Barbara H. arbeitet als Souffleuse im Theater. Eines Tages hat sie selbst ein Theater – nämlich mit ihrer Pensionskasse. Anders als auf der Bühne sieht sie beim Blick hinter die Kulissen der Vorsorgeabrechnung aber nur schwarze Löcher: Zahlen, die nach ihrer Auffassung nicht stimmen – was die Schauspielhaus-Verantwortlichen wiederum bestreiten. Sie wendet sich an den Beobachter.

Sozialversicherungsexperte Walter Ilg stellt rasch fest, dass der Vorsorgeeinrichtung Fehler unterlaufen sind. Barbara H. befolgt seine Ratschläge. Zwei Monate später schreibt sie: «Die Pensionskasse hat mir bestätigt, dass die Abrechnungen des Theaters unkorrekt waren. Nach einem weiteren eingeschriebenen Brief hat die Arbeitgeberin meine Forderungen anerkannt und den entsprechenden Betrag ausbezahlt.»

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Bedürfnis nach Beratung wächst
Ein Fall für zwei: für die Versicherte und für den Experten. Denn wenns kompliziert wird – und das ist bei Pensionskassen häufig der Fall –, können Arbeitnehmer ihr Problem selten allein lösen. Für Walter Ilg ist es nur ein Fall unter vielen: «Wir erhalten beim Beobachter jedes Jahr weit über 1000 Anfragen zur zweiten Säule.»

Seit der Einführung des Pensionskassenobligatoriums 1985 wächst das Bedürfnis nach kompetenter Beratung. Zu den häufigsten Fragen der Versicherten zählen Unklarheiten auf dem Versicherungsausweis, die Höhe der Freizügigkeitsguthaben beim Stellenwechsel, die Verwendung des Vorsorgegelds für Wohnungskauf, die spätere Rentenhöhe sowie die Möglichkeit des Kapitalbezugs bei der Pensionierung.

Haben Versicherte Probleme, wenden sie sich oft an die kantonalen Aufsichtsbehörden. Cyrill Schubiger, Chef des Aargauer Amts für berufliche Vorsorge und Präsident der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden, hat deshalb im September 1998 mit weiteren Pensionskassenexperten den Verein BVG-Auskünfte gegründet. Dieser bietet in Zürich und in Bern einmal pro Monat unentgeltliche Auskünfte zur beruflichen Vorsorge an. Schubiger: «Das Publikumsbedürfnis ist ausgewiesen.»

Auch in Basel gibt es seit dem letzten Herbst eine Pensionskassenauskunftsstelle. Sie wird präsidiert von Christina Ruggli, Leiterin der Aufsichtsbehörde BVG und Stiftungsaufsicht des Kantons Basel-Stadt: «Da die Materie sehr komplex ist, suchen viele Versicherte einen unabhängigen Ansprechpartner – und zwar möglichst auf niederschwelliger Ebene.»

An den vorerst drei Auskunftsorten werden gegenwärtig zwar lediglich rund ein Dutzend Beratungen pro Tag und Stadt durchgeführt. «Doch die Nachfrage wächst», sagt Cyrill Schubiger. Sein Verein plant deshalb bereits eine weitere Anlaufstelle in Genf. Und dem Pensionskassenexperten schwebt noch mehr vor: «Mittelfristig träume ich von einem Beratungsauto, das in der Schweiz herumfährt. Es könnte dann zum Beispiel auch den Zeltplatz von Nidau BE besuchen und dort Beratung anbieten.»

In der Schweiz gibt es über drei Millionen Versicherte und rund 11500 Vorsorgeeinrichtungen. Diese verwalten Gelder in der Höhe von über 400 Milliarden Franken – ein gigantisches Vermögen. Und das Vorsorgevolumen wächst jedes Jahr um weitere 25 Milliarden Franken.

Bis im Sommer steht das Projekt
Die zweite Säule ist – im Unterschied zur AHV – immer noch in der «Ansparphase», wie Fachleute sagen: Die Einnahmen aus Lohnabzügen übersteigen die gegenwärtigen Ausgaben in Form von Rentenleistungen. Der Anteil der zweiten Säule an den Gesamtkosten der Sozialversicherungen beträgt ganze 40 Prozent.

Nebst dem Beratungsbedürfnis steigt auch die Zahl möglicher Konflikt- und Streitfälle. Deshalb plant der Schweizerische Pensionskassenverband (ASIP) die Einrichtung einer zentralen Ombuds- und Beschwerdestelle. «Ich bin beauftragt, bis im Sommer 2000 ein solches Projekt auf die Beine zu stellen», sagt Hermann Walser, Rechtsanwalt und ASIP-Präsident.

Dabei möchte der ASIP auf die Basisarbeit der bestehendenen BVG-Auskunftsstellen zurückgreifen und zugleich den Bund in die Pflicht nehmen – aus Gründen der Unabhängigkeit, aber auch wegen der Kosten. «Denn bei der ehrenamtlichen Arbeit taucht irgendwann die Frage nach der Finanzierung auf», so Walser.

Die BVG-Auskunftsstellen in Basel, Bern und Zürich werden von Beiträgen der Vereinsmitglieder finanziert, die zugleich ehrenamtlich Auskünfte erteilen. In Basel zahlen Ratsuchende zusätzlich einen Unkostenbeitrag von zehn Franken pro Beratung. Nach den Vorstellungen des ASIP sollen neben dem Bund vor allem die Vorsorgeeinrichtungen die Ombudsstelle finanzieren. «Das liegt im Interesse der Pensionskassen und entlastet die Gerichte», findet ASIP-Präsident Walser.

Im Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) begrüsst man eine unabhängige Ombudsstelle. «So etwas würden wir sehr positiv prüfen», sagt BSV-Direktor Otto Piller, «doch der Anstoss muss von den Versicherungen selbst kommen.» Das Parlament tue sich schwer mit staatlichem Zwang, wenn es um die Schaffung von Ombudsstellen gehe, meint der ehemalige Freiburger Ständerat. Auch die Ombudsstellen von Banken, Krankenkassen und Privatversicherungen sind auf Initiative der betreffenden Verbände entstanden.

Pensionskassen zeigen Goodwill
Eine Beobachter-Umfrage bei grösseren Pensionskassen zeigt, dass die Zeit für das Vorhaben reif ist. «Eine solche Instanz macht Sinn», sagt Christoph Oeschger, Geschäftsführer der ABB-Pensionskasse (22'500 Versicherte). Denn ein «zwischengeschalteter Durchlauferhitzer» könne der Tendenz entgegenwirken, dass immer häufiger der Rechtsweg beschritten wird.

Auch Hanni Thurnherr, stellvertretende Geschäftsführerin der Novartis-Pensionskasse (32'000 Versicherte), steht der ASIP-Initiative positiv gegenüber: «Wir würden so etwas unterstützen, vorausgesetzt, die Ombudsstelle ist wirklich unabhängig.»

«Keine schlechte Idee» findet Thomas Hohl, Leiter der Migros-Pensionskasse (68'000 Versicherte). Aber er weist auf die hohen Anforderungen an eine Ombudsperson hin: «Sie darf die Arbeit nicht verpolitisieren. Sie muss sich in die Problematik von 11'000 Pensionskassen hineindenken können. Sie muss Vergleiche machen, und sie muss erst noch dreisprachig sein.» Das sei so anspruchsvoll, witzelt der Migros-Mann, dass sich da die Frage stelle: «Warum macht der Beobachter das eigentlich nicht selbst?»

Bezüglich der Nachfrage eher skeptisch äussert sich Ernst Reinhart, Geschäftsführer der Asga-Pensionskasse, einer Gemeinschaftsvorsorgeeinrichtung von 5000 kleinen und mittleren Unternehmen (30'000 Versicherte): «Sicher braucht es gelegentlich einen Ombudsmann. Doch ob für eine vollamtliche Stelle mit ausgebautem Sekretariat auch genügend Nachfrage vorhanden ist, da habe ich meine Zweifel.» Auf keinen Fall dürfe es eine «Bundesstelle» sein, und sie müsse kostengünstig arbeiten.

Am Geld sollte die Idee jedoch nicht scheitern, sagt Experte Walter Ilg: «Wenn jeder Versicherte jährlich zehn Rappen einzahlen würde, kämen 300'000 Franken zusammen. Damit könnte eine qualifizierte Ombudsperson mitsamt leistungsfähigem Sekretariat finanziert werden.»

Der Vorschlag stiess bei den befragten Pensionskassenchefs auf einhellige Zustimmung. Deshalb rät der Beobachter dem Versicherungsverband ASIP: Nehmen Sie die Kassen beim Wort.