PK-Renten sinken mehr als nötig
Erste Kassen senken den Umwandlungssatz unter 4,5 Prozent. Und wälzen damit alle Risiken auf die Arbeitnehmer ab.
Veröffentlicht am 22. Mai 2018 - 10:14 Uhr,
aktualisiert am 22. Mai 2018 - 10:04 Uhr
An bittere Nachrichten hat man sich offenbar gewöhnt. Nur so lassen sich die lauen Reaktionen erklären, die auf eine Ankündigung der Grossbank UBS folgten. Sie will bis 2026 den Umwandlungssatz ihrer Pensionskasse auf 4,42 Prozent senken. Das würde für die Versicherten 19 Prozent weniger Rente als heute bedeuten.
Das ist auch der UBS zu wenig. Deshalb schiesst sie bis zu 720 Millionen Franken in die PK ein, erhöht Beiträge und Rücktrittsalter und lässt die Versicherungspflicht früher beginnen. Resultat: Versicherten ab 55 wird die Rente «nur» um rund 5 Prozent gekürzt, Jüngeren um bis zu 10 Prozent.
4,22 Prozent beträgt der Umwandlungssatz für die 22-Jährigen beim Rüstungskonzern Ruag.
Doch die 4,42 Prozent der UBS sind nicht Schweizer Tiefenrekord. Die PK des Rüstungskonzerns Ruag hat den Umwandlungssatz für die 22-Jährigen auf 4,22 Prozent gesenkt. Und gemäss Swisscanto liegt der tiefste Umwandlungssatz bei 4,08 Prozent. Welche PK so knausrig ist, verschweigt der Bericht.
«Der Umwandlungssatz sollte nicht unter 5 Prozent sinken, sonst sind die Renten nicht mehr attraktiv», sagt Denise Chervet, Geschäftsführerin Bankenpersonalverband. Bei so tiefen Renten beziehen immer mehr Leute das Kapital. «Die Arbeitgeber entziehen sich der vorgesehenen Beteiligung am Risiko.» Das sei eine «präventive Sanierung der Kassen auf dem Buckel der Versicherten».
Wie funktioniert die Pensionskasse?
PK-Experten kritisieren diese Entwicklung ungewöhnlich scharf. «Solche Kassen gehen von einem sehr düsteren Szenario mit lang anhaltend schlechten Renditen aus. Es fragt sich aber, ob die Zinsen 20 und mehr Jahre so ausserordentlich tief bleiben», sagt Heinz B. Rothacher, Chef der Beratungsfirma Complementa. Und Peter Zanella, Chef von Willis Towers Watson Schweiz, meint: «Die Kassen entledigen sich des Langlebigkeitsrisikos von laufenden Renten.»
Zu lange gewartet, dann überreagiert – das beschreibt, was jetzt bei vielen Kassen passiert. Ein Grund ist der zu hohe Umwandlungssatz beim obligatorisch versicherten Teil der zweiten Säule – das sind versicherte Löhne bis 84'600 Franken pro Jahr. Er liegt bei 6,8 Prozent. Um ihn finanzieren zu können, müssten die Kassen im Schnitt 4,8 Prozent Rendite pro Jahr erzielen.
Das war in den letzten sechs Jahren zwar möglich. Laut Credit Suisse betrug die Rendite der Pensionskassen in den letzten 17 Jahren im Schnitt aber nur 3,07 Prozent. Daher mussten Kassen ihre Reserven auflösen und verzinsten die Guthaben der Aktiven schlechter als die der Rentner. Und sie senkten den Umwandlungssatz im überobligatorisch versicherten Teil – bei einigen Kassen auf unter 4 Prozent. Das ist möglich, weil es im Überobligatorium keine gesetzlichen Mindestsätze gibt.
«Pensionskassen haben zu lange zu hohe Renten bezahlt. Das musste man korrigieren», sagt Experte Rothacher. «Aber nun scheint es, als ob es sich ins Gegenteil kehrt und die Sätze zu stark gesenkt werden.» Laut Experte Zanella lässt sich ein Satz von 4,42 Prozent nur rechtfertigen, wenn «Zinsgewinne, die höchstwahrscheinlich entstehen werden, über Rentenerhöhungen weitergegeben werden». Sonst sind alle, die jetzt in Pension gehen, noch einmal die Verlierer, sobald die Zinsen wieder steigen.
Wie viel Rente man erhält, hängt zunehmend davon ab, bei welchem Arbeitgeber man welche PK hat. Das zeigt eine Studie von Willis Towers Watson, die die Vorsorgepläne und Leistungen von 23 grossen Firmen verglichen hat. Die Unterschiede sind riesig: Die Rente eines heute 25-Jährigen fällt im besten Fall 3,1-mal höher aus als das gesetzliche Minimum, im schlechtesten Fall 1,3-mal höher. Verglichen mit 2015 sind die Renten der heute 25-Jährigen um rund 5 Prozentpunkte tiefer.
Wie weiter mit der zweiten Säule?
Seit dem Scheitern der «Altersreform 2020 » muss die berufliche Vorsorge hinter der AHV-Reform zurückstehen. Der Bundesrat will eine separate Vorlage ausarbeiten und hat den Ball den Arbeitgebern und Gewerkschaften zugespielt. Sie sind sich noch völlig uneinig. Doch es gibt alternative Modelle für eine Reform.
- Ein Umwandlungssatz für jeden Jahrgang
PK-Experte Roger Baumann hat ein Modell entwickelt, das für jeden Jahrgang einen eigenen Umwandlungssatz vorsieht. Hauptgrund ist die steigende Lebenserwartung: Er soll deshalb bei jüngeren Versicherten tiefer angesetzt werden.Ausserdem will Baumann verhindern, dass Rentner schlechtergestellt sind, die in einer Tiefzinsphase in Pension gehen. Sobald die Teuerung anzieht, sollen sie mehr Rente erhalten. Das geht nur, wenn die Pensionskassen Reserven für jene Jahrgänge anlegen, die bei tiefem Umwandlungssatz in Rente gehen. Mit der Zürcher BVK wendet eine grosse Pensionskasse dieses Modell bereits an.
- Die Kaufkraft soll entscheiden
Der ehemalige PK-Leiter Josef Bachmann geht bei seinem Modell nicht mehr von einer fixen Rente (Nominalwert) aus. Sie soll sich gemäss der Kaufkraft (Realwert) berechnen. Dabei soll ihre Höhe von drei Faktoren abhängen: von der Teuerung, der Kapitalrendite und der Lebenserwartung. Wenn die Rente bei der Pensionierung fixiert werde, seien entscheidende Faktoren wie das Lebensalter und die Kapitalrendite nur bedingt abschätzbar, sagt Bachmann. Er befürwortet auch ein frei wählbares Rentenalter. So könne man Kürzungen durch längeres Arbeiten kompensieren. Zugleich müssten sich Arbeitgeber aber verpflichten, über 65-Jährigen nicht zu kündigen.
- Umwandlungssatz 6 Prozent
PK-Experte Olivier Deprez will den Mindest-Umwandlungssatz für das BVG-Obligatorium von 6,8 auf 6 Prozent senken – ohne die Renten zu kürzen. Das funktioniere, wenn die Altersgutschriften zum Ausgleich über mehrere Jahre um insgesamt 13,3 Prozent erhöht werden. Finanzieren will Deprez das mit Ausgleichsgutschriften aus dem Sicherheitsfonds, in den alle PKs zusätzliche Beiträge einzahlen müssten. Deprez rechnet für die ersten 15 Jahre mit Zusatzkosten von jährlich 4,4 Milliarden Franken, danach von 2,4 Milliarden Franken pro Jahr.
- Freie Pensionskassenwahl
Das Vorsorgesystem sei reif für die Mottenkiste. Es entspreche dem Weltbild der siebziger Jahre, als man sein ganzes Leben bei derselben Firma arbeitete, kritisiert Jérôme Cosandey, Vorsorgespezialist bei Avenir Suisse. Heute wechseln Arbeitnehmer aber alle fünf bis sieben Jahre die Stelle, viele arbeiten Teilzeit oder sind bei mehreren Arbeitgebern angestellt. Das werde im heutigen System bestraft , weil meist nur der Lohnanteil oberhalb des Koordinationsabzugs von 24'675 Franken versichert ist. Cosandey schlägt die freie PK-Wahl vor; nur die Invalidenleistungen sollten beim Arbeitgeber versichert bleiben. Gemäss seinen Berechnungen würde dadurch die Zahl der Pensionskassen von 1800 auf rund 300 sinken. Durch die Konzentration liessen sich jährlich etwa 800 Millionen Franken Kosten sparen. Und mehr Wettbewerb verspreche bessere Leistungen. Bislang war dieses Modell politisch chancenlos.