Mit den Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen weiss Ines Tännler seit ihrer Jugend umzugehen. Aufs Gemüt schlägt ihr indes, dass sie ihre Hoffnung begraben muss, nach Kalifornien zu ziehen, um dort ihren langjährigen Freund zu heiraten.

Hintergrund dieser traurigen Situation: Die 44-Jährige bezieht seit ihrem 18. Lebensjahr infolge einer Hirnhautentzündung in der Kindheit und epileptischer Anfälle eine ausserordentliche IV-Rente: Eine solche steht Geburts- und Kindheitsinvaliden zu, die nicht arbeiten und somit keine Beiträge zahlen können. Allerdings: Die beitragsunabhängigen Leistungen werden im Gegensatz zur ordentlichen IV-Rente im Ausland nicht erbracht – so will es eine Ausnahmebestimmung des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung.

Ines Tännler empfindet diese Regelung als ungerecht und kreidet dem Gesetzgeber an, ihre Zukunft vermasselt zu haben: «Die 13-jährige Beziehung mit meinem Freund Steve zerbrach am Wechselbad von Ungewissheit und Hoffnung.» Immer wieder glaubte Tännler, mit der Sozialversicherung doch noch eine Lösung zu finden und die Verantwortlichen von ihrem Vorschlag zu überzeugen: Mit der ausserordentlichen – versteuerbaren – Rente von monatlich rund 1400 Franken hätte sie sich am Haushaltbudget ihres Partners beteiligt. Mit seinem bescheidenen Einkommen konnte der Musiklehrer nicht beide über Wasser halten. Auf die Zusatzleistungen von 1100 Franken, die Ines Tännler in der Schweiz bezieht, hätte sie in Amerika verzichtet. Ihre Rechnung würde sich also auch für den Staat bezahlt machen.

Über lange Zeit lebte Ines Tännler jeweils drei Monate bei ihrem Freund in Los Angeles und kehrte dann wieder in die Schweiz zurück. Doch der Abschied fiel ihr jedes Mal schwerer, und das nicht nur wegen ihrer grossen Liebe: Im sonnigen Kalifornien litt sie kaum unter klimatisch bedingten Kopfschmerzen und fand in der Kinderbetreuung eine Beschäftigung, die ihrem Leben Sinn gab.

«Hier in der Schweiz reagiere ich auf die geringsten Wetterschwankungen, habe permanent Schmerzen und stehe unter starken Medikamenten gegen Epilepsie», sagt Tännler. An eine geregelte Arbeit sei nicht zu denken – ihre Agenda sei mit Terminen für Therapien überfüllt. Ihr einziger Wunsch: «Ich will meinem Leben endlich wieder einen Sinn geben und auch gesellschaftlich meinen Beitrag leisten.»

Den Beruf als diplomierte Fachfrau für klassische Massage und Sportmassage konnte Ines Tännler nie erwerbsmässig ausüben. Mittlerweile haben sie die Schmerzen längst zermürbt und entkräftet: Die Aussicht, in den nächsten 20 Jahren ohne Perspektive schleichend von der IV in die AHV zu schlittern, nagt zusehends an ihrem Selbstwertgefühl.

Die generelle Auszahlung von ausserordentlichen IV-Renten ins Ausland führte schon mehrmals zu politischen Debatten. Bei der Diskussion zur fünften IV-Revision, die voraussichtlich in der Wintersession vors Parlament kommt, steht das Thema nicht auf der Traktandenliste.

Das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU vom 1. Juni 2002 verpflichtet die Schweiz, ausserordentliche IV-Renten auch in EU-Staaten auszurichten. Diese Regelung gilt allerdings nur für Bezügerinnen und Bezüger, die in der Schweiz oder im EU-Raum eine Erwerbstätigkeit ausgeübt haben oder noch immer ausüben. Geburts- und Kindheitsinvalide wie Ines Tännler erfüllen diese Voraussetzung mehrheitlich nicht. Sie ziehen also auch hier den Kürzeren.

Beatrix De Cupis, Bereichsleiterin beim Bundesamt für Sozialversicherung, erläutert: «Bis anhin überwog immer die Ansicht, dass die beitragsunabhängigen Leistungen nur Personen mit Wohnsitz in der Schweiz zustehen – zumal die Kosten ganz von der Allgemeinheit getragen werden. Doch die Betroffenen sehen das natürlich mit anderen Augen.»

Für Ines Tännler sticht dieses Argument indes nicht: «Wer sich etwa mit der ordentlichen IV-Rente nach Thailand absetzt, lebt dort teils auch auf Kosten unserer Gemeinschaft.»

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