Die Schweiz, ein Binnenland ohne Rohstoffe? Mitnichten. Unser wertvollster Rohstoff ist durchsichtig und sprudelt ohne Unterlass: Wasser. Dabei entspringen dem Quellgebiet grosser europäischer Ströme vereinzelt ganz besondere Wässerchen – oft jahrzehntealt, thermisch aufgeheizt und besonders reich an Mineralstoffen und Spurenelementen. Unscheinbar treten sie in öffentlichen Brunnen vom bündnerischen St. Moritz bis Baden im Aargau zutage, oft vor bekannten Wellnessbädern, die kaum noch daran erinnern, dass der Bädertourismus mit Trinkkuren seinen Anfang nahm. Generationen suchten die Kurorte auf in der Hoffnung, ihre Leiden wegtrinken zu können – und bis heute sind die natürlichen Mineralwässer von Kennern hoch geschätzt.

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Eine der ältesten und eisenhaltigsten Mineralquellen des Landes befindet sich in St. Moritz, wo das Wasser nicht weniger als 15,8 Milligramm Eisen pro Liter enthält. Es tritt in der Ebene von St. Moritz Bad zutage und fliesst beim Heilbad-Zentrum ab speziellen Hahnen. Schon die Kelten wussten vom heilbringenden Wasser im Oberengadin, davon zeugt die Quellfassung aus zwei ausgehöhlten Lärchenstämmen, die bei Grabungen zum Vorschein kam. Forscher datieren das Holz auf 1466 vor Christus.

Quelle: Sally Montana

Drei Jahrtausende nach den Kelten reiste 1535 Paracelsus zur Quelle, die im Mittelalter eine Pilgerstätte zu Ehren des heiligen Mauritius war. Der Gelehrte, geboren im schwyzerischen Egg bei Einsiedeln, lobte die Heilkraft des Wassers über alle Massen. Es wirke gegen die «tartarischen Krankheiten» – worunter er chronische Hautleiden, Gicht, Rheuma, Asthma und Nervenleiden verstand. «St. Moritz war zu jener Zeit ein armes Bergbauerndorf und Paracelsus sozusagen unser bester Kurdirektor», sagt Robert Eberhard, langjähriger Chefarzt des Medizinischen Zentrums. Mit Paracelsus’ Empfehlungen war der Grundstein zum Nobelkurort gelegt.

Mineralquellen in Scuol und Umgebung

Die bereits im Jahre 1369 erstmals erwähnten Mineralquellen prägen bis heute die Ferienregion rund um Scuol. An den Dorfbrunnen und in den historischen Trinkhallen entlang des Inns können fast alle der Quellen noch immer entdeckt und degustiert werden.

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Das säuerliche St. Moritzer Mineralwasser (Gesamtmineralisation 1,8 g/l) prickelt wie Champagner: Es tritt mit frischen sechs Grad aus dem Boden, enthält natürliche Kohlensäure und viel Eisen, das allerdings an der Luft schnell oxidiert – deshalb der Name «ova cotschna», rotes Wasser. Da der Körper nur gelöstes Eisen aufnehmen kann, rät Eberhard, den Becher gleich ab Hahnen zu leeren oder die Flasche bis ganz an den Rand zu füllen und gut zu verschliessen.

Wasser – die touristische Goldader

«Ova cotschna» ist eine gute Kalziumquelle. Ein Erwachsener sollte täglich einen Kalziumwert von 800 Milligramm erreichen, um dem Abbau der Knochensubstanz vorzubeugen; Frauen nach der Menopause empfiehlt Eberhard 1100 Milligramm. «Da sind die 319 Milligramm Kalzium pro Liter unseres Wassers doch schon ein schöner Beitrag», sagt Eberhard.

Gut 60 Kilometer von St. Moritz entfernt stösst man in Scuol-Tarasp erneut auf landesweit einzigartiges Wasser. Genauer: auf ein Gebiet mit über 20 hochmineralisierten Quellen. Die Hälfte ist gefasst und sprudelt dank einer geologischen Besonderheit: Zwischen Guarda und Prutz in Tirol hat die Erosion die kristalline und dolomitische Decke abgetragen und den wasserdurchlässigen Bündner Schiefer freigelegt. Das Regen- und Schmelzwasser löst je nach durchflossenen Gesteinsschichten Stoffe wie Natrium, Kalzium, Magnesium, Kalium, Eisen, Chlorid, Sulfat und tritt nach Jahren als Mineralwasser zutage (Gesamtmineralisation der stärksten Quelle über 15,7 g/l).

Quelle: Sally Montana

Die Quellen brachten Scuol-Tarasp nach dem Ausbau des Flüelapasses 1867 zum Blühen, und sie sind bis heute die Goldadern der Region. Drei Quellen fliessen in Scuol in vier Dorfbrunnen mit Doppel- oder Dreifachhahnen, etwa für das normale, ebenfalls recht gut mineralisierte Bergwasser und das Mineralwasser, das natürlich mit Kohlensäure durchsetzt ist. Alle drei Quellen enthalten gegen 50 Milligramm Magnesium und 284 bis 535 Milligramm Kalzium – mehr als die meisten Mineralwässer im Supermarkt. Für den Scuoler Internisten Christian Casanova bestimmen diese Werte die Qualität. Er rät, nur Mineralwasser zu kaufen, das mindestens 50 Milligramm Magnesium und 150 Milligramm Kalzium pro Liter enthält. «Wir in Scuol haben das Glück, dass wir in Pantoffeln an den Brunnen laufen und unser Mineralwasser abfüllen können», sagt der 61-Jährige, der viele Jahre leitender Arzt im Heilbad Bogn Engiadina in Scuol war.

Es wirkt unmittelbar aufs Befinden

Das kalziumreichste Mineralwasser gibts in Scuol direkt ab Quellfassung am oberen Dorfrand: 852 Milligramm Kalzium enthält ein Liter Sfondraz-Wasser – ein europäischer Spitzenwert. Und bezüglich Magnesium, das Stoffwechselvorgänge begünstigt, belegt das Wasser des Lischana-Brunnens unten am Inn einen Spitzenplatz: In einem Liter Wasser stecken 460 Milligramm Magnesium – sechs Deziliter decken unseren Tagesbedarf.

Am besten wirke der Trunk kurmässig drei- bis viermal pro Jahr je zwei Wochen lang 30 Minuten vor den Mahlzeiten. Casanova konnte in einer Studie mit der Uniklinik Basel die unmittelbare Wirksamkeit des Lischana-Magnesiums nachweisen: «Bereits nach einer Woche stieg der Serumspiegel der Trinkkur-Testpersonen an, was ein klares Zeichen für eine bessere Magnesiumversorgung ist.»

In Scuol können die Leute in Pantoffeln Mineralwasser abfüllen.

Hochmineralisierte Quellen finden sich auch im Unterland. Etwa in Baden AG mit seinen 18 Thermen, die anders als im Engadin 46,5 Grad warm aus dem Boden sprudeln (Gesamtmineralisation 4,6 g/l). Vieles im Bäderquartier ist im Umbruch, es wird gebaut und geplant, etwa ein neues Bad des Tessiner Architekten Mario Botta. Unverändert steht seit Jahrzehnten ein kleiner Brunnen da, etwas versteckt in der Passage des Staadhofs. Vor allem ältere Semester nutzen ihn. Mit gutem Grund: Das Wasser ist reich an Kalzium (503 mg/l), Magnesium (99 mg/l) und Kalium (63 mg/l).

Wo Legionäre ins Wasser stiegen

Baden hiess einst Aquae Helveticae, ein römischer Name: Legionäre aus dem fünf Kilometer entfernten Lager Vindonissa (Windisch) hatten das warme Quellwasser 14 nach Christus entdeckt. Im Untergrund findet man bis heute römische Spuren. Auch Reste eines repräsentativen Badehauses sind erhalten geblieben, mit Arkaden aus Tuffstein, gebaut um 1400; ein Zeugnis des Badebetriebs im Mittelalter. Das Wasser stammt aus dem Muschelkalk der Faltenjura-Klus aus 1200 Metern Tiefe. Auf seinem langen Weg durch das poröse Gestein nimmt es Mineralien auf und tritt unter Hochdruck relativ warm aus dem Boden.

Quelle: Sally Montana

Das Mineralwasser speist das Thermalbad und steht der Öffentlichkeit an zwei weiteren Orten gratis zur Verfügung: Im Becken nahe dem Trinkbrunnen können Arthrosegeplagte Ellbogen und Handgelenke eintauchen, der Raum ist jeweils von 8 bis 20 Uhr offen. Neueren Datums ist das acht Meter lange Fussbad draussen an der Limmatpromenade: Sitzt man auf der Brunnenbank, die Füsse ins wohlig warme Wasser getaucht, lässt sich trefflich über Römer, Habsburger und Eidgenossen sinnieren, die hier ebenfalls ihre müden Knochen badeten.

Weitere öffentlich zugängliche Mineralwasserbrunnen

Bad Ragaz SG

Ort: Brunnen in der alten Dorfbad-Halle gegenüber dem Rathaus, Am Platz 1

Wasser: 36,5 °C, Gesamtmineralisation 392 mg/l

Quelle: Sally Montana

Geschichte: Um 1240 entdeckten Jäger die Thermalquelle. Mönche des nahen Benediktinerklosters schrieben dem Wasser heilende Wirkung zu. 1840 wurde das Thermalwasser in Holzleitungen von der Taminaschlucht ins vier Kilometer entfernte Bad Ragaz geleitet. Pensionen und noble Hotels entstanden und 1868 auch das Dorfbad für die Bevölkerung – ein klassizistischer Bau mit Trinkhalle und 17 Bädern. Die Bäder sind heute für Spa-Erlebnisse buchbar, die Trinkhalle ist öffentlich.

Zürich

Ort: Aqui-Brunnen auf dem Hürlimann-Areal, dem alten Brauereigelände, Brandschenkestrasse, Enge 


Wasser: 24 °C, Gesamtmineralisation 1028 mg/l; Natrium 318 mg/l, Fluorid 3,2 mg/l

Trinken: maximal 1 l/Tag wegen relativ hohen Natrium- und Fluoridgehalts

Quelle: Sally Montana

Geschichte: 1976 fand die Brauerei Hürlimann auf ihrem Gelände Wasser in 300 Metern Tiefe; es erwies sich als zu weich zum Bierbrauen. Man verkaufte es zunächst als Aqui-Mineralwasser. 1997 gab die Hürlimann-Brauerei auf. Seither sprudelt nur noch der neu gestaltete Brunnen.

Yverdon-les-Bains VD

Ort: Brunnen vor dem Centre-Thermal-Eingang, Avenue des Bains 22 Wasser: 29 °C, Gesamtmineralisation 375 mg/l; Kalzium 49 mg/l, Magnesium 24 mg/l

Trinken: empfohlen für eine gute Magen-Darm-Aktivität

Quelle: Sally Montana

Geschichte: Die Römer eroberten den Ort 58 v. Chr. und nannten ihn Eburodunum. Ihre Militärbasis mit Soldaten, Handwerkern und Beamten befand sich im Bereich des heutigen Friedhofs. Sie leiteten die benachbarte, schwefelhaltige Thermalquelle in ihre Siedlung. Erste Gäste für Trink- und Badekuren trafen bereits im 1. Jahrhundert n. Chr. ein.

Schinznach Bad AG

Ort: Brunnen vor dem Thermalbad-Eingang, Badstrasse 50 Wasser: 45 °C, Gesamtmineralisation 2829 mg/l; Kalzium 384 mg/l, Magnesium 83 mg/l, Sulfat 1050 mg/l

Trinken: maximal 5 dl/Tag, empfohlen bei Verdauungsstörungen, Reizmagen, Verstopfung

Quelle: Sally Montana

Geschichte: 1654 auf einer Kiesbank der Aare entdeckt, bei einer Überschwemmung zugeschüttet und 1691 auf der anderen Aareseite wiederentdeckt. Im Lauf der Jahrhunderte entstanden Kurgebäude. 1998 lieferte eine erneute Bohrung in 370 Metern Tiefe das qualitativ beste Wasser; es ist 45 Grad warm und dient auch zum Heizen der Badegebäude.

Bad Zurzach AG

Ort: Brunnen vor dem Thermalbad-Eingang, Dr.-Martin-Erb-Strasse 11 Wasser: knapp 40 °C, Gesamtmineralisation 1007 mg/l; Hydrogenkarbonat 259 mg/l, Sulfat 255 mg/l, Fluorid 10,4 mg/l

Trinken: maximal 4 dl/Tag; für eine gute Magen-Darm-Aktivität 

Quelle: Sally Montana

Geschichte: Die Schweizerische Sodafabrik veranlasste 1914 Sondierbohrungen zur Salzgewinnung und stiess in 416 Metern Tiefe auf eine warme Mineralwasser-Quelle. Der Arzt Martin Erb erkannte das Potenzial, doch erst 1955 entstanden erste Badebaracken, woraus sich der heutige Kurort entwickelte.

Was ist «natürliches Mineralwasser»?

Natürliches Mineralwasser ist unverfälschtes Tiefenwasser – und das heisst nach Definition der Lebensmittelverordnung:

  • Es wird aus einer oder mehreren Quellen oder aus künstlich erschlossenen unterirdischen Wasservorkommen «besonders sorgfältig» gewonnen.
  • Es ist auf natürliche Weise mikrobiologisch einwandfrei.
  • Zusammensetzung und Temperatur dürfen nur unwesentlich schwanken. 
  • Es muss in unmittelbarer Nähe der Quelle abgefüllt oder in Rohrleitungenzum Abfüllort geführt werden.
  • Es darf nicht behandelt und mit keinem Zusatz versehen werden.