Zu den Personen
Jacqueline Badran, 53, jobbte auf der Pferdefarm und in der Skischule, studierte Biologie und in der Kaderschmiede St. Gallen (HSG) Ökonomie. Die Zürcherin sitzt seit 2011 für die SP im Nationalrat.
Ruedi Noser, 54, lernte Maschinenmechaniker, ist diplomierter Elektroingenieur und studierte an der HSG Unternehmensführung. Seit 2003 sitzt der Zürcher für die FDP im Nationalrat.
Beobachter: Jacqueline Badran, Ruedi Noser, haben Sie schon geerbt oder werden Sie erben?
Badran: Ich? Null. Zwei Väter, zweimal null. Beide haben ihr Geld im Krieg verloren. Mein leiblicher Vater im libanesischen Bürgerkrieg: Er hatte dort in Hotels investiert. Er war ein Dagobert-Duck-Typ, der bis zum Umfallen arbeitete. Mein Stiefvater, ein italienischer Graf, verlor einen grossen Teil seines Vermögens im Zweiten Weltkrieg. Der Rest ist an die Kinder seiner Schwester gegangen.
Noser: Ich habe noch nichts geerbt. Es werden vielleicht einmal ein paar Franken sein. Meine Mutter lebt von der AHV, hat keine Pensionskasse. Scharf bin ich nur auf ihre Bücher.
Beobachter: Sie haben beide ein IT-Unternehmen gegründet – ganz ohne Erbvorbezug oder Schenkung?
Badran: Ja, ganz ohne.
Noser: Ich habe 20'000 Franken von meinem Vater bekommen.
«Ich? Null. Zwei Väter, zweimal null. Beide haben ihr Geld im Krieg verloren.»
Jacqueline Badran
Beobachter: Und nun haben Sie einiges zu vererben.
Badran: Ich habe keine Kinder und habe vor, meine Firma an meine Mitarbeiter zu vererben. Nach heutigem, kantonalem Recht müssten sie 33 Prozent Steuern bezahlen, und es gibt keinen Freibetrag. Leibliche Kinder dagegen müssten im Kanton Zürich gar nichts bezahlen. Diese Ungleichbehandlung würde mit der neuen Bundessteuer endlich wegfallen, da nicht mehr nach Verwandtschaftsgrad unterschieden wird. Nur Ehegatten wären steuerbefreit.
Noser: Vor ein paar Jahren hätten meine Erben wahrscheinlich nichts bezahlen müssen, heute hat meine Firma einen viel höheren Wert. Würde ich jetzt sterben, müssten einige Erben einen sehr hohen Betrag bezahlen.
Beobachter: Die heutigen Gesetze machen je nach Verwandtschaftsgrad grosse Unterschiede. Finden Sie das gerecht?
Noser: Selbstverständlich. Die eigenen Kinder sind einem doch am nächsten. Sie haben zudem auch eine Unterstützungspflicht gegenüber den Eltern. Auch gegenüber reichen...
Badran: Das ist ein zynisches Argument. Kinder müssen reiche Eltern sicher nicht finanziell unterstützen. Die haben ja selber schon genug. Wer aber nichts erbt, muss unter Umständen seine Eltern unterstützen und kann folglich weniger sparen.
«Ich erbe vielleicht ein paar Franken. Scharf bin ich nur auf Mutters Bücher.»
Ruedi Noser
Beobachter: Ruedi Noser, als Liberaler müssten Sie skeptisch sein gegenüber unverdient erhaltenem Geld.
Noser: Als Unternehmer wäre ich durchaus bereit, die Vermögenssteuer abzubauen, um eine Erbschaftssteuer einzuführen. Aber die Initiative führt nur zu einer zusätzlichen nationalen Steuer...
Badran: Das stimmt nicht, es ist keine neue Steuer. Sie ersetzt nur die kantonalen Erbschaftssteuern.
Noser: Wenn du mir noch einmal ins Wort fällst…
Beobachter: Ruedi Noser, Sie warnen vor Schäden für kleine und mittlere Unternehmen (KMU).
Noser: Der privilegierte Steuersatz für Unternehmen, den die Initianten vorschlagen, ist mit fünf Prozent immer noch relativ hoch. Und die Freibeträge korrigieren sie ständig nach oben, gleichzeitig aber auch die Erträge aus der Steuer. Das kann nicht aufgehen. Ausserdem: Wenn der KMU-Schutz sehr grosszügig ausgebaut wird, steigt der Anreiz, ihn zu missbrauchen. Dagegen bräuchte es dann Gesetze mit 150 Paragrafen. Für Unternehmer, die sich um ihre Nachfolge kümmern, eine unmögliche Situation. Da basteln wir an einer tödlichen Unsicherheit für die Unternehmen.
Badran: Bis 1999 hatten wir eine viel höhere Erbschaftssteuer, auch für direkte Nachkommen. Damals gab es überhaupt keinen KMU-Schutz, trotzdem ist nichts zusammengebrochen. Wenn die Sika-Erben das Geld in der Firma behalten, sind sie durch das neue Gesetz geschützt; wenn sie verkaufen, haben sie bewegliches Vermögen und können die Steuern zahlen, voilà!
Beobachter: Mit der Erbschaftssteuer sollen die Löcher in der AHV gestopft werden. Funktioniert das?
Noser: Man kann die AHV nicht mit einer so zufälligen Steuer finanzieren. Je nachdem, wie viele Reiche sterben, verändert sich der Betrag. Mehrwertsteuer und Lohnprozente sollten leicht angehoben werden, gleichzeitig muss aber auch die AHV-Leistung gesenkt werden.
Badran: Das dämpft den Konsum!
Noser: Wir brauchen eine ehrliche Finanzierung. Erbschaftssteuern werden nicht jährlich gezahlt. Und die zwei Milliarden, die die Initianten versprechen, reichen sowieso nicht...
Badran: Vier Milliarden! Die neusten Zahlen gehen von 76 Milliarden aus, die 2015 vererbt werden. Die Steuer darauf würde etwa vier Milliarden einbringen. Dieser Betrag bleibt im Portemonnaie der Leute und der KMU. Sonst muss dieses Geld über Mehrwertsteuer und Lohnnebenkosten reingeholt werden. Genau das trifft den Mittelstand am härtesten. In den letzten Jahren wurde die Vermögensbildung für das Kapital massiv begünstigt. Die Erbschaftssteuer ist keine Strafe für die Reichen, nur eine kleine Kompensation für den gebeutelten Mittelstand.
«Aha. Bis zwei Millionen ist man also fleissig und nachher nicht mehr?»
Ruedi Noser
Beobachter: Die Vermögen in der Schweiz haben massiv zugenommen. Was spricht dagegen, diese beim Erben zu versteuern?
Noser: Die soziale Durchlässigkeit in der Schweiz ist sehr hoch. Viele der 300 reichsten Schweizer in der «Bilanz» haben sich von unten nach ganz oben gearbeitet. Nur wenige sind bereits in der dritten Generation reich – und diese sind meist sehr engagiert in ihren Firmen. Es wäre doch viel sinnvoller, die eingewanderten Vermögen besser zu besteuern.
Beobachter: Wie das?
Noser: An sie kommt man nicht über die Erbschaftssteuer. Es müssen Steuerschlupflöcher für das globale Kapital gestopft werden. Und die Schweiz unternimmt hier ja viel, etwa mit dem automatischen Informationsaustausch. Es muss aber noch mehr geschehen. Dann wird der Fiskus zu genügend Mehreinnahmen kommen.
Badran: Jetzt redest du eloquent am Thema vorbei. Fakt ist: Wir sind Weltmeister in der Schweiz, was die Vermögensschere betrifft. Zwei Prozent besitzen die Hälfte, ein Viertel der Steuerpflichtigen hat dagegen kein oder ein negatives Vermögen. Das beschämt meine liberale Seele.
Noser: Es gibt auch die andere Seite: 50 Prozent der Steuerpflichtigen bezahlen gar keine Bundessteuern, 15 Prozent finanzieren 60 Prozent. Und ausgerechnet die Zahler wären von der neuen Erbschaftssteuer betroffen.
Beobachter: Die Erbschaftssteuer betrifft nur grosse Vermögen, ab zwei Millionen.
Noser: Die Superreichen können eine Erbschaftssteuer einfach umgehen, denn sie fiele dort an, wo der Erblasser stirbt. Es reicht, vorher seinen Wohnsitz in ein anderes Land zu verlegen. Nehmen wir Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der sein halbes Leben in der Schweiz verbracht hat: Er ist wieder nach Schweden gezogen, wo es keine Erbschaftssteuer gibt.
Badran: Wenn man so argumentiert, können wir ja gleich ganz grundsätzlich die Steuern für Superprivilegierte und Grosskonzerne abschaffen – denn sie finden immer Steuerschlupflöcher. Wir könnten nur die Arbeitseinkommen belasten. Das arbeitende Volk kann nicht so einfach ausweichen.
«Zwei Prozent besitzen die Hälfte. Das beschämt meine liberale Seele.»
Jacqueline Badran
Beobachter: Ist ein Erbe verdientes Geld?
Noser: Wenn Sie für Privateigentum sind, stellt sich die Frage nicht. Niemanden geht es etwas an, was eine Familie mit ihrem versteuerten Einkommen und Vermögen macht. Und auch ein Erbe ist ja schon als Vermögen und irgendwann auch als Einkommen versteuert worden. Ob jemand Vermögen anspart, hängt zudem vom Lebensstil ab. Ich chrampfe viel, bin wenig zu Hause und lebe recht bescheiden. Andere geben sofort alles für Luxus aus. Beides soll möglich sein. Der Sparer soll aber nicht bestraft werden.
Badran: Ja, Erbvermögen ist schon mehrfach besteuert worden – aber nicht vom Erben. Der Fleissige und Sparsame soll durch die Erbschaftssteuer auch nicht bestraft werden. Genau darum sieht sie einen Freibetrag von zwei Millionen Franken vor.
Noser: Aha. Bis zwei Millionen ist man also fleissig und nachher nicht mehr?
Badran: Nein. Aber es gibt Grenzen. Damit ich am Schluss meines Lebens zwei Millionen zusammengespart habe, muss ich ein Arbeitsleben lang – von 25 bis 65 – jährlich 50'000 Franken zur Seite legen können. Mehr kann man nicht wirklich «verdienen». Mehr ist unbürgerlich und feudal.
Der neue Beobachter
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Der Beobachter 11/2015 erscheint am Freitag, 29. Mai. Sie erhalten die Ausgabe am Kiosk, als E-Paper oder im Abo.