Kein Platz für Schuldzuweisungen
Da bemühen sich Eltern jahrelang, den Kindern Toleranz und Respekt beizubringen. Und dann geben die Jungen dennoch ausländerfeindliche Sprüche von sich. Wer hat versagt?
Veröffentlicht am 17. Februar 2004 - 11:08 Uhr
Andreas sagt es ohne Umschweife: «Die meisten Ausländer sind faul und leben auf unsere Kosten.» Barbara hat «Angst vor diesen aufdringlichen und aggressiven Kerlen». Und Marcel regt sich über all jene auf, «die in unser Land kommen und keinerlei Respekt vor unseren Regeln zeigen». Keiner der Jugendlichen zwischen 13 und 16 Jahren, die der Beobachter befragte, hat ein unbelastetes Ausländerbild.
Hat hier die Erziehung versagt? «Nein», sagt Beobachter-Psychologe Koni Rohner. «Die latente Ausländerfeindlichkeit in der Schweiz überträgt sich zwangsläufig auf Kinder und Jugendliche.» Ähnlich sieht es Ron Halbright, Präsident von NCBI Schweiz, einem Verein, der sich für den Abbau von Rassismus und Diskriminierung einsetzt: «Kinder und Jugendliche sind leicht beeinflussbar, weil sich das eigene Weltbild erst in der Pubertät festigt. Ausländerfeindliche Witze oder Kommentare, die sie am Familientisch und im Freundeskreis hören, finden in der Schule und der Clique einen besonders guten Nährboden.»
Medien schüren Ausländerfeindlichkeit
Annelise Lundvik, Mutter eines 17-jährigen Sohnes und einer zwölfjährigen Tochter, erkannte die Problematik schon, «als Niels in der Unterstufe mit Klassenkameraden aus dem Balkan zusammen war». Seither versucht sie, ihre Kinder zu motivieren, sich mit Ausländern zu beschäftigen und über Ausländerfeindlichkeit nachzudenken. «Trotzdem bleiben viele Vorbehalte haften, die vor allem durch Medienberichte über Kriminalität und Asylmissbrauch entstehen.»
Ob sich solche Vorbehalte festigen, hängt stark davon ab, wie die Personen im Umfeld reagieren. «Moralisieren oder Schuldzuweisungen erzeugen Widerstand und bekräftigen die Vorurteile», sagt Ron Halbright. «Auch wer schweigt, signalisiert Einverständnis.»
Am besten sei es, Jugendliche nach konkreten, persönlich gemachten Erfahrungen mit Ausländern zu fragen. Häufig zeige sich dann, dass es genau an solchen fehle und das eigene Bild vor allem von Gerüchten oder pauschalisierten Einzelfällen geprägt sei. «Auf dieser Basis können anschliessend Falschinformationen oder Halbwissen gemeinsam überprüft, relativiert und korrigiert werden», folgert der Experte für Konfliktbewältigung.
Unbestritten ist für Fachleute, dass das Verhalten der Jungen häufig nur das Abbild eines erwachsenen Vorbilds ist - im Guten wie im Schlechten. Anderseits warnt Psychologe Koni Rohner davor, den Begriff Toleranz übermässig zu strapazieren: «Man kann auch zu tolerant sein und damit signalisieren: ‹Die anderen sind mir egal.›» Viel wichtiger sei, das Interesse für das Fremde zu wecken und Ängste davor abzubauen: «Schliesslich ist es eine Tatsache, dass wir ein Immigrationsland sind.»
Dass das nicht zwingend zu Spannungen führen muss, erfährt Sonja Karrer, Mutter von drei Knaben im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren: «Unsere Kinder pflegen einen lockeren Umgang mit ihren ausländischen Kameraden und haben bisher keine negativen Erfahrungen gemacht.» Vielleicht habe dies auch damit zu tun, dass sie klar begründen könne, «weshalb ich ausländerfeindliche Witze gar nicht witzig finde».