Stolze 3,6 Milliarden Franken Gewinn sackten die Lebensversicherungen zwischen 2005 und 2012 mit ihren Sammelstiftungen ein, die Pensionskassenguthaben verwalten. Trotzdem prescht nun Branchenleader Axa vor und kürzt auf das kommende Jahr die Renten.

Die Kürzung betrifft den überobligatorischen Teil des Sparguthabens – also unter anderem alles, was aus dem Anteil eines Lohnes über 84240 Franken im Jahr anfällt. Dort gilt dann nur noch ein Umwandlungssatz von 5,604 Prozent für Männer und 5,48 Prozent für Frauen. Damit werden die Renten um 4 und 1,7 Prozent gekürzt. Das trifft viele. Denn die Mehrheit der Arbeitnehmer ist überobligatorisch versichert.

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Nicht antasten können die Versicherer die Rente innerhalb des BVG-Obligatoriums. Dort gilt bis auf Weiteres ein Umwandlungssatz von 6,8 Prozent. Das heisst, pro 100'000 Franken Alterskapital gibt es unabhängig vom Geschlecht eine lebenslängliche Rente von 6800 Franken pro Jahr.

Die Axa begründet die Kürzung zulasten der Versicherten damit, dass es so «weniger Umverteilung und mehr Generationen-Fairness» gebe. Schliesslich steige das Alter der Rentner stetig, und die Anlagen rentierten wegen der tiefen Zinsen nur schlecht. Dies und der «zu hohe» Umwandlungssatz hätten dazu geführt, dass die Axa jedes Jahr 300 Millionen Franken von den zahlenden Versicherten zu den Rentnern umverteilen müsse.

Jeder fünfte Franken geht weg

Das klingt einleuchtend. Doch die Sache hat einen Haken: Die Axa profitiert von den tieferen Renten. Sie kann aus den Prämieneinnahmen grössere Rückstellungen bilden und das Geschäft mit den Sammelstiftungen trotzdem sehr profitabel gestalten.

Das zeigen auch die Berechnungen, die der Pensionskassenexperte Jürg Jost für das Jahr 2012 gemacht hat. Von 100 Franken, die Versicherte in die Pensionskasse einzahlen, gehen knapp 20 Franken an die Versicherungen. Neben den Kosten für Administration, Vermögensverwaltung und Abwicklung der Risikoleistungen streichen die Versicherer auch noch die sogenannte Legal Quote ein (siehe nachfolgende Box «Der Streit um den Gewinn der Versicherer»). Sie liegt bei maximal 10 Prozent der Erträge, die mit den Spargeldern und den Prämien erzielt werden. 2012 kamen die Versicherer so auf 661 Millionen Franken. Jeden Versicherten kostete damit die Legal Quote im Durchschnitt rund 350 Franken.

Die Versicherungsgesellschaften rechtfertigen die hohen Gewinne damit, dass sie mit ihrem Eigenkapital haften und ihre Sammelstiftungen – anders als die anderen Pensionskassen – zu keiner Zeit in Unterdeckung geraten dürfen. Aktuell arbeiten acht Versicherungsgesellschaften mit Sammelstiftungen. Ihnen angeschlossen sind die Hälfte der zahlenden Versicherten und jeder vierte Rentner.

Ein hoher Preis für kleine Garantien

Bis allerdings eine Sammelstiftung in Unterdeckung gerät, muss schon sehr viel passieren. Denn die Versicherungen haben vorgesorgt und sich in den letzten Jahren dicke Finanzpolster zugelegt, die praktisch alle Risiken auffangen. Zudem verfügen sie über weitere 15 Milliarden Franken an stillen Reserven. Sie haben – prozentual gesehen – höhere Reserven als die meisten autonomen Pensionskassen.

Sollten trotzdem alle Stricke reissen, haben sie noch weitere Sicherheitsnetze aufgespannt. Im Krisenfall können sie problemlos Rückstellungen auflösen und – zumindest teilweise – Defizite erst im Folgejahr verrechnen, um nicht in Unterdeckung zu geraten. Erst wenn auch das nicht reicht, haften sie mit ihren Eigenmitteln. «Diese Kaskade zeigt deutlich: Es ist ein Geschäft mit doppeltem Boden. Es sind die Versicherten, die den Grossteil der vielgepriesenen Sicherheiten selber bezahlen», kritisiert der Gewerkschaftsbund. Gemäss der Finanzmarktaufsicht gab es seit 2005 nur ein einziges Jahr mit negativem Betriebsergebnis: 2008, während der schwersten Bankenkrise seit 1929, resultierte ein Minus von 906 Millionen Franken. In allen anderen Jahren flossen Gewinne in Höhe von mindestens 600 Millionen Franken.

Selbst in schlechten Anlagejahren schreiben die Sammelstiftungen Gewinne, und die Versicherungen können die Legal Quote einstreichen. Das geht auch so leicht, weil sie verschiedene versicherungstechnische Parameter fast beliebig zu ihren Gunsten verändern können. Wie im Jahr 2008: Hätten damals die einzelnen Versicherer gleich hohe Rückstellungen vorgenommen wie im Jahr zuvor, wäre das Ergebnis ein paar hundert Millionen Franken tiefer ausgefallen. Um das gewünschte Jahresergebnis zu erhalten, lösten sie einfach – gesetzlich legal – Rückstellungen auf. Zudem setzten sie die Kosten für die versicherten Risiken um gut 800 Millionen Franken tiefer an als im Jahr darauf. Dank all diesen Massnahmen konnten sechs Gesellschaften trotz einem schlechten Anlageergebnis die Legal Quote abschöpfen.

Der Versicherer gewinnt immer

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sich die Versicherungen gegen jede Änderung der Legal Quote wehren. Diesen Ertrag streichen sie heute auch dann voll ein, wenn es sich gar nicht um eine Vollversicherung handelt, sondern der Vertrag nur einen Teil der Risiken abdeckt. Sie behaupten, eine Unterscheidung würde nur dazu führen, dass die Prämien steigen würden. Deshalb sei sie kontraproduktiv.

Eigenartig zudem: Nach welchen Kriterien die Versicherungen festlegen, wie hoch sie die Altersguthaben verzinsen, sagen sie ihren Kunden nicht. Das gehöre zu den «Geschäftsgeheimnissen, die aus wettbewerbsrechtlichen Gründen nicht bekanntgegeben werden», so die Axa. Sie weist darauf hin, dass die Altersguthaben in den letzten 30 Jahren sehr fair verzinst worden seien: zu 4,08 Prozent statt zu 3,34 Prozent, wie dies gemäss Mindestzinssatz möglich gewesen wäre.

Vorsorgeexperte Jürg Jost macht eine andere Rechnung. Die Marktführer Axa und Swiss Life erzielten in den Jahren 2010 bis 2012 mit den Anlagen der Versicherten eine Rendite von 5,9 Prozent, ihren Versicherten schrieben sie aber lediglich 2,2 Prozent gut. Aus rein versicherungstechnischer Sicht wäre deutlich mehr möglich gewesen, argumentiert Jost. Aktuell sei ein Mindestzinssatz von 2,5 bis 3 Prozent «realistisch». Das hätte den positiven Nebeneffekt, dass die Umverteilung von aktiv Versicherten zu Rentnern deutlich kleiner ausfallen würde.

Doch die Versicherungen konnten sich im vergangenen Herbst in Bern einmal mehr durchsetzen. Der Bundesrat fixierte den Mindestzins bei nur 1,75 Prozent.

Legal Quote: Der Streit um den Gewinn der Versicherer

Die Legal Quote legt fest, wie viel Gewinn die Lebensversicherungen auf Kosten der Versicherten machen dürfen. Sie wurde eingeführt, um den Gewinn der Privatversicherungen einzuschränken, da es sich bei der beruflichen Vorsorge um eine obligatorische Versicherung handelt. Die Höhe der Legal Quote ist seit Jahren umstritten. Sie liegt bei 10 Prozent und soll in
der vom Bund geplanten Grossreform Altersvorsorge 2020 diskutiert werden.

Zudem verlangen Kritiker einen Systemwechsel bei der Berechnung: Die Legal Quote soll nicht mehr anhand des Brutto-, sondern neu aufgrund des Netto-Anlageertrags berechnet werden. Das hätte einschneidende Folgen. Die Versicherer würden durchschnittlich nur noch halb so viel einstreichen.

Seit Jahren drohen die Versicherungen erfolgreich damit, dass sie aus dem Geschäft mit der beruflichen Vorsorge aussteigen, wenn die Legal Quote gekürzt werde. Wirklich? Der Beobachter fragte genauer nach:

  • Swiss Life geht davon aus, dass alles beim Alten bleibt.

  • Axa will sich nicht festlegen und erklärt, «im Zentrum» ihrer Betrachtungen stünden die Kundenwünsche.

  • Die Helvetia kündigt eine stärkere Selektion bei den Kunden an, sprich: Sie würde nicht mehr mit jedem KMU eine Vollversicherung abschliessen. Zudem würde die Rendite aller Versicherten sinken.

  • Nur die Basler sagt unverblümt, bei einer «Verschärfung der geltenden Regelung zulasten der Versicherer» sei «das heutige Vollversicherungs angebot substantiell gefährdet».