Marianne Sauter arbeitete 31 Jahre lang für die Swissair-Depositenkasse. «Nun habe ich sie beerdigt», sagt die Chefkassiererin. Mitte Oktober überwies sie die restlichen Guthaben der Angestellten: 110 Millionen Franken.

Knapp zwei Wochen davor hatte Sauter schon einmal den Auftrag gegeben, alle Konti zu leeren und die Saldi an die Eigentümer zu transferieren. Doch die Credit Suisse, die die Gelder hätte übertragen sollen, machte ihr einen dicken Strich durch die Rechnung: Sie blockierte das Geld. Als Begründung gab die CS an, die Mitarbeiter seien nicht besser zu behandeln als andere Gläubiger der maroden Airline; so wie ausstehende Lieferantenrechnungen, Kredite von Banken oder die Darlehen der Obligationäre gehörten auch die Mitarbeiterguthaben ins Nachlassverfahren.

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Vor den Schaltern der Swissair-Kasse kam es darauf zu Tumulten: Die Leute hatten Angst, neben ihrer Stelle auch noch ihr Geld zu verlieren. Und ohne die Einigung zwischen Bundesrat und Banken wären die Ersparnisse des Personals tatsächlich verloren gewesen.

Das Debakel um die Swissair-Depositenkasse führte der Öffentlichkeit schlagartig die Risiken der Betriebskassen vor Augen. Im Vergleich zu Banken oder Sparkassen haben sie erhebliche Nachteile:

  • Bei einem Konkurs des Unternehmens besteht für die Kontoinhaber überhaupt kein Einlegerschutz. Zum Vergleich: Bei einer Bankenpleite bekommen Sparer mit Guthaben bis zu 30'000 Franken ihr Geld zuerst. Es existieren zudem Fonds, die bei einem Bankenkonkurs zugunsten der Sparer einspringen.
  • Es gibt keinerlei staatlichen Schutz. Einlagen bei den meisten Kantonalbanken hingegen sind durch Garantien der Kantone geschützt.
  • Die Betriebskassen unterstehen keiner öffentlichen Aufsicht und Kontrolle. Sie müssen weder über ausreichend Eigenmittel verfügen, noch müssen sie Auflagen erfüllen, wie das Geld zu investieren ist. Bei den Banken ist das anders: Die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) wacht darüber.

Die Mitarbeiterkassen verdanken ihre Sonderstellung einer Ausnahmebestimmung in der Bankenverordnung: Danach unterstehen Einlagen der Arbeitnehmerschaft «bei ihrem Arbeitgeber» nicht den Sicherheitsvorschriften des Bankengesetzes. Der Bundesrat darf solche Ausnahmen vorsehen, «sofern der Schutz der Einleger gewährleistet ist».

Bei den meisten Betriebskassen besteht kein solcher Schutz. Und dennoch erteilte der Bundesrat eine Ausnahmebewilligung. Das Finanzdepartement rechtfertigte diese Sonderregelung mit dem Aufwand: Die EBK hätte «Hunderte von Einrichtungen mit Einlagen von 10 bis 15 Milliarden Franken» kontrollieren müssen.

Bisher hat sich kaum jemand an dieser Ausnahmeregelung gestört. Doch seit der Swissair-Pleite ist alles anders: «Ich würde mir wünschen, dass die Spargelder der Mitarbeiter einen besseren Schutz geniessen», sagt etwa Walter Jenni, 56, aus Wil ZH. Vor seiner Frühpensionierung war er mehr als 30 Jahre lang Swissair-Bordmechaniker.

Als er 1999 in Rente ging, liess er sich sein Kapital in der zweiten Säule auszahlen und hatte bis vor kurzem einen Teil des Geldes bei der Swissair-Betriebskasse parkiert.

Wie die meisten Angestellten der Fluggesellschaft war sich Jenni des erhöhten Risikos nicht bewusst, das mit dieser Anlage verbunden war: «Ich hatte weder in Swissair-Obligationen investiert noch mit Aktien spekuliert.» Seine bittere Erkenntnis: «Bei einer Betriebskasse kann man am Tag X alles verlieren, was man sich über lange Jahre erarbeitet hat.»

Für die Depositenkasse der nationalen Airline käme jede gesetzliche Änderung zu spät. Nicht jedoch für die mehreren hundert übrigen Mitarbeiterkassen – darunter jene der beiden Chemieunternehmen Novartis und Clariant oder der Grossverteiler Migros und Coop.

Nur im Ausnahmefall sind die Spargelder sicher. Zum Beispiel bei den staatlichen SBB: Dort garantiert der Bund den Mitarbeitern die Rückzahlung ihrer Guthaben. Beim Grossteil der Kassen vermischt sich das Geld jedoch ungesichert mit den übrigen Finanzmitteln des Unternehmens – wie bei der Swissair.

So auch beim Liftbauer Schindler im luzernischen Ebikon. «Die Geschichte um die Swissair-Depositenkasse hat uns zwar hellhörig gemacht, aber wir sehen keinen Handlungsbedarf», sagt Peter Bösch, Leiter Finanzen von Schindler Schweiz. Die firmeneigene Betriebskasse habe für alle Beteiligten nur Vorteile: Das Unternehmen erhalte Geld zu günstigen Konditionen, und die Mitarbeiter profitierten von einem attraktiven Zins – derzeit 2,5 Prozent. Das seien, sagt Bösch, «immerhin bis zu zwei Prozent mehr als auf einem herkömmlichen Kontokorrent».

Wirtschaftsanwalt Michael Werder, der sich intensiv mit dem Swissair-Fall befasst, hält diesen Vergleich allerdings für völlig verfehlt: «Die Betriebskasse vergleicht sich mit einer Bank, verdient wie eine Bank, ist aber keine Bank.» Vielmehr gäben die Mitarbeiter ihrem Unternehmen einen Blankokredit; die Firma könne mit dem Geld tun und lassen, was sie wolle.

«Der Mitarbeiter trägt das ganze Risiko, und das für 2,5 Prozent Zins», empört sich Werder. Müssten die Unternehmen bei den Banken solche Blankokredite aufnehmen, käme sie das viel teurer zu stehen. «Mitarbeiterkassen sind für die Firmen leicht verdientes Geld», bilanziert der Experte.

Kein Wunder also, dass es die Arbeitgeber waren, die bei der letzten Revision des Bankengesetzes die Ausnahmeregelung für Betriebskassen durchboxten – trotz vielen kritischen Stimmen von Finanzjuristen.

Doch nicht alle Unternehmer halten die Mitarbeiterkassen für eine gute Sache. EMS-Chemie-Chef Christoph Blocher beispielsweise findet es schlicht «unverantwortlich», dass die Arbeitgeber ihre Belegschaft auffordern, Erspartes in solche Betriebskassen zu investieren. «Selbst wenn die Angestellten das wünschten, würde ich keine solche Kasse einrichten», sagte der SVP-Nationalrat kürzlich gegenüber dem Zürcher Privatsender Tele 24.

Die EBK sieht dennoch keine Notwendigkeit, die Ausnahmebestimmung für Betriebskassen abzuschaffen und sie wie die Banken einer Kontrolle durch die EBK zu unterstellen. Die Begründung von Vizedirektor Andreas Bühlmann: «Mitarbeiter, die ihre Ersparnisse in einer Betriebskasse haben, sollten eigentlich über das erhöhte Risiko im Bild sein.»

Ein Irrtum: Der Fall Swissair hat gezeigt, dass die meisten Kunden bei Betriebskassen keinen Schimmer haben, worauf sie sich einlassen. Die Swissair hatte die Risiken zum Teil gar bewusst verschwiegen: «Um eine Panik zu verhindern und damit nicht alle Leute auf einen Schlag ihr Geld abhoben, durften wir nicht offen kommunizieren, dass die Gefahr eines Totalverlustes besteht», sagt Marianne Sauter von der Swissair-Depositenkasse. «Wir machten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aber am Schalter sowie am Telefon darauf aufmerksam, dass ihre Ersparnisse bei uns nicht sicher sind.»

Sauters Lehre aus der Swissair-Krise: «Man sollte sich überlegen, wie die Einlagen des Personals besser gesichert werden können.» Für Wirtschaftsanwalt Michael Werder gibts nur einen Ausweg: «Die Firmen müssen verpflichtet werden, die Mitarbeiterkassen als separate Gesellschaften zu führen» – und zwar unter Kontrolle der Bankenkommission.

Der Bundesrat wird wohl schon bald prüfen müssen, wie sich die Risiken der Betriebskassen minimieren lassen – so verlangt es ein Postulat, das im Dezember im Parlament behandelt wird. In Bern hat kaum jemand Zweifel, dass National- und Ständerat den Bundesräten diesen Auftrag erteilen. Nur: Die Arbeitgeber werden sich die günstige Finanzquelle Mitarbeiterkasse sicher nicht kampflos nehmen lassen.