sie endlich die Annehmlichkeiten einer Eigentumswohnung geniessen können.
Doch Aufgeben ist Hans Hangartners Sache nicht: «Der Selbsterhaltungstrieb spornt mich an.» Dieser Trieb wohnt ihm von klein auf inne. Als er im Alter von zwölf Jahren mit den Eltern aus Rumänien in die Schweiz kam, herrschten Arbeitslosigkeit und Hunger. Der Vater fand keine Stelle, viel mehr als Suppe aus Huflattichblättern, Kartoffeln und Milch kam nicht auf den Tisch. In Böhmen hoffte die Familie 1936 auf ein besseres Leben, kehrte aber nach zwei Jahren enttäuscht zurück in die Schweiz. Die rumänischen Worte für Brot und Essen vergass Hangartner nie.
Die RS half beim Nachdenken
Als ihn in der RS eine Knieverletzung für Monate flachlegte, nutzte Hans Hangartner die Zeit zum Nachdenken, Lesen und Studieren. Die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt und die Hungersnöte liessen ihn, der selber in bitterer Armut aufgewachsen war, nicht mehr los. Er arbeitete sich in die Materie ein und kam zur Überzeugung, zur Bekämpfung dieser Katastrophen müsse man die Wüste begrünen: «Das war mein Ziel.» Doch dazu braucht es Wasser. Er erforschte die Natur, befasste sich mit Thermik und Verdunstungsphysik, mit Wetterkarten, Wind- und Meeresströmungen. Sicher war für ihn, dass er bei der Entwicklung eines Bewässerungssystems beim Meer ansetzen musste.
«1977 kam die Erleuchtung», besinnt er sich. Die Technik der Glaceproduktion habe ihn auf die Spur der Kältephysik gebracht: «Das war der Schlüssel.» In der Freizeit begann er, zu tüfteln und zu basteln, und konstruierte immer grössere Maschinen. Wie sein heutiges, 200 Kilo schweres Gerät aussieht und funktioniert, verschweigt er konsequent. Es existieren auch keine schriftlichen Unterlagen.
Dass nach seinen Experimenten in Marokko, Mauretanien, Israel, Indien oder im Sahel nach oft jahrelanger Dürre zur Freude der Einwohner immer Regen einsetzte, bestreitet niemand. Dass Hangartner dieses Phänomen mit seiner Maschine ausgelöst hat, will keiner so recht glauben, geschweige denn unterschreiben. Die Wissenschaftler bestehen auf Versuchen unter Laborbedingungen. So teilte ihm das geografische Institut der Universität Bern, Abteilung angewandte Klimatologie, im April 1988 mit: «Das Verfahren muss zuerst in einem Feldversuch in der Schweiz getestet werden können, um damit auch die Erfolgschancen im Ausland abschätzen zu können.» Solche Tests seien gar nicht durchführbar, entgegnet der Regenmacher, weil man die dafür notwendigen atmosphärischen Voraussetzungen nicht künstlich schaffen könne: «Man muss sich von den gängigen Vorstellungen lösen.»
So viel gibt er zu Protokoll: «Durch das Wasser, das ich in Küstennähe versprühe, erzeuge ich Aufwind. Wenn das Wasser unter den hohen Temperaturen verdunstet, steigt der Dampf mit enormer Geschwindigkeit hoch, weil die Wasserstoffatome viel leichter sind als die sie umgebende Luft. So entsteht ein Vakuum. Nun wird von unten endlich feuchte Meeresluft angesaugt. Deshalb arbeite ich immer an der Küste. Der so entstehende Wind wird noch unterstützt durch die Verdunstung, die den ganzen Prozess also zusätzlich beschleunigt. Wasserverdunstung findet immer nur an der Oberfläche statt. Damit wir eine möglichst grosse Wasseroberfläche bekommen, versprühen wir das Wasser. So hat jeder Tropfen seine eigene Oberfläche. Kurz: Die Maschine ist ein Kompressor für das Wasser.»
Physikalisch sei dieser Ablauf nachvollziehbar, bestätigt Jürg Hangartner, einer seiner Zwillingssöhne. Der diplomierte Ingenieur versteht sich als kritischer Geist und steht mit beiden Füssen auf dem Boden. Er wollte es genau wissen und arbeitete im August 1985 bei einem Einsatz in der Sahelzone mit.
Regen gegen die Meteorologen
Dabei schaute er seinem Vater ganz genau auf die Finger. «Und alle einzelnen Phasen traten genau so ein, wie sie vorhergesagt waren», erklärt der Fachhochschulabsolvent. «Nach neun Tagen regnete es tatsächlich.» Von Hokuspokus könne keine Rede sein. Vielmehr habe es den Anschein gemacht, als habe sein Vater mit seiner Methode dem angeschlagenen Ökosystem einen Anstoss gegeben, um es wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Wann und wo diese Aktivierung anzuwenden ist, dies sei das wahre Geheimnis seines Vaters.
Nach erfolgreichen Probeläufen auf Mallorca, im südlichen Tunesien, im Sinai, in Togo und Namibia versprach sich der Regenmacher vom Feldeinsatz im westlichen Sahel vor genau 20 Jahren den grossen Durchbruch. Immerhin bot das Schweizerische Katastrophenhilfskorps zu diesem Experiment Hand und begleitete das Team. Die Meteorologen hatten prognostiziert, Regen sei in nächster Zeit ausgeschlossen. Der damalige Leiter des Katastrophenhilfskorps, Edouard Blaser, liess die Umstände prüfen und besorgte auch Satellitenbilder, auf denen die Wolkenbildung klar zu erkennen war. Sein damaliger Kommentar: «Das alles kann Zufall gewesen sein, vielleicht aber auch nicht.» Für seine guten Dienste bekam Hangartner auch Lohn: Fr. 963.60, davon 200 Franken für Kleidung.
Die Entscheidungsträger in Politik, Wissenschaft und Forschung allerdings liessen diesen unkonventionellen Regenmacher fortan im Regen stehen. «Ich habe keine Lobby und keinen Titel», gibt Hangartner zu bedenken.
Edouard Blasers Nachfolger Arthur Bill lehnte 1987 eine Folgeaktion in Somalia ab mit der Erklärung: «Wie allgemein bekannt ist, wurden im Laufe der Jahre 1985 und 1986 in der ganzen Sahelzone die stärksten Niederschläge seit Jahren verzeichnet. Inwieweit dabei Ihr Gerät einen Einfluss ausübte, lässt sich leider nicht nachweisen.»
Augenzeuge dieser aussergewöhnlichen Methode des Regenmachens wurde auch der ehemalige Chinakorrespondent des «Tages-Anzeigers», Hans Boller. Er war von Hangartner und von dessen Naturanschauung fasziniert und wollte ihm die Chance für einen weiteren Versuch geben. So begleitete er 1988 zusammen mit seiner Frau organisatorisch wie journalistisch Hangartners Experiment im indischen Bundesstaat Gujarat. Im «Tages-Anzeiger» vom Mittwoch, dem 27. Juli, schrieb Boller unter dem Titel «Ein Schweizer als Regenmacher in Indien»: «Mit überschwenglicher Freude feiert die Bevölkerung den ersten richtigen Regen seit vier Jahren.»
Boller erinnert sich heute noch ganz genau, wie die ausgetrockneten Flussbette sich mit lebenspendendem Wasser füllten und von Autos nicht mehr so einfach überquert werden konnten. Behelfsmässig gebaute Hütten am Ufer mussten schleunigst evakuiert werden. In diesem Naturphänomen sieht er ein «Indiz» für Hangartners Wissen und Fähigkeit. Es sei ein eindrückliches Ereignis gewesen, fernab des Herkömmlichen. «Es ist nicht nichts», sagt der Exjournalist und weist auf die Chaosforschung und den so genannten Schmetterlingseffekt hin, wonach der Flügelschlag eines Schmetterlings in China einen Wirbelsturm über der Karibik auslösen kann.
Nicht mehr als freundliche Worte
Hans Hangartner ist hin- und hergerissen zwischen Resignation und Selbsterhaltungstrieb. «Eigentlich sollte ich nach all der Schmach und den Beleidigungen die Völker und insbesondere deren Regierungen in den Abgrund fallen lassen», sagt er. Von Politikerseite sieht er wenig Unterstützung. Wie tröstlich wenigstens, dass ihm Bundesrat Joseph Deiss vor fünf Jahren für sein weiteres unermüdliches Engagement «die erhoffte Befriedigung und die notwendige Kraft und Ausdauer» wünschte.
Und Christoph Blocher liess ihn im November letzten Jahres wissen, «die Idee, alles zu unternehmen, dass es aus diesen Ländern nicht zu Migrationsströmen kommt», sei einleuchtend. Er könne aber materiell auf sein Gesuch um Unterstützung nicht eingehen.
Auf offene Ohren stösst Hans Hangartner bei Al Imfeld, Religionswissenschaftler, Entwicklungsexperte, Journalist und Geschichtenerzähler. Der 70-jährige Innerschweizer aus dem Napfgebiet, dessen Biografie soeben erschienen ist, kennt Phänomene der Wetterbeeinflussung nicht nur aus seiner Heimat, sondern aus allen Welten und Kulturen. Und bei seinen Aufenthalten in Afrika durfte er bei verschiedenen Kleinvölkern selber an Regenritualen teilnehmen, die er in einem Erzählband beschreibt. Dem Regenmacher Hangartner attestiert er ein «besonderes Gschpüri», das sich wissenschaftlich nicht nachweisen lasse. «Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich mit ihm sofort in die Wüste reisen», sagt der renommierte Afrikakenner.
Hangartner selber hat an sich und an seinem Projekt niemals gezweifelt: «Meine Methode funktioniert so sicher wie der Lichtschalter.» Doch vorläufig soll niemand seine Maschine zu Gesicht bekommen. Er hält sie in Einzelteile zerlegt in einer Kiste versteckt. Dass er sein Geheimnis nicht preisgeben will, hat seinen guten Grund: Kontakte mit Interessenten aus dem Ausland, die hinter der Maschine einen Goldesel witterten, machten ihn misstrauisch. Er habe auch Bedenken, das Gerät könnte als Macht- und Kampfmittel missbraucht werden.
Jetzt, mit 84 Jahren, ist er bereit, seine Karten offen zu legen. Noch einmal mit seiner Maschine in einem Dürregebiet Regen erzeugen, diesmal wissenschaftlich begleitet und politisch abgestützt und unter Beizug seiner Söhne. Kommt es nicht mehr zu diesem Einsatz, steht sein Entschluss fest: Die Einzelteile finden im Alteisen ihre letzte Ruhe. Und das Geheimnis, das «Gschpüri», wo und wann die Maschine so sicher wie der Lichtschalter funktioniert, nimmt der Regenmacher mit ins Grab.