Eine etwas andere Familie
Er Hausmann, sie Berufsfrau: Das gibts in der Schweiz nicht oft. Wie ist es, die Rollen zu tauschen?
Veröffentlicht am 25. Mai 2009 - 18:32 Uhr
«Jesses, dieser Mann muss daheim die Wäsche aufhängen!» Mit derlei Sprüchen wurden Nicolas Dussex und Franziska von Lerber konfrontiert. Doch das ist eine Weile her und war in einer anderen Welt. Die beiden, Biologen von Beruf, lebten neun Jahre lang im italienischsprachigen Calancatal, wunderschön – und sehr traditionell geprägt. «Dass wir die Rollen teilten, passte nicht ins Bild», sagt die 41-jährige Franziska von Lerber. Dabei hatte es sich einfach ergeben, bei Hausarbeit und Job halbe-halbe zu machen: Das Paar leitete ein Kurs- und Begegnungszentrum und lebte dort, wo es arbeitete. Also lag es nahe, sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, erst recht, als Silvan und Tobias zur Welt kamen. Doch die etwas andere Familie blieb exotisch – und ist es heute noch.
Seit drei Jahren, seit dem Umzug nach Mittelhäusern bei Bern, ist Nicolas Dussex hauptberuflich Hausmann, während seine Frau für die Familie den Lebensunterhalt verdient. Dussex weiss, dass Hausmänner wie er rar sind in der Schweiz, in Paarhaushalten machen sie weniger als ein Prozent aus. «Aber ich gelte hier nicht als Sonderling», sagt der 44-Jährige. Er strahlt Ruhe aus, hantiert routiniert hinter der Küchentheke, richtet Gebäck her. Dass er sich um Heim und Kinder kümmert, ist bekannt in der Siedlung – und wird geschätzt. Nachbarskinder kommen regelmässig zum Mittagessen.
«Nicolas ist begehrt», sagt Franziska von Lerber und lacht. «Einen Mann, der auch tagsüber Zeit hat für Ehrenämter, trifft man schliesslich nicht an jeder Ecke.» Er ist unter anderem in der Schulkommission, hilft im Naturhistorischen Museum und der Siedlungscafeteria und hält den grossen Gemüsegarten in Schuss. «Ich hab viel zu tun und bin gut vernetzt», sagt er. Ob ihm daheim nicht ab und zu die Decke auf den Kopf fällt? «Nein, das also wirklich nicht.»
Warum der Rollentausch? «Bevor Silvan zur Schule kam, war klar, dass wir umziehen wollten.» Der heute Zehnjährige und sein zwei Jahre jüngerer Bruder Tobias sollten eine deutschsprachige Schule besuchen und eine andere Umgebung kennenlernen als das abgelegene Calancatal. «Wir sagten uns: Wer zuerst einen Job findet, nimmt ihn», erzählt Dussex. Sie war es, die ein attraktives Angebot erhielt, eine 100-Prozent-Anstellung bei der kantonalen Fachstelle für Naturschutz. «Eine Herausforderung, mir war schon etwas mulmig, aber die Stelle reizte mich, ich sagte zu.» Und das Ego des Ehemanns war nicht geknickt? «Nein, ich habe mich nie nur über den Job definiert, und ich musste ja keine Karriere aufgeben», sagt Nicolas Dussex. Zudem habe er bereits gewusst, was Hausarbeit und Kindererziehung bedeuten.
Anders als andere, die überzeugt sind: Hausarbeit muss zwar gemacht werden, ist aber nicht viel wert, da sie nicht bezahlt wird. «Das ist Unsinn», stellt Franziska von Lerber fest, «beides ist gleichwertig, und das eine ist ohne das andere gar nicht möglich in einer Familie.» Für sie ist klar: Hätte sie nicht Nicolas volle Unterstützung, wäre sie im Job nur halb so gut. «Er ist der ruhende Pol, und ich weiss, dass unsere Buben bei ihm in guten Händen sind.» Mit diesem Gefühl kann sie jeden Morgen aus dem Haus gehen – und gelassen jene Bemerkungen kontern, mit denen Männer nicht behelligt werden: Hast du kein schlechtes Gewissen, deine Kinder den ganzen Tag allein zu lassen? «Definitiv nein.»
Stünde heute die Frage an, ob sie die Rollen wieder tauschen sollen, wäre sie die Letzte, die sich querstellt. «Aber ganz zu Hause bleiben, das könnte ich nicht, wir müssten beide Teilzeitjobs finden.»
Daheim erst mal die Beine hochlegen und sich von den Strapazen des Arbeitstags erholen, das würde sich die Berufsfrau und Mutter niemals herausnehmen. «Zu Hause ist Familienzeit, das ist gesetzt.» Wenn sie abends heimkomme, gebe es meist den fliegenden Wechsel: er auf dem Sprung zum Ehrenamt, sie ab sofort Tätschmeisterin.
Und Ansprechperson: Vor allem Silvan bespricht sich zurzeit lieber mit ihr. Auch wenn ihn etwas bedrücke oder wenn er Frust aus der Schule nach Hause bringe. «Nachzubohren, was los ist, bringt da nichts – er wartet auf die Mama», so Papa Dussex.
Der 44-Jährige hat kein Problem damit, zu sagen: «Ich bin Hausmann.» Spannend findet er, dass Frauen und Männer unterschiedlich reagieren. Bei Frauen schwinge Anerkennung mit, Bewunderung gar; bei Männern eher Skepsis oder gar Ungläubigkeit. Und manchen stehe ins Gesicht geschrieben: Hey, du hast studiert, hattest interessante Jobs. Hausarbeit – reicht dir das? Die Antwort ist klar: Er würde es nicht machen, wenn er keine Freude daran hätte. «Über berufliche Perspektiven denke ich jedoch sehr wohl nach, denn irgendwann werden mich die Kinder nicht mehr brauchen», sagt Dussex. Ihm sei bewusst, dass er mit seiner Laufbahn nicht eben ein attraktiver Kandidat sei auf dem Arbeitsmarkt. Und wie im Vorstellungsgespräch die Frage beantworten, was er die letzten Jahre gemacht habe? «Ich kann sagen, dass ich den Haushalt geschmissen und meine Kinder erzogen habe.» Und dazu brauche man eine gehörige Portion Durchhaltevermögen, Organisationstalent, Nervenstärke und Fingerspitzengefühl. Ob diese Qualifikation bei den Personalverantwortlichen zieht, wagt er allerdings zu bezweifeln.
«Wir sind in der Schweiz noch weit davon entfernt, atypische Familienmodelle zu akzeptieren», sagt Thomas Huber-Winter von der Fachstelle UND, dem Kompetenzzentrum für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit. Kein Wunder, wagten bislang nur wenige Familien den Rollentausch. Und wenig erstaunlich sei, dass nur gerade jeder zehnte Mann einen Teilzeitjob habe, und nur ein kleiner Teil davon aus familiären Gründen. Was es braucht, liegt für Huber-Winter auf der Hand: Betriebe sollten ausserberufliche Kompetenzen würdigen, flexible Arbeitszeiten bieten. Und Vaterschaftsurlaube müssten vom Staat geregelt und mitfinanziert werden. Heute sind sie vom Goodwill der Arbeitgeber abhängig und können je nach Betrieb von zwei Tagen bis zu vier Wochen dauern. Kurzum: «Die Rahmenbedingungen müssen noch wesentlich kinder- und familienfreundlicher werden.»
Doch selbst jene, die das traditionelle Bild von der Familie auf den Kopf gestellt haben, erwischen sich manchmal dabei, in alten Mustern zu denken: «Was machst du beruflich?», wird Nicolas Dussex öfter gefragt. «Ich arbeite nicht», rutscht ihm manchmal heraus. Dabei weiss er, dass dies so etwas von verkehrt ist.