Scheidung: Schuldgefühle gegenüber den Kindern
Das Kinder nach einer Trennung der Eltern leiden, ist normal. In dieser schwierigen Situation ist es besonders wichtig, dass man richtig auf sie eingeht.
Veröffentlicht am 30. April 2002 - 00:00 Uhr
Frage: «Ich habe mich von meiner Frau getrennt und beziehe im Herbst mit meiner Freundin eine gemeinsame Wohnung. Meine Exfrau widmet sich den beiden sieben- und neunjährigen Kindern. Ich vermisse nichts, habe die neue Partnerin sehr gern, und auch die Kinder mögen sie. Trotzdem spüre ich, wie sie leiden, habe Schuldgefühle und werde den Eindruck nicht los, Fehler gemacht zu haben.»
Koni Rohner, Psychologe FSP:
Ich bin sicher, dass Sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben. Trotzdem haben Sie anderen Menschen wehgetan. Möglicherweise haben Sie auch den einen oder anderen Fehler gemacht. Na und? Nur Gott ist unfehlbar. Stehen Sie zu Ihren Fehlern und bitten Sie um Verzeihung. Versuchen Sie ausserdem, exakt zu verstehen, worunter Ihre Kinder leiden. Vielleicht lässt sich dieses Leiden verringern. Zum Beispiel durch eine Änderung der Besuchsregelung oder der Übergabeorganisation.
Sicher bringt es aber bereits eine grosse Erleichterung, wenn die Kinder den Schmerz offen zeigen dürfen. Vielleicht haben sie das bisher noch zu wenig getan, um Mutter und Vater zu schonen und ihnen Schuldgefühle zu ersparen. Viele Kinder sind in dieser Hinsicht sehr sensibel und halten sich aus Liebe zu den Eltern zurück. Während dies für ihre seelische Entwicklung ungesund ist, können sie Leid durchaus ertragen, wenn sie es ausdrücken dürfen und sich dabei liebevoll verstanden wissen. Wenn sie durch Wut, Angst und Trauer über die Trennung hindurchgegangen sind, entdecken sie oft, dass es auch eine Bereicherung ist, zwei Zuhause zu haben. Wenn Sie Ihr Bestes tun, Ihren Kindern in dieser Weise bei der Verarbeitung des Scheidungsschocks zu helfen, erübrigen sich Schuldgefühle in der Zukunft.
Scheiden tut immer weh, aber durch ungeschicktes Verhalten der Eltern kann das Leiden der Kinder unnötig vergrössert werden. In der Wissenschaft spricht man neuerdings vom PAS, dem Parental-Alineation-Syndrom. Das Phänomen tritt in feinen Abstufungen auf und bedeutet Eltern-Kind-Entfremdung. Grundsätzlich lieben Kinder beide Elternteile; Elternschaft kann nicht geschieden werden, nur eine Ehe. Wenn nun ein Elternteil oder gar beide die Zuneigung des Kindes ausschliesslich für sich selbst beanspruchen, gerät das Kind in einen quälenden Konflikt. Unter Umständen rettet es sich aus dieser Spannungssituation, indem es sich einem Elternteil entfremdet und ihn so abwertet, wie es der andere Elternteil tut und auch vom Kind erwartet.
Da die Mütter meist das Sorgerecht erhalten, entsteht nicht selten das Bild einer «guten» Mutter und eines «bösen» Vaters. Auch wenn es, pragmatisch gesehen, für das Kind oft die beste Lösung ist, verliert es viel dabei. Oft läuft die Beeinflussung der Kinder unterschwellig, unbewusst und subtil ab, so dass der Prozess nur vom betroffenen Elternteil schmerzhaft erfahren wird. Falls er mit Wut reagiert, wird er natürlich erst recht zum Bösewicht, und die Entfremdung beschleunigt sich.
Um den Kindern derartiges Leid zu ersparen, ist es ganz wichtig, sie nicht zu unterschätzen, sie ernst zu nehmen und genau hinzuhören, welche Besuchsregelung für sie die beste ist und wo sie hauptsächlich zu Hause sein möchten. Manchmal wünschen sie sich Dinge, die nicht möglich sind. Dann sollten die Eltern ihnen das offen sagen, aber auch akzeptieren, dass die Kinder darüber traurig oder wütend sind.