Diese Schrift ist veraltet und viel zu gstabig.» Geht es um die offizielle Schweizer Schulschrift, im Volksmund Schnürlischrift genannt, redet sich Hans Eduard Meier rasch ins Feuer. Trotz seinem Alter von 84 Jahren ist der bekannte Grafiker noch immer mit viel Engagement in einer Mission unterwegs: Er will den Lehrerinnen und Lehrern eine neue, einfachere Schulschrift schmackhaft machen, die von ihm konzipierte Basisschrift oder ABC-Schrift.

Meier hat mit seinem Vorstoss einiges in Bewegung gebracht: In manchen Kantonen kritzeln Lehrpersonen bereits freudig seine Schrift an die Wandtafel, in anderen hält man eisern an der alten Schrift fest. Und weil die Kantone auf Druck des neuen Bildungsartikels bald ihre Lehrpläne harmonisieren müssen, wird landauf, landab über die Schulschrift debattiert.

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Eine Schrift aus dem 15. Jahrhundert

Hans E. Meier jedenfalls ist von seiner Schrift überzeugt. In seinem Haus in Obstalden GL startet der Schrifterfinder (bekannte Werke von ihm sind etwa die Syntax oder die Barbedor) den Computer und erläutert die Vorzüge seiner neuen Kreation. Bei der Basisschrift haben die Buchstaben keine Schnörkel, zudem sind sie leichter miteinander zu verbinden. So wird der Schritt von den Einzelbuchstaben hin zur Handschrift kleiner. Heute pauken Schüler erst die Steinschrift (Druckbuchstaben) und müssen ab der dritten Klasse nochmals eine (fast) neue Schrift erlernen, die Schnürlischrift. Bei der Meier-Schrift entfällt dieser Aufwand: Die Buchstaben sind so gestaltet, dass man sie leicht zu einer flüssigen Schrift zusammenfügen kann. «Dagegen ist die heutige Steinschrift formal wirklich miserabel», ärgert sich Meier, «und die schnörklige Schnürlischrift ist nicht kindgerecht.»
Kunststück, meint Meier, denn die Schnürlischrift habe ihre Ursprünge im 15. Jahrhundert. Sie gründe auf der Cancellaresca, einer in Amtsstuben und unter Gelehrten verbreiteten Renaissance-Schrift. Seither habe sich so vieles verändert, dass eine grundlegend neue Schulschrift nötig sei. «Wir schreiben ja kaum noch mit Feder und Tinte», insistiert Meier, «früher war eine lückenlose Handschrift wegen des besseren Tintenflusses wichtig, heute braucht es einfach eine möglichst klare, gut lesbare Schrift.»

Die Schnürlischrift hat selbst auch bereits 60 Jahre auf dem Buckel: 1947 wurde sie eingeführt und ist seither in allen Schulen Standard. Landesweit vorgeschrieben ist sie jedoch nicht: Die Bildungshoheit liegt bei den Kantonen, diese können autonom bestimmen, wie ihre Schüler ins Reinheft schreiben. «Die Schulschrift ist kein Thema der Erziehungsdirektorenkonferenz, sondern wird einzig über die Lehrpläne der Kantone geregelt», bestätigt die EDK-Sprecherin Rahel Frey.

Der Kantönligeist führt dazu, dass sich die Schweiz in Anhänger und Gegner der Schnürlischrift spaltet. So setzt der Kanton Luzern auf die neue Schrift. «Die Basisschrift ist eine einfache, klare Schrift, die alternativ zu den bisherigen Schriften verwendet werden kann», heisst es im revidierten Luzerner Lehrplan. Die Stadt Luzern, Sursee, Sempach und weitere Gemeinden unterrichten nun die Meier-Schrift, weil sie «mit ihren schlanken, gerundeten Formen ein gutes Richtalphabet zum Einstieg» biete, wie Josy Jurt Betschart vom Amt für Volksschulbildung sagt.

Ebenfalls auf die Basisschrift setzen Schulen in den Kantonen Aargau, Basel, Bern, Glarus und Solothurn. Andernorts, zum Beispiel in Uri, wartet man ab. Denn: Das Reformprogramm Harmos, das den Schulen ab zirka 2014 einheitliche Ziele und Strukturen bringen wird, sieht vor, pro Sprachregion nur noch einen Lehrplan zu schaffen. Darin wird wohl auch die Schulschrift geregelt. «Eine Übernahme der Basisschrift wird erst mit der Ausarbeitung der Deutschschweizer Lehrpläne geprüft», heisst es beim Erziehungsrat Uri.

«Abwarten und Schnürli schreiben» ist auch die Devise bei den EDK-Regionalkonferenzen. Sie erarbeiten zurzeit die Leitlinien für den Harmos-Lehrplan, doch dies gut Ding will Weile haben. «Es ist noch völlig offen, in welcher Form der Erwerb der Kulturtechnik Schrift im Lehrplan geregelt werden soll», erklärt Regionalsekretär Christoph Mylaeus-Renggli, «daher haben wir die kantonalen Behörden gebeten, ihre Vorgaben in Bezug zur Verbindlichkeit der Schweizer Schulschrift zum jetzigen Zeitpunkt nicht aufzuheben.»

Der Appell hat Erfolg, manche Kantone sprechen sich ausdrücklich gegen die neue Schrift aus. Das Volksschulamt Zürich diktiert der Lehrerschaft in einem Schreiben vom Juli 2007, bis auf weiteres gelte «die Schweizer Schulschrift als die im Unterricht einzusetzende Schrift». Keine Experimente will auch der Kanton St. Gallen, der im Schulblatt verlauten lässt: «Der Erziehungsrat stellt mit Besorgnis fest, dass in einzelnen Schulen auf die Schulung der Schweizer Schulschrift verzichtet wird.» Damit bestehe die Gefahr, dass «Tür und Tor für selbst entwickelte Schriftalphabete» geöffnet würden.

«Rückmeldungen sind positiv»

Tatsächlich buhlen allein im Dienste der Basisschrift bereits zwei Lehrmittel um die Gunst der Lehrer. Neben Hans E. Meier hat auch der Schreibdidaktiker Max Schläpfer aus Zofingen, der mit Meier zusammengearbeitet hat, ein eigenes Lehrbuch auf den Markt gebracht. «Ich stütze mich auf die Meier-Schrift, empfehle den Lehrern für die praktische Anwendung aber ein paar Vereinfachungen», so Schläpfer. Seine Anleitung wird unter anderem im Aargau, im Bernbiet und in Basel eingesetzt. «Die ersten Rückmeldungen sind positiv», sagt Hans Georg Signer vom Erziehungsdepartement Basel-Stadt. Seiner Meinung nach brauche es aber keine rasche Schriftreform - auch um Kosten zu sparen. Schriftschöpfer Meier relativiert dieses Argument: «Wer meine Schrift ausprobieren will, kann sich Übungen gratis vom Internet holen» (siehe «Links zum Artikel»)

Vielerorts ist das Echo auf die Meier-Schrift positiv. Corina Stocker, Lehrerin an der Schule Linthal GL, arbeitet seit fünf Jahren mit der ABC-Schrift und kann sich nichts anderes mehr vorstellen. Die Schüler könnten schneller von der Druck- auf die Verbundsschrift umstellen und hätten mehr Zeit, eine eigene Handschrift zu entwickeln. Die Schnürlischrift aber sei für motorisch Schwächere happig: «Mit der Schweizer Schulschrift haben wir wohl jahrelang einen grossen Teil unserer Schüler überfordert. Mit der neuen Schrift bleibt ihnen der Umweg über die verbundene Schrift, die sie später kaum mehr brauchen, erspart», meint die Lehrerin.

Hans E. Meier ist optimistisch, dass sich seine Schrift durchsetzt: «Die neue Schrift ist so einfach, dass sie mit der Zeit überall die alte Schnürlischrift ablösen wird. Wer sie heute noch ablehnt, wird sie mit der Zeit selbstverständlich finden.»

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Der Wettkampf ist eröffnet: die herkömmliche Schnürlischrift (oben) und die neu entworfene Basisschrift.