Krippenplatz für alle
Luzern macht gute Erfahrungen mit Betreuungsgutscheinen für Kinderkrippen und Tagesmütter. Doch das Pilotprojekt findet nur wenig Nachahmer.
Veröffentlicht am 13. April 2010 - 09:06 Uhr
Frohe Botschaft aus Luzern: Hier muss niemand mehr auf Krippenplätze warten. Als erster Ort in der Schweiz hat die Stadt Betreuungsgutscheine eingeführt. Das heisst: Eltern können für jedes Kind im Vorschulalter eine Gutschrift beantragen. Diese können sie in der Krippe ihrer Wahl oder bei einer Tagesmutter einlösen – sofern diese von der Stadt anerkannt ist. Wie viel die Eltern von der Stadt bezahlt bekommen, hängt von Einkommen, Vermögen und Arbeitspensum ab.
«Nun bekommen alle Eltern Unterstützung und können sich die Betreuung leisten, die ihnen passt», sagt Regula Wyrsch. Sie leitet in Luzern das Pilotprojekt (siehe Box weiter unten). «Vorher waren die verbilligten Plätze stets ausgebucht.» Bevor die Betreuungsgutscheine eingeführt wurden, subventionierte Luzern wie die meisten Schweizer Gemeinden eine begrenzte Anzahl Krippenplätze. Abhängig vom jährlichen Einkommen wurde damals berechnet, ob eine Familie Anrecht auf einen subventionierten Platz hat. Waren alle Plätze ausgebucht, kam das Kind auf eine Warteliste. Die Wartezeit für einen Platz in einer Kindertagesstätte betrug einige Wochen bis mehrere Monate. Nun entfällt das Warten, und das Betreuungsangebot hat sich in den letzten zwei Jahren beinahe verdoppelt.
Was in Luzern Vergangenheit ist, bleibt an vielen Orten aktuell: Während die subventionierten Plätze überbucht sind, haben die Krippen, die nicht von der öffentlichen Hand unterstützt werden, oft Mühe, ihre Plätze zu füllen. Den vollen Betreuungstarif – diesen bestimmen die Krippen selber, er beträgt in der Regel um die 120 Franken pro Tag – können sich nur wenige Eltern leisten. So werden vor allem Familien mit mittlerem Einkommen benachteiligt: Für einen subventionierten Platz verdienen sie zu viel, für einen Platz zum normalen Tarif aber fehlt das Geld. «Mit den Betreuungsgutscheinen haben wir eine gerechtere Lösung», sagt die Luzerner Projektleiterin Regula Wyrsch. «Nun haben alle Krippen die gleiche Ausgangslage.»
Für die Eltern heisst das, sie können eine Krippe wählen, die nahe beim Wohnort liegt, oder sie können ihre Kinder in einer Krippe mit einer besonderen pädagogischen Betreuungsform unterbringen, zum Beispiel mit einem besonderen Säuglingskonzept oder in einer Krippe, die fremdsprachig geführt wird. Der Wettbewerb unter den Institutionen für die familienexterne Kinderbetreuung ist lanciert. Die Befürchtung, dadurch entstehe ein Zwei-Klassen-Betreuungssystem, also Krippen für Arbeiterkinder und solche für Ärztekinder, soll sich nicht bewahrheitet haben: «Unterschiede gab es schon vor dem Systemwechsel», sagt Wyrsch. Weder lösen finanziell Schlechtergestellte ihre Gutscheine nur in billigeren Krippen ein, noch beschränkten sich Eltern mit höherem Einkommen auf teurere Lifestyle-Krippen.
Obwohl Luzern positive Erfahrungen mit den Betreuungsgutscheinen macht und eine Rückkehr zum alten System kein Thema ist, gibt es bisher wenig Nachahmer. Horw und Hochdorf haben sich am Stadtluzerner Projekt angeschlossen; die Stadt Bern hat diesen Februar entschieden, Gutscheine einzuführen.
Ein Thema sind die Betreuungsgutscheine an vielen Orten. Meist wartet man aber die Resultate des Pilotprojekts in Luzern ab. Es läuft noch bis Ende 2011. Andernorts scheitert ein Wechsel an politischem Widerstand, zum Beispiel in der Gemeinde Köniz BE und in der Stadt Neuenburg. Meist befürworten bürgerliche Parteien die Gutscheine, weil da, wo der Markt spiele, elternfreundlichere Angebote entstünden. Linke Kreise hingegen warnen vor einer Liberalisierung: Qualitätseinbussen bei der Betreuung und eine unsoziale Verteilung der Gelder seien die Folge.
Die Gutscheine haben denn auch gewisse Nachteile. Das Geld für die familienexterne Kinderbetreuung wird nun breiter verteilt. Und wenn ein Kuchen auf mehr Leute verteilt wird, werden die Stücke kleiner: «Manche Eltern können ihr Kind jetzt nur noch drei statt wie bisher vier Tage in die Krippe geben», sagt Wyrsch. Für Härtefälle, in Luzern sind es etwa 150 von fast 370 Familien, hat man Übergangslösungen eingeführt. Das kostet: Luzern gibt heute mehr Geld für die familienexterne Tagesbetreuung aus.
Wohl am stärksten spüren die ehemals subventionierten Krippen die Veränderung. Sie können nicht mehr auf gesicherte Einnahmen zählen, sondern müssen sich auf einem Markt behaupten. «Wir sind finanziell ins Abseits geraten», sagt René Brun, Präsident der Luzerner Kita Frohheim. Vor der Einführung der Betreuungsgutscheine waren 32 der 38 Plätze im Frohheim subventioniert und ausgebucht. Nun fehlt diese sichere Grundlage. «Um die freien Plätze zu füllen, mussten wir flexibler werden», sagt Brun. Nach einem Jahr habe sich die Situation nun aber beruhigt. Das sei jedoch nicht allen Betreuungsstätten gelungen.
«Ob der Wettbewerb für eine nachhaltige Entwicklung der Betreuungssituation wirklich gut ist, ist fraglich», sagt Ulla Grob Menges vom Verband der Kindertagesstätten der Schweiz (KiTaS). In der Praxis sei es schwierig, bisher subventionierten Krippen das Geld wegzunehmen. Und es sei wichtig, dass bei einer Umstellung auf Betreuungsgutscheine genug Geld bereitstehe, damit wirtschaftlich schwächere Familien diese auch erhalten. Sicher ist: «Mit den Gutscheinen kann man kein Geld sparen», sagt Grob. Sie ist aber überzeugt: «Über kurz oder lang wird man mehr in die familienexterne Kinderbetreuung investieren müssen. Egal, mit welchem System.»
Das Luzerner Pilotprojekt
In der Stadt Luzern können Eltern und Alleinerziehende seit dem 1. April 2009 Betreuungsgutscheine für Kinder im Vorschulalter beantragen. Bedingung ist, dass ihr Einkommen zwischen 20'000 und 100'000 Franken liegt (bei Kindern bis 18 Monate bis 124'000 Franken). Der Wert des Gutscheins ist einkommensabhängig. Die Differenz zwischen den Kosten eines Platzes und der Höhe des Betreuungsgutscheins müssen die Eltern selber berappen, mindestens aber 15 Franken pro Tag.
Die Kosten inklusive Übergangsfinanzierungen betrugen bis Ende 2009 fast 1,6 Millionen Franken. Vor der Einführung waren in Luzern 147 von 393 Betreuungsplätzen subventioniert, verteilt auf fünf Krippen. Heute können Eltern in 39 Krippen und bei der Tageselternvermittlung Betreuungsgutscheine einlösen. 17 der Kindertagesstätten befinden sich in der Agglomeration. Wie viele Gutscheine vergeben werden, hängt von der Nachfrage ab.
Informationen: www.betreuungsgutscheine.stadtluzern.ch