Gold ist Schweigen
Nirgendwo wird so viel reines Gold produziert wie in der Schweiz. Fragen zur Herkunft beantwortet man aber ungern.
Veröffentlicht am 23. Juni 2015 - 09:17 Uhr
Die Geheimhaltung beginnt schon auf der Strasse: Erst der dritte Passant weiss, wo sich der Sitz von Argor-Heraeus befindet. Und das im Tessiner Dorf Mendrisio, keine fünf Gehminuten entfernt von einer der wichtigsten Goldraffinerien der Welt.
Das Areal ist von hohen Mauern und Stacheldraht umzäunt. Drinnen muss der Besucher als Erstes mit seiner Unterschrift bestätigen, nichts von dem weiterzugeben, was er hier sieht.
«Der Zugang ins Allerheiligste ist nur wenigen gestattet», sagt Co-Geschäftsführer Wilfried Hörner. Er wird beim Rundgang von zwei Medienverantwortlichen flankiert. Es scheint eine Ehre zu sein, das Innerste von Argor-Heraeus betreten zu dürfen. Dorthin gelangt man durch eine Sicherheitsschleuse. In den Heiligtümern selbst wird man beinahe geblendet vom Glanz des Goldes. Im Gang stehen palettenweise Goldbarren. Es ist wie in einem Dagobert-Duck-Traum.
Gearbeitet wird hier viel von Hand: Die Raffinerie erinnert eher an eine Werkstatt als an einen Hightechbetrieb. Es lohne sich nicht, die Produktion zu automatisieren, sagt Hörner, man stelle jeweils kleine Serien von 500 bis 1000 Barren her.
Doch auch Kleinvieh macht Mist: Die sechs Schweizer Goldraffinerien exportierten im Rekordjahr 2013 Edelmetall im Wert von 120 Milliarden Franken – so viel wie die Exporte der Pharma-, Uhren- und Maschinenindustrie zusammen.
Gold: Die Schweiz ist die Nummer 1
Gut zwei Drittel des Feingoldes weltweit werden in der Schweiz produziert. Das macht das Edelmetall zum wichtigsten Exportprodukt unseres Landes.
Alle Details in untenstehender Grafik:
Welche gewaltigen Mengen Gold in der Schweiz umgesetzt werden, war der Öffentlichkeit bis vor kurzem nicht bewusst. Mehr als 30 Jahre lang wurden die entsprechenden Zahlen geheim gehalten – auch, um die Branche zu schützen. Niemand sollte erfahren, wie viel Gold aus dem Apartheidsland Südafrika oder der totalitären Sowjetunion eingeführt wurde. Die Raffinerien arbeiteten im Verborgenen, wie die Schweizer Grossbanken – ihre Besitzer. Argor-Heraeus etwa war von 1973 bis 1999 mehrheitlich im Besitz der Schweizerischen Bankgesellschaft, die Teil der jetzigen UBS ist. Heute gehört sie der deutschen Heraeus-Gruppe, der Commerzbank, der Münze Österreich und dem Management.
Seit 2014 ist die Aussenhandelsstatistik für Gold öffentlich. Doch die Branche übt sich weiterhin in Diskretion. Auf den Websites der privat gehaltenen Goldraffinerien erfährt man nichts über Geschäftszahlen, Kunden oder Produktionsmengen. Auf entsprechende Medienanfragen wird nur knapp eingegangen.
Doch die Zeit der totalen Diskretion ist zu Ende. 2012 machte die Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker publik, mehrere Schweizer Raffinerien, darunter Argor-Heraeus, seien in Geschäfte mit «schmutzigem» Gold aus Südamerika verwickelt. Seither erscheinen regelmässig ähnliche Berichte – die von den Raffinerien jeweils dementiert werden. Doch sie sehen sich zusehends einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt. Menschenrechtsorganisationen und linke Politiker fordern eine strengere Regulierung der Branche und mehr Transparenz. Die Herkunft des Goldes soll offengelegt werden.
Bei Argor-Heraeus wird neben Primärgold aus der Mine auch Recyclinggold – Barren oder Schmuck – verarbeitet. Das Minengold wird in Form von «Doré»-Barren mit einem Goldanteil zwischen 1 und 90 Prozent geliefert. Diese werden in Salpetersäure eingelegt, damit sich unedle Metalle wie Kupfer oder Zink abtrennen. «Wissen Sie, was das ist?», fragt Wilfried Hörner und zeigt auf einen Plastikbehälter voll mit einem schlammartigen Material. Auf die Vermutung, das sei Abfall aus dem Säurebad, meint er bedeutungsschwer: «Das ist Gold.»
Der «Goldschlamm» wird in kleinen Öfen geschmolzen und zu Platten geformt. Noch ist das Gold aber nicht rein. Die Feinverarbeitung findet mittels Elektrolyse statt. 24 Stunden lang werden die Platten in eine Flüssigkeit eingelegt, dabei wird elektrischer Strom zugeführt. So trennen sich die restlichen Anteile unedler Metalle vom Gold. Nun hat dieses einen Reinheitsgrad von bis zu 99,99 Prozent.
Zuletzt wird das Gold erneut geschmolzen und in Form gegossen: Fertig ist der Ein-Kilo-Barren. Wir sind am Ende des Rundgangs. Doch vor dem Verlassen des Produktionsgebäudes steht eine Kontrolle an. Vertraut wird hier niemandem. Das bedeutet Schuhe ausziehen und Hose öffnen. Mit einem Metalldetektor untersucht ein Sicherheitsmitarbeiter, ob man irgendwo Gold versteckt. Dieser Prozedur müssen sich die 184 Produktionsangestellten täglich unterziehen.
Im Gespräch betont Christoph Wild, der andere Co-Chef, «Vertrauen, Transparenz und Nachhaltigkeit» seien zentrale Werte der Firma. Doch vieles gibt Wild nicht preis – auch nicht, aus welchen Ländern oder sogar Minen das hier verarbeitete Gold stammt.
Argor-Heraeus dürfe die Auftraggeber nicht nennen, denn das Gold gehöre gar nicht ihnen, sagt Wild. Wenn etwa eine Mine Gold liefere, bleibe dieses in ihrem Besitz. Argor führe als Dienstleister die Raffination im Auftrag aus: «Kundennamen zu nennen wäre dasselbe, wie wenn Ihre Bank preisgeben würde, dass Sie bei ihr ein Konto haben.»
«Unsere Kunden haben ein Recht darauf, dass ihre Namen nicht genannt werden.»
Christoph Wild, Co-Chef von Argor-Heraeus Schweiz
Immerhin verrät Wild, wer die grössten Abnehmer des raffinierten Goldes sind: Banken, Edelmetallhändler, die Uhren- und Schmuckindustrie. Doch auch diese Firmen «haben ein Recht darauf, dass ihre Namen nicht genannt werden».
So viel Diskretion macht neugierig. Auf die wiederholte Frage nach der Herkunft des Goldes reagiert der Mediensprecher ungehalten. Co-CEO Wild sagt: «Stellen Sie diese Frage unseren Auftraggebern. Solange diese uns nicht vom Geschäftsgeheimnis entbinden, dürfen wir keine Namen preisgeben, nicht zuletzt aus Datenschutzgründen.» Argor-Heraeus selbst wäre bereit, bei der Schaffung von Transparenz mitzuarbeiten, sagt Wild.
Zu den Auftraggebern der Schweizer Schmelzer gehört Swatch, der weltgrösste Uhrenhersteller. Laut Swatch müssen sich die Lieferanten verpflichten, Gold aus einwandfreien Quellen zu verwenden. Auf weitere Fragen des Beobachters zum Thema Gold reagiert Swatch zugeknöpft. Dann will die Uhrenindustrie also tatsächlich die Herkunft des Goldes nicht offenlegen lassen? In dieser Frage spielt Swatch den Ball den Raffinerien retour. Immerhin ist aus der Aussenhandelsstatistik ersichtlich, mit welchen Ländern die Schweiz Gold handelt. Grösster Lieferant ist Grossbritannien. Mit Abstand wichtigster Abnehmer ist China, oft via Hongkong.
Der Haupthandelsstrom funktioniert so: 12,5-Kilogramm-Barren aus Londoner Depots werden in der Schweiz zu Ein-Kilogramm-Barren umgeschmolzen und nach China verkauft. Gold wird aber auch aus Ländern mit problematischen politischen Strukturen importiert, darunter Burkina Faso, Kolumbien und Kasachstan. Oder aus Kriegsgebieten: Die Genfer Menschenrechtsorganisation Track Impunity Always (Trial) hatte Argor-Heraeus 2013 wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen und wegen Geldwäscherei angezeigt. Argor hatte im Jahr 2005 drei Tonnen Gold aus der Demokratischen Republik Kongo verarbeitet, just zu jener Zeit, als dort ein extrem brutaler Krieg herrschte. Auch wenn das Metall via Uganda und London ins Tessin gekommen war, hätte Argor wissen müssen, dass es sich um Gold aus einem Bürgerkriegsland handelte, findet Trial.
Die Bundesanwaltschaft stellte die Untersuchung diesen März ein, sie fand keine strafbare Handlung. Sie schreibt, die Tessiner Firma hätte zwar nicht zwingend wissen «müssen», aber doch wissen «können», dass sie Raubgold annahm: Argor «unterliess Abklärungen zur Herkunft des Goldes, obwohl das hausinterne Reglement dies bei Zweifeln zur Herkunft von Schmelzgut […] forderte».
Argor-Chef Christoph Wild widerspricht: Hausinterne Regeln seien nicht verletzt worden, da man zu der fraglichen Zeit erst dabei gewesen sei, ein entsprechendes Reglement zu erstellen und mit den Aufsichtsbehörden abzustimmen. «Wir hatten noch kein mit der heutigen Situation vergleichbares Kontrollsystem, doch seither haben wir die Kontrolle der Lieferkette verbessert.»
Über die Einstellung der Strafuntersuchung zeigte sich Trial enttäuscht: Die Justiz gebe Firmen freie Hand, gegenüber dem kriminellen Ursprung von Rohstoffen gleichgültig zu sein. Wild betont, Argor-Heraeus prüfe die Geschäftspartner sorgfältig. Alle in ein Geschäft involvierten Personen, bei Bedarf auch die «Kunden ihrer Kunden», würden identifiziert. Man arbeite nach dem Grundsatz: «Wenn etwas nicht klar ist, Finger weg.»
Minen etwa müssten strenge hausinterne Standards und die Regeln der Branchenorganisation World Gold Council erfüllen. Dazu gehört, dass sie Arbeitsrecht, Sicherheits- und Umweltstandards einhalten, keine Kinder beschäftigen und nicht in Kriege involviert sind. Doch wie wird das überprüft? Laut Wild gibt es Audits durch externe Prüfer. «Wenn ein Hersteller einen Audit verweigert, wird er zwangsläufig vom Markt bestraft.» Argor überprüfe zudem die Minen direkt vor Ort. «Falls die Mine unsere Anforderungen nicht erfüllt, arbeiten wir nicht mit ihr zusammen.»
Angesichts von so viel Sorgfalt wundert man sich, weshalb Argor-Heraeus trotzdem immer wieder beschuldigt wird. Laut der «Sonntags-Zeitung» bezog die Firma zum Beispiel 2010 Gold im Wert von mehreren hundert Millionen Dollar vom kolumbianischen Anbieter Escobar. Dieser sei der Geldwäscherei verdächtigt und deshalb liquidiert worden.
Gemäss der Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien soll Argor von weiteren kolumbianischen Firmen Gold zweifelhafter Herkunft angenommen haben. Argor-Heraeus weist sämtliche Anschuldigungen zurück. Auf Diskussionen zum Thema mag sich Wild nicht einlassen. Nach Jahrzehnten glänzender Geschäfte im Halbdunkel hat das Argor-Management Mühe, mit Kritik umzugehen. Draussen fährt ein gepanzerter Lieferwagen vor. Sicherheitsfirmen bringen und holen das Gold, das in der Regel via Flughafen Zürich transportiert wird.
Im April wurden aus der Schweiz über 600 Tonnen Gold ausgeführt. Der Wert: rund sechs Milliarden Franken. Das Geschäft floriert weiterhin. Und das soll nach dem Willen der diskreten Schweizer Schmelzer so bleiben.