Die Operation seiner rechten Schulter kam Peter Schwarz (Name geändert) teuer zu stehen. Obwohl er weniger als 28 Stunden im Kantonsspital Zug war, bekam er eine Rechnung über 20'220 Franken. Der hohe Betrag machte ihn stutzig: «Ich dachte: Das kann doch nicht sein, da ist sicher ein Fehler passiert», erinnert er sich. Schwarz fragte bei der Spitalverwaltung, seiner Krankenkasse und der Zusatzversicherung nach. Doch überall erklärten ihm die Verantwortlichen, es sei alles rechtens. «Im Spital sagte man mir gar, solche Patienten wie mich wünsche man sich», ärgert er sich.

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Das war 2004. Ende des vergangenen Jahres musste der 53-Jährige wieder unters Messer, diesmal war es die linke Schulter. Doch jetzt betrug die Rechnung für den identischen Eingriff nur noch einen Bruchteil: 2292 Franken. Wie ist das möglich?

Bei der ersten, teuren Operation war Peter Schwarz noch Privatpatient. Doch das allein erklärt die riesige Differenz noch lange nicht. Der Hauptgrund findet sich im Rechnungssystem: Das Zuger Kantonsspital verrechnet nicht jeden Arbeitsschritt einzeln, sondern verlangt stattdessen eine Fallpauschale. Entscheidend ist dabei nicht, wie viel Aufwand das Krankenhaus tatsächlich in die Behandlung eines Patienten steckt, sondern in welche Fallgruppe er codiert wird.

Peter Schwarz wurde in die besonders lukrative Gruppe 223 «grosse Schultereingriffe mit Komplikationen oder Nebenerkrankungen» eingeteilt. Komplikationen? Der operierende Arzt schreibt Schwarz’ Hausärztin nach der Operation: «Es geht ausgezeichnet. Der Patient ist praktisch vollständig beschwerdefrei.» Das Spital Zug sagt hingegen: «Die Codierung erfolgte aufgrund der medizinischen Grundlagen.» Darauf habe sich auch die Rechnung abgestützt.

Der «Bschiss» nennt sich Upcoding

Der Beobachter will es genau wissen und legt einem unabhängigen Spezialisten für Codierungen den Operations- und Austrittsbericht von Schwarz vor. Auf diese Berichte muss sich die Einteilung stützen. Fazit: Der Eingriff hätte als normaler «Schultereingriff ohne Komplikationen» codiert werden müssen. Der Unterschied scheint klein, ist aber wichtig: Das Spital hätte damit auf Einnahmen von über 11'000 Franken verzichtet.

Ein Spital, das seine Patienten auf dem Papier kränker macht, als sie tatsächlich sind, kassiert rasch Hunderttausende von Franken zusätzlich. In Fachkreisen hat dieser «Bschiss» bereits einen Namen: Upcoding. Peter Indra, Leiter Kranken- und Unfallversicherungen beim Bundesamt für Gesundheit, sagt: «Es gibt ziemlich sicher Fälle von Upcoding, damit ein Spital zu höheren Vergütungen kommt. Wie oft dies tatsächlich stattfindet, lässt sich aber nicht sagen, weil dazu die Zahlen noch fehlen.» Heute rechnen verschiedene Spitäler bereits vollständig oder mindestens teilweise nach dem neuen System ab.

«Wir wissen nicht genau, wofür wir bezahlen»

Schon bald muss das System in der ganzen Schweiz eingeführt werden. «Bis jetzt konnten sich die Beteiligten aber nicht auf griffige Kontrollinstrumente einigen», sagt der Basler Gesundheitsdirektor Carlo Conti. Eigentlich müssten Spitalrechnungen von den Krankenkassen kontrolliert werden. Doch sie bezahlen meist blind. «Wir wissen heute bei Rechnungen von Fallpauschalen nicht genau, wofür wir bezahlen», sagt Markus Stuber vom Krankenkassenverband Santésuisse. Bei herkömmlichen Rechnungen kann ein Heer von Sachbearbeitern jede einzelne Position prüfen, bei den Fallpauschalen fehlen den Kassen die entscheidenden Unterlagen. Nur über ihre Vertrauensärzte können sie die Spitalberichte anfordern, auf die sich die Einteilungen stützen. Dieser Aufwand wird nur in Ausnahmefällen betrieben, wie die grössten Krankenversicherer übereinstimmend bestätigen. Dabei gäbe es zahlreiche überhöhte Rechnungen zu entdecken: Revisoren, die Spitäler stichprobenweise überprüfen, finden nicht selten 20 Prozent falsche Codierungen. Könnten sie gar gezielt nach faulen Eiern suchen, wäre die Quote noch höher, sind sich die Experten sicher.

Auch beim Kantonsspital Zug wird stichprobenweise geprüft – und zwar etwa bei einem Prozent der stationären Behandlungen. Wie häufig dabei überhöhte Rechnungen gefunden werden, will die Zuger Gesundheitsdirektion nicht bekanntgeben. Nur so viel: «Es gab kleine Abweichungen, aber diese lagen in einem Bereich, der uns nicht zum Einschreiten veranlasste», lässt die Zuger Gesundheitsdirektion verlauten.

Fallpauschalen: Bald überall

Jedes Schweizer Spital muss schon bald mit Fallpauschalen abrechnen. «SwissDRG» heisst das System, das 2012 flächendeckend eingeführt werden soll. Doch trotz der baldigen Einführung ist das Problem der Kontrolle noch ungelöst: Die Krankenkassen verlangen, dass sie automatisch die Operations- und Austrittsberichte der Spitäler erhalten. Dagegen wehren sich die Spitäler, die sich nicht in die Karten blicken lassen wollen. Auch Patientenorganisationen sind gegen die automatische Weitergabe der Berichte, da sie befürchten, damit kämen die Kassen zu allzu vielen vertraulichen Daten.  

Ein Kompromissvorschlag des Basler Gesundheitsdirektors Carlo Conti, eine neutrale Stelle zwischen Krankenkassen und Spitäler zu schalten, die die Rechnungen kontrolliert, ist bisher chancenlos.