Arzt ohne Bewilligung: Patient ist selber schuld
Wenn ein Arzt ohne Erlaubnis praktiziert, bleiben Patienten auf den Kosten sitzen. Denn die Krankenkassen prüfen zu spät nach.
Veröffentlicht am 26. April 2019 - 09:00 Uhr,
aktualisiert am 25. April 2019 - 16:28 Uhr
Wo Arztpraxis draufsteht, sind Ärzte drin. Davon gehen die meisten Patienten aus. Ob dem so ist und ob die Ärzte über die nötigen Bewilligungen verfügen, steht aber auf einem anderen Blatt. Das musste die 84-jährige Margrith W.* erfahren.
Wegen eines Hautleidens suchte sie einen Dermatologen auf. Einen, bei dem sie vor Jahren schon mal war. Auch diesmal schien alles bestens. «Seine Behandlung hat geholfen, da kann ich nicht klagen.» Die Rechnung über rund 400 Franken reichte Margrith W. bei ihrer Krankenkasse ein, der Visana. Diese zahlte auch.
Die böse Überraschung lag zehn Monate später im Briefkasten: ein Brief der Visana. Unter dem Titel «Rechnungsrückweisung – fehlende Berufsausübungsbewilligung Herr Dr. med. Willy S.*» verlangte die Kasse das längst überwiesene Geld wieder zurück. Denn eine «retrospektive Leistungsüberprüfung» habe ergeben, dass der Arzt zum Zeitpunkt der Behandlung gar keine Bewilligung mehr für eine selbständige Tätigkeit hatte. Ihrer Kundin riet die Visana, das Geld doch einfach beim Arzt zurückzufordern.
Offensichtlich hatte die Krankenkasse selber nicht realisiert, dass Willy S. die Bewilligung zur Berufsausübung entzogen worden war – bereits mehr als ein Jahr vor der fraglichen Behandlung. «Wie hätte ich das als Patientin wissen sollen?», fragt sich Margrith W.
«Wenn der Kanton einem Arzt die Bewilligung entzieht, muss er sicherstellen, dass ab diesem Zeitpunkt die Praxis geschlossen wird.»
Visana
«Es wäre tatsächlich vermessen, zu erwarten, dass Patienten vor jeder Behandlung das Medizinalregister konsultieren und prüfen, ob der Arzt im jeweiligen Kanton über eine aktuelle Berufsausübungsbewilligung verfügt
», räumt die Visana gegenüber dem Beobachter ein. Trotzdem wälzt sie das Problem auf die Kundin ab. Gemäss Gesetz sei es der Kasse gar nicht erlaubt, solche Rechnungen aus der Grundversicherung zu vergüten. Die Visana hätte sie aber auch selber bezahlen können – aus Kulanz.
Die Kasse schiebt die Schuld dem Kanton zu. «Wenn er einem Arzt die Bewilligung entzieht, muss er sicherstellen, dass ab diesem Zeitpunkt die Praxis geschlossen wird.» Tatsächlich war das erst Anfang dieses Jahres der Fall.
Hinweise, dass der Arzt weiter praktizieren könnte, gab es durchaus. Seine mangelhafte Bereitschaft, mit dem Gesundheitsamt zu kooperieren, war sogar einer der Gründe für den Entzug der Bewilligung. Seine «gravierenden wirtschaftlichen Probleme» und eine «versuchte Erpressung» zwei weitere.
Das Problem mit den ärztlichen Bewilligungen und der Information darüber sitzt aber tiefer. Für Bewilligungen ist jeder einzelne Kanton zuständig. Er kann sie für sein Einzugsgebiet verweigern oder entziehen oder andere Auflagen gegen Ärzte verfügen.
Das Register, unter medregom.admin.ch zugänglich, wird dagegen vom Bundesamt für Gesundheit betrieben – aufgrund der Meldungen aus den Kantonen. Jeder kann dort nachschauen, ob ein Arzt über entsprechende Bewilligungen verfügt. Aber auch ohne kann er weiter als Arzt tätig sein. Er darf einfach nicht selber über die Grundversicherung abrechnen.
Wenn ein Kanton die Bewilligung zur Berufsausübung entzieht, betrifft das auch nicht automatisch andere Kantone. Sie gehen unterschiedlich mit den Sanktionen anderer Kantone um. Nur ein absolutes Berufsverbot gilt schweizweit.
Wenn dies auch für die Bewilligung zur Berufsausübung gelten sollte, müsste zuerst das Gesetz geändert werden. Patientenschützer wünschen das, und der Krankenkassenverband Santésuisse erachtet eine «Überprüfung» der Bestimmungen als «zweckmässig».
Immerhin finden bereits Gespräche zwischen Bund und Kantonen statt, um das bestehende Register zu verbessern. «Im Vordergrund steht ein einheitliches Verständnis der Kantone über die gesetzlichen Bestimmungen und deren Anwendung», heisst es dazu beim Bundesamt für Gesundheit.
Ein erstes Ergebnis: Seit Mitte April wird im Register explizit erwähnt, wenn einem Arzt die Bewilligung verweigert oder entzogen worden ist. Bisher stand dort nur, ob er über eine Bewilligung in einem Kanton verfügt. Seit 2013 sind gemäss einem Beitrag der «Rundschau» über 100 harte Sanktionen wie Berufsverbote und Bewilligungsentzüge verfügt worden. Nicht alle Ärzte halten sich daran.
Krankenkassen und die kantonalen Gesundheitsdirektoren wünschen sich darum, dass der Bund Sanktionen schneller kommuniziert, zum Beispiel über Push-Meldungen – auch an die Krankenkassen. Doch das Bundesamt für Gesundheit spielt den Ball zurück an die Kantone: «Sie müssen vor dem Ergreifen einer Massnahme immer prüfen, ob der betroffene Arzt in einem anderen Kanton eine Berufsausbildungsbewilligung hat. Ist dies der Fall, müssen sie die anderen Kantone informieren und sich untereinander abstimmen.» Das Bundesamt könnte eine Push-Meldung erst danach versenden – das wäre oft zu spät.
Margrith W., die weder im Internet surft noch nach Bewilligungen von Ärzten sucht, hat inzwischen vom Dermatologen Willy S. die Rückerstattung ihrer Auslagen verlangt. In einem kryptischen Schreiben bestätigt der Arzt, dass er die Forderung «gerne und selbstverständlich» zurückzahlen werde. Weil der Kanton ihn aber daran hindere – wegen des Berufsausübungsverbots –, könne er die 400 Franken nicht auf einmal bezahlen. Der finanziell offenbar schwerstangeschlagene Arzt möchte den Betrag abstottern. Für eine Stellungnahme war er nicht erreichbar.
Die Rentnerin hofft jetzt, in Raten zu ihrem Geld zu kommen. «Zum Glück geht es um einen relativ kleinen Betrag. Stellen Sie sich vor, man muss sich lange und aufwendig behandeln lassen. Das könnten den Patienten ruinieren.»
Tipp: Hat mein Arzt eine Bewilligung? Die Antwort finden Sie unter medregom.admin.ch
*Namen der Redaktion bekannt
1 Kommentar
Die kantonalen Gesundheitsdirektionen nehmen hier klar ihre Verantwortung nicht wahr. Wenn ein Arzt per rechtlich bindender Verfügung gesperrt wird, so hat die Behörde den Vollzug zu überprüfen. Das ist ausserdem sehr einfach, man macht telefonisch einen Termin ab und schaut, ob dieser gebucht wird. Wenn ja, ist eine Busse fällig, und zwar nicht nur 20.- ! Im Wiederholungsfall wird die Praxis versiegelt. Es ist schäbig, wenn diese behördliche Pflichtverletzung auf dem Buckel von Versicherten ausgetragen wird, wie im geschilderten Fall. Man staunt, was für Asozialitäten es hierzulande immer noch gibt wünschte sich, die SP würde sich diesen genau so engagiert annehmen wie z.B. der "Gleichstellung " von Mann und Frau.