Falsche Rechnungen für Schwangere
Untersuchungen in der Schwangerschaft müssen die Krankenkassen voll zahlen. Doch immer wieder verlangen sie viel Geld von den werdenden Müttern.
Veröffentlicht am 24. Juni 2022 - 10:12 Uhr
Sara Leu* ist in der 8. Woche schwanger, als ihre Frauenärztin Anfang Februar testen lässt, ob sie genügend Eisen und Antikörper gegen Röteln im Blut hat. Eine Blutuntersuchung, die ihre Krankenkasse, die Visana, bezahlen muss. Doch diese leitet die Rechnung über 335 Franken an Leu weiter.
Als die 30-Jährige die Visana auf den Fehler aufmerksam macht, sagt ihr eine Mitarbeiterin, die Abrechnung sei korrekt, vor der 13. Schwangerschaftswoche seien Franchise und Selbstbehalt fällig. Weil Leu eine Franchise von 2500 Franken habe, müsse sie den Laboruntersuch selbst zahlen.
Krankenkasse muss bei Schwangerschaft zahlen
Dieselbe Antwort erhielt Leu später noch von zwei weiteren Visana-Mitarbeiterinnen. Falsch ist sie trotzdem. Gemäss Gesetz muss die Kasse alle Leistungen voll zahlen, die Ärzte oder Labore in Zusammenhang mit einer komplikationslosen Schwangerschaft erbringen. Werdende Mütter sind also ab Beginn der Schwangerschaft von der sonst üblichen Kostenbeteiligung über Franchise und Selbstbehalt befreit (siehe Infobox).
Nur wenn sich eine Schwangere wegen einer Krankheit wie einer Bindehautentzündung in Behandlung begibt, spielt der Zeitpunkt eine Rolle: Vor der 13. Woche muss sie Franchise und Selbstbehalt zahlen, danach entfällt die Kostenbeteiligung bei allen Behandlungen (ausser beim Zahnarzt).
Visana entschuldigt sich
Die zweite Rechnung von Leus Gynäkologin mit dem gleichen Behandlungsdatum zahlte die Visana. Das System hatte erkannt, dass es sich um eine Schwangerschaftsuntersuchung handelte, es ist also richtig programmiert. Das Problem sind Rechnungen, deren Positionen nicht sofort als Schwangerschaftsuntersuchung erkennbar sind – und schlecht informierte Mitarbeitende. Bereits 2020 wies der Beobachter auf dieses verbreitete Problem hin. Geändert hat sich seither scheinbar wenig
Bei Leu seien Fehler passiert, bestätigt die Visana, und verspricht, ihr die 335 Franken zurückzuzahlen. Grundsätzlich würden alle Mitarbeitenden geschult. «Für die falschen Auskünfte, die Frau Leu erhalten hat, bitten wir um Entschuldigung», so die Visana.
Möglicherweise gehört das komplizierte System bald der Vergangenheit an. Anfang 2020 hat das Parlament eine Motion von Nationalrätin Irène Kälin (Grüne) angenommen. Der Vorstoss will Schwangere von Anfang an komplett von der Kostenbeteiligung befreien. Bis Ende Jahr muss das Bundesamt für Gesundheit eine Gesetzesänderung ausarbeiten. Wann diese in Kraft tritt, ist aber noch unklar.
*Name geändert
- In den ersten 12 Schwangerschaftswochen: Alle Leistungen einer komplikationslosen Schwangerschaft werden ohne Franchisenbeteiligung und Selbstbehalt voll von der obligatorischen Grundversicherung bezahlt.
- Eine Ausnahme sind Schwangerschaftskomplikationen: Kommt es bis zum Beginn der 13. Schwangerschaftswoche zu Komplikationen wie etwa einer Fehlgeburt, gelten diese als Krankheit, Franchise und Selbstbehalt müssen von der Schwangeren bezahlt werden
- Ab der 13. Schwangerschaftswoche: Selbstbehalt und Franchise entfallen bei allen Behandlungen – auch wenn sie nichts mit der Schwangerschaft zu tun haben – bis und mit acht Wochen nach der Geburt des Kindes.
Wurden Sie von der Krankenkasse fälschlicherweise aufgefordert, sich an den Kosten zur Schwangerschaftsbehandlung zu beteiligen? Mit dem Musterbrief «Anpassung der Leistungsabrechnung bei einer Schwangerschaftsbehandlung» können Sie sich als Beobachter-Mitglied dagegen wehren. Falsche Abrechnungen kann man bis zu 5 Jahre rückwirkend korrigieren lassen und das Geld zurückfordern.