Wer ist hier blind?
Wenn eine Person aus dem Arbeitsprozess ausscheidet, gilt es, sie möglichst schnell wieder zu integrieren. Von der IV ist dabei keine Hilfe zu erwarten, wie das Beispiel von Peter Vock zeigt. Zwei Jahre lang erhielt er keinen einzigen Vorschlag für eine passende Stelle.
Veröffentlicht am 10. August 2007 - 17:09 Uhr
Peter Vock ist stark sehbehindert. Auf weite Distanzen verfügt er über eine Sehkraft von gerade mal acht Prozent. Alltägliche Arbeiten wie Einkaufen und Kochen sind für ihn mit grosser Anstrengung verbunden. Noch stärker setzen ihm das Schreiben und das Lesen grösserer Passagen zu. Nach solchen Leistungen lege er sich gerne mal hin, sagt der 45-Jährige.
Vocks Sehschwäche ist angeboren; eine ganze Reihe von Operationen brachte keine Besserung. Trotzdem schaffte er es bei Denner bis zum Filialleiter. Aber mit vierzig musste er anerkennen, dass er die gleiche Leistung wie Nichtbehinderte nicht mehr erbringen kann. Er wandte sich 2002 an die IV. «An der bisherigen Stelle war ich zu stark vom Augenlicht abhängig - ich hoffte darum auf berufliche Massnahmen, um in einem anderen Erwerbszweig Fuss zu fassen», begründet er seinen Antrag.
Immer wieder vertröstet
Doch die IV lehnte ab. Aus dem Arbeitgeberbericht gehe keine Arbeitsunfähigkeit hervor, lautete die Begründung. Noch einmal half sich Peter Vock selbst. Er fand bei Manor eine Stelle im Lager. Doch zwei Jahre später war er wieder gleich weit, «die Arbeit ermüdete meine Augen zu stark». 2004 meldete er sich erneut bei der IV. Diese schickte ihn in einen Lehrgang am Computer, aber 26 Stunden pro Woche am Bildschirm hielten seine Augen trotz Sehhilfe nicht aus.
Nach dem erfolglosen Experiment am Computer kam Peter Vock zur Überzeugung, er sei arbeitsunfähig; er stellte Anfang 2005 den Antrag für eine Rente. Doch die IV befand, seine selbstdiagnostizierte Arbeitsunfähigkeit sei auch die Folge einer psychischen Belastung. Man beschloss, Vock psychiatrisch und medizinisch begutachten zu lassen.
Aber es passierte nichts. Existenzängste belasteten Vock nun, denn die Krankenversicherung stellte nach einem Jahr die Zahlung der Taggelder ein. Peter Vock schrieb der IV, immer wieder. Man vertröstete ihn. Im August 2006 bekam die IV Wind davon, dass sich Vock an den Beobachter gewandt hatte. Darauf erhielt er endlich einen Termin.
Ein Gutachten gibt Vock recht
Die Psyche erfreue sich guter Gesundheit, ist dem Untersuchungsbericht zu entnehmen. Auch was die Sehkraft anbelangt, wurde Peter Vock bestätigt: Es bestehe in der angestammten Tätigkeit seit langem eine bleibende, volle Arbeitsunfähigkeit. Mehr noch: Vock habe jahrelang über das eigentlich medizinisch Mögliche und Zumutbare hinaus gearbeitet. Es sei kaum zu verstehen, wie er das habe bewerkstelligen können. Das Gutachten kommt zum Schluss, Peter Vock sei aber eine reine Blindentätigkeit zu 50-prozentiger Arbeits- und Leistungsfähigkeit zuzumuten.
Darauf stützt sich die IV jetzt ab. Sie gesteht Vock zwar eine 75-prozentige Rente zu, inklusive Nachzahlung seit 2004. Es sei ihm auch zuzumuten, eine 50-Prozent-Stelle anzunehmen, bei der er die Hälfte der Leistung erbringen müsse, «in einer der Behinderung angepassten Tätigkeit».
Dieser Entscheid macht Peter Vock vor dem Hintergrund all dessen, was passiert war, ratlos. Nicht dass er es ablehnen würde, selber etwas zu seinem Lebensunterhalt beizutragen, «aber wo sind die zu meiner Behinderung passenden Stellen?», fragt er. Zwei Jahre lang habe er von der IV nicht einen einzigen Vorschlag erhalten. In diese Zeit fiel auch der Abstimmungskampf zur 5. IV-Revision. Es wurde dabei stets verkündet, man müsse die Behinderten schnell wieder in die Arbeitswelt eingliedern. Die ganze Geschichte hat Peter Vock noch ein bisschen müder gemacht.
1 Kommentar
Es kann doch nicht sein, dass man IV BezügerInnen nicht dabei behilflich ist, eine Arbeitsstelle zu suchen und finden. Wer keine sinnvolle Aufgabe hat, dessen Selbstwertgefühl leidet mitunter sehr. Für mich ist es absolut unverständlich, dass Leuten, die ihre Arbeit verlieren oder aufgeben, nicht von der IV beraten werden. Ihnen sollte ein Coach vermittelt werden, der zunächst ähnlich einer Berufsberatung zusammen mit der Person, die keine Arbeit mehr hat, herauszufinden versucht, wo die Wünsche in Bezug auf die Arbeit liegen. Danach sollte der Person geholfen werden, entsprechend ihrer Beeinträchtigung eine geeignete Arbeitsstelle zu finden. Da werden meines Erachtens viele Menschen mit einer Beeinträchtigung allein gelassen. Insbesondere auch solche, die nicht in einer geschützten Werkstatt u.ä. arbeiten sollten, sondern durchaus im ,normalen' Arbeitsumfeld tätig sein könnten.