Die Zeit läuft – gegen mich
Lara Stoll, Wortakrobatin aus Winterthur, spürt Ihre Quarter-Life-Crisis, sucht Halt, Walter und ihre Flasche Jägermeister.
Veröffentlicht am 3. Januar 2012 - 08:24 Uhr
Ich glaube, das ist sie jetzt, diese Quarter-Life-Crisis. Ich spür das richtig. Die aufregende Zeit der Pubertät mit ihrem wundervollen unberechenbaren Gefühlsleben ist vorbei, jetzt gehts nur noch abwärts. Meine Organe zerfallen langsam, und als ich letzthin wieder nachgefühlt hab, ob meine Geheimratsecken weiter nach hinten gerückt sind, dachte ich, ich spür eine erste Falte! Gut, bei genauerem Betrachten wars nur eine Einbuchtung zwischen zwei Pickeln, aber das ist nur eine Frage der Zeit.
Ich muss ausbrechen aus diesem steifen Gehege. Ich muss… mir einen Sportwagen kaufen, muss ein schnelles Boot haben und mir einen viel jüngeren Freund besorgen.
Ich sehs schon vor mir, erst fahre ich mit dem Porsche GT3 bei der Gewerbeschule vor, dort such ich mir einen hübschen 18-Jährigen aus, und wir machen eine Spritzfahrt an den See, wo ich meine Eroberung an der Wakeboardvorrichtung meines Daycruisers ein bisschen durchs Wasser ziehe. Und zum Schluss gehen wir golfen.
Ich hab das dann gemacht, na ja, ich hab natürlich nicht so viel Geld, deshalb hab ich mir statt des Porsches halt das Elektrobike meiner Nachbarin ausgeliehen. Damit konnte ich an der Gewerbeschule leider nicht mal einen der Streber beeindrucken, stattdessen bin ich dann zur Sonderschule geradelt, wo ein betrunkener Problemschüler auf dem Gepäckträger Platz nahm. Ans Wakeboarden war mit dem lallenden Kleinen nicht zu denken, und der Tag endete beim Minigolf, als er mit seinem Mageninhalt bei Loch 5 seinen einzigen Treffer landete.
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Hilfesuchend wandte ich mich ans Internet. Beim Googeln meiner Krise stellte ich dann überraschend fest, dass es sich bei einer Quarter-Live-Crisis ja um völlig andere Probleme handelt. Sinnkrise kurz VOR oder NACH dem Studienabschluss. Aha. Jaaa! Ich hab zwar erst grad mit dem Studium angefangen, aber ich spür das schon richtig.
Orientierungs- und Haltlosigkeit, ganz genau. Drück mir eine Karte in die Hand, und ich esse sie unverzüglich auf, weil ich sonst nichts damit anzufangen weiss. Und die Haltlosigkeit! Als ob ich jemals irgendwann Halt finden würde! Wo ist denn der Halt?! Und wo ist Walter?! Und wo meine Flasche Jägermeister?! Ich weiss überhaupt nicht mehr, wohin mit mir!
Ich wurde von meinen Eltern einfach viel zu sehr verhätschelt. Ich bin jetzt ein verweichlichtes Opfer unserer Gesellschaft, wenn einen halt niemand auf die harte Realität vorbereitet. Als junger Erwachsener kann man heutzutage alles machen und alles werden, was man will! Wie soll man sich denn da entscheiden?! Das ist so unfair!
Aber da muss ich jetzt wohl einfach durch, und spätestens wenn ich dreissig werde, wird sicher alles viiiel besser. Das sieht man ja deutlich bei Ihnen.
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