Mit gesenkten Köpfen lauschen die trauernden Erben der Abdankungsrede. Während die Organistin einfühlsam das Lied «Näher mein Gott zu dir» spielt, ringen sie um Fassung. Der Verblichene war ihnen teuer – möge er in Frieden ruhen.


Doch bald darauf ist es zumindest mit dem Familienfrieden endgültig vorbei. Die Hinterbliebenen entfesseln einen erbittert geführten Verteilkampf ums Erbe, der die Verwandtschaft gründlich und über Generationen entzweit. Natürlich trifft der Vorwurf der Missgunst, der Unehrlichkeit oder gar der Geldgier stets nur die anderen, die Gegner. Das eigene Handeln hat hingegen ganz andere Beweggründe: Es geht um die Gerechtigkeit. Oder noch nobler: ums Prinzip.

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Es ist aber sehr unfair, bei Erbstreitigkeiten den schwarzen Peter immer nur den beteiligten Erben zuzuschieben und sie allesamt als Streithähne abzutun. Manche ernten unverschuldet, was der oder die nunmehr in Frieden ruhende Verstorbene noch zu Lebzeiten – unbewusst oder böswillig – gesät hat. Tatsächlich gibt es zahllose Möglichkeiten, die Saatkörner der Zwietracht unter seine zukünftigen Erben zu streuen. Die folgenden zählen in der Gerichts- und der Beratungspraxis zu den wirkungsvollsten:



  • Schreiben Sie ein Testament!

    Oder noch besser: Verfassen Sie mehrere mit widersprüchlichem Inhalt und ohne Errichtungsdatum. Bereichern Sie sie ausserdem mit orakelhaften Teilungsvorschriften: Die Rätselfreunde unter Ihren Erben werden Ihre Mühe sehr zu schätzen wissen.

    Benutzen Sie Ihren letzten Willen zugleich als allerletzten Denkzettel. Die von Ihnen zu Unrecht gemassregelten oder gar enterbten Angehörigen werden unfehlbar dafür besorgt sein, dass Sie noch lange unvergessen bleiben.


    Falls Sie spezielle Bestattungswünsche hegen, teilen Sie diese keinesfalls Ihren lieben Nächsten mit, sondern halten Sie sie im sorgsam versiegelten, auf dem Notariat hinterlegten Testament fest. Bis die Erben vom zuständigen Amt die Testamentseröffnung erhalten werden, ist es längst zu spät: Statt kremiert, wie von Ihnen gewünscht, sind Sie längst erdbestattet worden. Oder umgekehrt.



  • Schreiben Sie kein Testament!

    Mündliche Versprechen auf eine grosse Erbschaft sind risikolos, da sie nur in Form eines Testaments oder Erbvertrags gültig und damit im Streitfall durchsetzbar sind. Sie dürfen also beliebigen Personen vertraulich zuflüstern, dass Sie sie als Alleinerben eingesetzt haben, um sich dann ihrer gesteigerten Wertschätzung zu erfreuen. Was nach Ihrem Tod passieren wird, kann Ihnen schliesslich egal sein. Ebenso, dass alle leer ausgegangenen «Alleinerben» sich gegenseitig verdächtigen, Ihr angebliches Testament beseitigt zu haben.

    Bitter von Ihnen enttäuscht wird auch

    Ihre langjährige Lebensgefährtin sein. Obwohl Sie Ihnen ohne Trauschein in guten wie in schlechten Tagen beigestanden ist, wird sie nach Ihrem Tod mangels gesetzlichen Erbrechts mit leeren Händen dastehen. Ihr einziger Trost: Was sie nicht erbt, braucht sie auch nicht zu versteuern.



  • Seien Sie geizig!

    Werden Sie seit Jahren von Ihrer Tochter liebevoll betreut und gepflegt, ohne dass Sie sie bis heute angemessen entschädigen konnten? Und besorgt sie für Gotteslohn auch noch Ihren Haushalt? Dann versprechen Sie ihr lediglich mündlich, aber keinesfalls in einem verbindlichen Schriftstück, dass sie ihren wohlverdienten Lohn aus der Erbschaft erhalten werde.

    Uber die dank Ihrer sich aufopfernden Tochter eingesparten Spitex- und Heimkosten werden sich Ihre übrigen Kinder freuen, die sich jeweils nur zu Weihnachten kurz bei Ihnen blicken lassen. Denn: Wer Familienangehörigen beisteht, tut dies rechtlich gesehen «in Erfüllung einer sittlichen Pflicht» und hat bei einer strittigen Erbteilung wenig Chancen, ein nachträgliches Entgelt durchzusetzen. Zeigen sich die anderen Kinder erwartungsgemäss knausrig, wird Ihre Tochter Ihnen und den Geschwistern zeitlebens für die wertvolle Erfahrung dankbar sein: «Undank ist der Welten Lohn.»



  • Seien Sie ungerecht!

    Wer still und heimlich einem seiner Kinder das Eigenheim verschenkt, muss damit rechnen, dass bald auch die übrigen Nachkommen davon erfahren. Das ist für Sie kein Problem: Sie können mit Ihrem Hab und Gut machen, was Sie für richtig halten. Sie sind auch nicht verpflichtet, den neugierigen Kindern die Ubernahmebedingungen preiszugeben oder ihnen einen gleichwertigen Zustupf im Form einer Schenkung oder eines Erbvorbezugs zu

    gewähren. Erklären Sie ausserdem das

    begünstigte Kind öffentlich zu Ihrem absoluten Liebling, und überhäufen Sie es mit weiteren Zuwendungen finanzieller wie persönlicher Art. So können Sie bereits zu Lebzeiten beobachten, wie sich die Spannungen unter den Geschwistern aufbauen.



  • Verschenken Sie Vermögen!

    Es steht Ihnen auch frei, Ihre gesamte Altersvorsorge kurz vor Eintritt ins Altersheim heimlich Ihrem Patenkind oder dem Jodlerverein zu verschenken. Bei der Berechnung Ihres Heimtarifs ebenso wie bei der Frage, ob Sie nun Anspruch auf Altersbeihilfe oder Ergänzungsleistungen haben, wird Ihnen das verschenkte Vermögen

    allerdings weiterhin angerechnet werden, wie wenn Sie noch der glückliche Besitzer wären. Denn wer seine ganze Altersvorsorge ohne angemessene Gegenleistung verschenkt, handelt rechtsmissbräuchlich und soll dafür nicht auch noch mit Steuergeldern belohnt werden.

    Folge: Sie geraten in finanzielle Schwierigkeiten. Ihre Spekulation, inskünftig allein von Altersrenten und der Sozialhilfe leben und damit Ihre bisherigen Steuerzahlungen «amortisieren» zu können, erweist sich als Bumerang. Stattdessen riskieren Ihre Nachkommen, im Rahmen der gesetzlichen Verwandtenunterstützungspflicht für Sie mit aufkommen zu müssen. Noch bevor Sie selig entschlafen sind, werden Ihre Kinder wohl alles versuchen, um beim Patenkind oder bei Ihren Jodlerfreunden einen Teil ihrer Auslagen und das entgangene Erbe zurückzuholen.



  • Vermeiden Sie Beratung!

    Bei komplizierten finanziellen Verhältnissen sollten Sie sich auf keinen Fall von Fachleuten wie Notaren oder Anwältinnen beraten lassen. Diese werden genug Arbeit und Verdienst erhalten, wenn sich Ihre Erben bei der Interpretation Ihres unklaren oder widersprüchlichen letzten Willens in die Haare geraten. Für die entsprechenden Honorarforderungen brauchen dann nicht mehr Sie, sondern – eben – die Erben aufzukommen.



  • Bleiben Sie optimistisch!

    Allen recht getan ist schwierig, bisweilen sogar unmöglich. Wenn Sie schliesslich in standhaftem Bemühen Ihre Erbfolge doch noch unter Berücksichtigung aller nur denkbaren Wünsche Ihrer Erben geregelt haben, fügen Sie Ihrem Testament frohgemut folgenden Satz bei: «Und nun bleibt mir die Hoffnung, dass Ihr, meine Lieben, die Erbteilung einig, gerecht und friedfertig nach meinen Wünschen durchführt.»

    Rechtsgelehrte werden über diesen Satz zweifellos den Kopf schütteln und ihn mangels Durchsetzbarkeit als pathetische Leerformel abtun. Viel lieber sähen sie konkretere Ermahnungen wie: «Wer dieses Testament anficht, wird von der Erbschaft ausgeschlossen, pflichtteilsberechtigte Erben werden auf den Pflichtteil gesetzt.» Im Zweifelsfall können Sie ja beide Sätze

    kombinieren. Doch wie sehr Sie sich auch anstrengen, nichts kann letztendlich eine friedliche Erbteilung garantieren. Nur eines ist gewiss: Kommt es unter Ihren Erben tatsächlich zum Streit, ruhen wenigstens Sie längst in Frieden.
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