Kinderspielplätze: Herumtoben nur auf eigene Gefahr
Fehlplanungen und Nachlässigkeit auf Spielplätzen: Jährlich verunfallen 5000 Kinder. Der Beobachter sah sich in Bern und Zürich um – eine düstere Bilanz.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
Zerrissene Seile, löchrige Rutschbahnen, hervorstehende Schrauben und ein viel zu harter Bodenbelag unter den Klettergerüsten: Das ist die ernüchternde Bilanz eines Beobachter-Rundgangs auf öffentlichen Spielplätzen in Zürich und Bern. Dazu kommen verkotete Sandkästen. Betrachtet man also die Spielplätze unter Aspekten der Sicherheit und der Hygiene, besteht Anlass zur Besorgnis.
Schuld daran sind vor allem zwei Dinge: Gedankenlosigkeit bei der Planung und Nachlässigkeit bei der Wartung der Spielplätze. Laut einer Studie der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BfU) verunfallen jährlich rund 5000 Kinder auf Spielplätzen so schwer, dass sie ärztliche Hilfe brauchen.
«Viele dieser Unfälle könnten problemlos verhindert werden, wenn die Spielplätze kindergerecht gebaut und regelmässig kontrolliert würden», sagt Manfred Engel, Experte der BfU. Der Fachmann hat den Beobachter auf seinem Rundgang begleitet und die Spielplätze auf die Vorgaben der auch in der Schweiz gültigen Euronorm hin geprüft.
Die Norm beschreibt, wie Kinderspielplätze gebaut werden sollten. «Mit diesen Empfehlungen sollen Kinder vor schweren Unfällen geschützt werden», sagt BfU-Experte Engel. «Bei der Beurteilung eines Schadenfalls kann sich ein Richter auf die Norm stützen. Sie zeigt den neusten Stand der Technik.» Bei Mängeln an den Geräten kann so der Werkeigentümer haftbar gemacht werden. Manfred Engel glaubt, dass dies in Zukunft immer häufiger der Fall sein wird.
Stürze als häufigste Unfallursache
Es geht nicht darum, übertrieben abgesicherte Spielplätze zu bauen. Kinder sollen beim Turnen auf Spielgeräten Gefahren bewusst erfahren und das Risiko selber einschätzen lernen. Doch die Gefahren müssen für ein Kind vorhersehbar sein. So darf ein Kind auch einmal abstürzen, wenn dafür der Boden darunter den Fall abfedern kann. «Ein Kind lernt durch den Sturz vom Klettergerüst mehr über die Schwerkraft als in drei Jahren Physikunterricht», meint Engel von der BfU. Seine Devise lautet: Ein aufgeschlagenes Knie schadet keinem Kind, schwere Rücken- oder Kopfverletzungen müssen aber unbedingt vermieden werden.
Stürze sind die häufigsten Unfallursachen auf Spielplätzen. Ein stossdämpfender Bodenbelag ist daher unabdingbar. Und das ist der springende Punkt: Auf vielen Spielplätzen fehlt dieser, wie der Beobachter bei seinen Stichproben feststellte. Statt Fallschutzplatten oder Rindenschnitzel liegen Betonplatten oder spitze Steine unter den Schaukeln, Klettergerüsten und Rutschbahnen. Eine gefährliche Situation: Fällt ein Kind, schlägt es hart auf und kann sich schwer verletzen.
Auf manchen Spielplätzen in Zürich turnen Kinder auf über zwei Meter hohen Rutschbahnen mit einem Beton-Untergrund. Vor allem ältere Konstruktionen genügen den heutigen Sicherheitsanforderungen nicht mehr. «Bestehende Spielplätze können wir nicht der Norm anpassen, dazu fehlt schlicht das Geld», sagt Thomas Bachofner. Er ist in Zürich zuständig für die Projektierung der Spielplätze.
Bachofner findet, die Euronorm gehe in vielen Punkte zu weit. «Wir können keine Schaukel für 2000 Franken aufstellen und für den Bodenbelag zusätzlich 4000 Franken ausgeben – das ist Verhältnisblödsinn.» Trotzdem bemüht er sich, bei der Planung von neuen Spielplätzen die Vorgaben der Norm einzuhalten.
Gefährliche Schlamperei
Der Beobachter hat auf dem Rundgang in Zürich auch einige Defekte entdeckt, die auf mangelnde Wartung zurückzuführen sind. Löcher in der Rutschbahn oder durchgerittene Schaukelpferde entstehen wohl nicht von einem Tag auf den andern, sie sollten bei regelmässigen Kontrollen entdeckt werden. Immerhin: Vom Beobachter auf diese Mängel angesprochen, reagierte der zuständige Verwalter schnell und versprach, die fehlerhaften Geräte innert Wochenfrist zu ersetzen.
Was passieren kann, wenn die Wartung vernachlässigt wird, zeigt ein Beispiel aus Winterthur. Kürzlich löste sich auf dem Spielplatz Brühlgut ein Tragebalken und stürzte mitsamt den zwei daran schaukelnden Kindern zu Boden. Glücklicherweise traf der Balken die Kinder nicht. Sie kamen mit leichten Prellungen und einem Schrecken davon.
Der Sturz hätte schlimmere Folgen haben können. Grund für den Unfall war eine angebrochene Schraube. Die Stadtgärtnerei Winterthur ersetzt nun die älteren Geräte durch neue, normgeprüfte Konstruktionen. Kostenpunkt: eine halbe Million Franken.
Die Berner Kinder sind schon heute besser dran. Die vom Beobachter festgestellten Mängel waren weniger gravierend als in Zürich: Hier eine hervorstehende Schraube, dort ein abgesplitterter Sandkastenrand. Ein weicher Bodenbelag war fast überall zu finden, wenn auch nicht immer in bestem Zustand.
Bern hat das Sicherheitsproblem erkannt und arbeitet seit Jahren bei der Planung der Spielplätze eng mit der BfU zusammen. Mehrere Male jährlich werden die Spielplätze von Angestellten der Stadtgärtnerei Bern genau kontrolliert und bei Bedarf repariert.
Wartung muss Pflicht sein
Solche engmaschigen Kontrollen sind auch bitter nötig: Seile, Holz und Metall leiden unter Witterungseinflüssen und Vandalenakten. Nur durch regelmässige Kontrollen und Reparaturen kann die Sicherheit eines Spielplatzes gewährleistet werden. Daher ist es wichtig, bei der Planung eines Spielplatzes auch die finanziellen Mittel für den späteren Unterhalt und Reparaturen festzusetzen. Einfach Spielplätze aufstellen und sie nachher verlottern lassen, das bringt nichts.
Gerade private Spielplatzbesitzer tun sich damit oft schwer, denn der Unterhalt eines Spielplatzes kostet. «Wer dabei spart, straft sich selber», sagt Fritz Nigg, Geschäftsführer des Verbands für Wohnungswesen. «Die Wartung der Spielplätze gehört ins Pflichtenheft des Unterhaltpersonals einer Siedlung oder einer Anlage.»
Die Verantwortlichen haben also das Problem erkannt – trotzdem stellte der Beobachter auf allen geprüften Spielplätzen Mängel fest. Was bisher fehlt, ist konsequentes Handeln. Den Preis dafür zahlen jährlich 5000 verletzte Kinder.