Die Beschreibung im Internet klingt vielversprechend. Ein familienfreundliches «Wohn- und Arbeitsgebiet in einer urbanen Umgebung» werde mit der Luzerner Überbauung Tribschenstadt entstehen. «Höfe mit grosszügigen Öffnungen erlauben Privatheit nach innen und Öffentlichkeit nach aussen. Baumreihen begrünen Strassen und Plätze.»

Die Realität - mit Kinderaugen betrachtet - sieht weit weniger grandios aus. Das Spielangebot ist in der 300 Wohnungen umfassenden Siedlung äusserst mager: hier ein Sandkästchen, dort eine einsame Rutschbahn oder eine Schaukel. Und für Schulkinder gibt es rein gar nichts: «Es hat keinen Tischtennis-Tisch, keinen Basketballkorb, keine Wiese, auf der man spielen könnte», sagt der zwölfjährige Philipp Baumann von der Baugruppe des Luzerner Kinderparlaments. Sein Verdacht: «Das Einzige, was ältere Kinder hier dürfen, ist still herumschleichen.»

So nicht, sagten sich die Kinderparlamentarier und nominierten die Siedlung für die Saure Zitrone, eine Negativauszeichnung für besonders kinderunfreundliches Verhalten. Tribschenstadt schrammte zwar knapp an der Zitrusfrucht vorbei, aber für die Kinder war der Fall klar: Die Überbauung genügt ihren Ansprüchen in keiner Art und Weise.

Partnerinhalte
 
 
 
 

Kein Geld für SpielflächenTribschenstadt ist geradezu typisch dafür, wie heute in der Schweiz gebaut wird. «Die Spielflächen bei privaten Bauvorhaben werden stiefmütterlich behandelt», sagt der Winterthurer Spielplatzgestalter Fredi Schelb. Meist reiche das Geld nur für die Überbauung, die Umgebungsgestaltung werde zurückgestellt. Weil man aber von Gesetzes wegen eine bestimmte Fläche für Spielplätze einrichten müsse, bestelle man «halt am Schluss noch schnell etwas aus dem Katalog».

So geschehen in Zürich-Nord, einer riesigen Überbauung in Oerlikon. Hier gibt es zwar grosszügige Pärke, für Kinder aber bloss allenthalben kleine Sandhaufen oder Minihügel in Pyramidenform. Verantwortlich für die Gestaltung der Pärke war die städtische Fachstelle «Grün Stadt Zürich». Deren Vertreterin Brigitte Bänninger will den Vorwurf der Kinderunfreundlichkeit für Zürich-Nord nicht gelten lassen: «Kinder haben viel Fantasie. Sie brauchen natürlich geeignete Strukturen, um diese ausleben zu können, aber sie können in vielen Umfeldern toll spielen.»

Gebaut für NormmenschenEbenfalls nicht wie ein Kinderparadies sieht die Überbauung West-Side im Trendquartier Zürich-West aus. Hier sucht man vergeblich nach Spielgeräten, obwohl auch Kinder in der Überbauung leben. Dafür steht auf einem angrenzenden Grundstück ein Spielplatz, der nicht nur winzig und fantasielos ist, sondern auch gefährlich: Er liegt unmittelbar an einer Zufahrtsstrasse. «Als wir die Wohnungen im West-Side vermieteten, zogen keine Familien mit kleinen Kindern ein», sagt Irene Fischbach von der Bauherrin Swiss Life. «Falls nun unsere Mieter das Bedürfnis nach einem Spielplatz an uns herantragen, werden wir eine pragmatische Lösung suchen.»

Die Gestaltung der Spielplätze werde viel zu wenig ernst genommen, sagt Spielplatzbauer Schelb: «Wir stellen bei Gesprächen mit Architekten und Bauherren immer wieder fest, dass die wenigsten eine Vorstellung davon haben, was Kinder wollen und brauchen. Meist heisst es einfach: ‹Wir brauchen dann noch ein paar Geräte, damit die Kinder ein wenig herumkrabbeln können.›»

Marc Angélil, Architekturprofessor an der ETH Zürich, pflichtet bei: «Unsere Städte werden für einen bestimmten Normmenschen gebaut - für den motorisierten Geschäftsmann.» Alte Leute, Behinderte, Mütter und Kinder - die Bevölkerungsmehrheit also - würden von Stadtplanung und Architektur bis jetzt viel zu wenig berücksichtigt. «Es ist deshalb nur folgerichtig, dass bei der Gestaltung der Spielplätze einiges schief läuft», so Angélil.

Computer statt frischer Luft
Und das hat Folgen: Anstatt ins Freie zu gehen, sitzen die Kinder vor dem Fernseher oder am Computer. Der Anteil fettleibiger Kinder nimmt zu; viele bringen nicht mal mehr einen Purzelbaum zustande. Dies hat das Bundesamt für Sport (Baspo) im bernischen Magglingen bewogen, eine Initiative für eine bewegungsfreundliche Siedlungspolitik zu starten. Dabei sei es wichtig, «dass die Anwohner ihre Umgebung mitgestalten können», so Hans-Jörg Birrer vom Baspo. Wenn man das den Architekten und Bauunternehmern überlasse, werde «einfach Wohnvolumen hingestellt und ab und zu ein kleines Rasenviereck».

«Man sieht den Unterschied sofort, wenn Eltern und Kinder an einem Spielplatz mitgearbeitet haben», bestätigt Susanne Hänni. «Er wirkt nie so gepützelt, wie wenn er von einer Verwaltung hingestellt wird.» Mit Dutzenden von Eltern und unzähligen Kindern hat Hänni in monatelanger freiwilliger Arbeit den Robinson-Spielplatz Zelgli in Dübendorf mitgestaltet. Und entsprechend attraktiv sieht dieser aus: Es gibt einen Hügel, auf dem ein Totempfahl steht, einen Brunnen mit Bächlein oder ein Sonnendach, unter dem die Eltern im Sommer grillieren, während ihre Sprösslinge herumtoben.

Von einem solchen Spielplatz können viele Kinder nur träumen. Doch immerhin gibt es einen kleinen Hoffnungsschimmer: Die Luzerner Kinderparlamentarier schickten den Tribschenstadt-Investoren einen Brief, in dem sie ihre Vorbehalte gegenüber dem Spielplatzkonzept zur Sprache brachten. Und sie erhielten eine Antwort: Die Alfred Müller AG, eine der Bauherrinnen, empfing eine Vertretung der jugendlichen Politiker. «Man hat uns angehört und ernst genommen», so Philipp Baumann vom Kinderparlament. Und David Spiess, Firmensprecher der Alfred Müller AG, sagt: «Das Treffen war für uns sehr wertvoll. Wir haben gemerkt, dass wir bei unseren Spielplätzen vor allem die Bedürfnisse der älteren Kinder zu wenig berücksichtigt haben. Das werden wir bei zukünftigen Projekten besser machen.»