Fairplay hat seine Schuldigkeit getan
In wirtschaftlich angespannten Zeiten gehen auch Inkassofirmen härter vor: Mit teils fragwürdigen Methoden wollen sie die Zahlungsmoral von Schuldnern heben – selber nehmen sie es mit der Moral nicht so genau.
Veröffentlicht am 14. April 2003 - 00:00 Uhr
Auf die beiden «Weihnachtsgeschenke» hätten Gertrud und Hubert Beeler (alle Namen der Betroffenen geändert) verzichten können. Sie flatterten ihnen in Form von Briefen der Inkassofirma Intrum Justitia ins Haus. «Genau richtig auf die Adventszeit können wir Ihnen auf die nachstehende Forderung eine Gutschrift von Fr. 1866.05 anbieten. Dies entspricht 40 Prozent der ausstehenden Forderung», hiess es im einen Schreiben; im anderen betrug das «Geschenk» Fr. 96.05.
Bloss: Von den zwei angeblich vorhandenen Pfändungsverlustscheinen, mit denen Intrum die Forderung begründet, haben Gertrud und Hubert Beeler noch nie etwas gehört. Auch beim zuständigen Betreibungsamt sind die Scheine nicht eingetragen. Auf zwei Schreiben von Beelers Rechtsvertreter reagierte das Unternehmen nicht. Erst gegenüber dem Beobachter äusserte sich der für das Inkasso zuständige Intrum-Direktor Thomas Hutter: «Die Verlustscheine sind in unserem Besitz. Sie stammen von einem Verwandten von Herrn Beeler, und die Schuld ging mit der Erbschaft an ihn über.»
Beim «Verwandten» handelt es sich um einen Bruder, der im April 2001 verstarb. Forderungen an Erben, so steht es im Gesetz, können jedoch nur während eines Jahres nach dem Tod gestellt werden – eine Tatsache, die einem Inkassounternehmen bekannt sein müsste.
Mit rund 800'000 offenen Fällen ist Intrum Justitia (Firmenmotto: «Fair Pay… please!») aus dem zürcherischen Schwerzenbach klare Marktleaderin im Geschäft mit dem «Forderungsmanagement», wie das Inkasso im Branchenjargon beschönigend heisst. Ebenfalls führend ist die Firma im «Kreditschutz», dem Handel mit Daten über die Kreditwürdigkeit von Konsumenten. In ihren Prospekten rühmt sich Intrum, sechs Millionen Privat- und Firmenadressen, 450'000 «Schuldneradressen mit Millionen Negativdaten aus rechtlich unbestrittenen Forderungen» sowie «drei Millionen Inkassodaten» zu besitzen.
Inkassofirmen schreiten in der Regel dann ein, wenn ein Gläubiger keine Möglichkeit mehr sieht, seine Geldforderungen selber einzutreiben. Wer es als Schuldner mit einer Inkassofirma zu tun bekommt, ist gut beraten, die Forderung genau zu prüfen. Rechnungen für schon bezahlte Beträge, zu Unrecht erhobene Taxen oder gar an die falsche Adresse geschickte Forderungen sind nach den Erfahrungen des Beobachter-Beratungszentrums und der kantonalen Sozialdienste an der Tagesordnung.
Doriana Di Dodo von einem Berner Oberländer Sozialdienst kennt solche Ärgernisse zur Genüge: «Wir haben ständig mehrere Fälle hängig, in denen Inkassofirmen zu Unrecht Forderungen an unsere Klienten stellen.» So erhielt etwa eine von Di Dodo betreute Frau über Monate hinweg Zahlungsaufforderungen und Betreibungsandrohungen des IS Inkasso Service in Rheineck. Alle Briefe und schriftlichen Beweise, dass die angemahnten Verlustscheine längst zurückgekauft seien, nützten nichts. Die Firma erklärte zwar, die Forderung nicht weiterbearbeiten zu wollen, schickt aber trotzdem weitere Mahnungen. Erst als Di Dodo mit rechtlichen Schritten drohte, entschuldigte sich die Firma.
Der Ton, den die Inkassofirmen anschlagen, ist in den meisten Fällen sehr direkt und zielt darauf ab, Schuldner zum sofortigen Bezahlen zu veranlassen. Droht zum Beispiel Intrum Justitia mit Betreibung und einem Eintrag ins Betreibungsregister, klingt das so: «Damit riskieren Sie den Verlust Ihrer Kreditwürdigkeit und handeln sich möglicherweise Schwierigkeiten bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche ein.»
Juristisch sind solche Formulierungen zwar nicht anfechtbar, einschüchternd wirken sie aber allemal. Letztlich sei das ein erwünschter Effekt, sagt Intrum-Mann Hutter. «Schliesslich haben wir von unseren Kunden den Auftrag erhalten, ausstehende Gelder einzufordern.» Treiben es die Inkassounternehmen mit ihren Formulierungen allzu bunt, schreitet manchmal selbst der Verband Schweizerischer Inkassotreuhandinstitute (VSI) ein – was etwas heissen will, haben die Verbandsoberen doch eine etwas dickere Haut als Menschen mit Schulden. «Die Firmen passen ihre Formulierungen dem veränderten Sprachgebrauch an», sagt Heiner Geering, Präsident der VSI-Kontrollkommission.
Keine Gnade kennen Inkassounternehmen beim Verrechnen von Zinsen. Die meisten Firmen stellen bei jeder Forderung zusätzlich zum normalen Verzugszins von fünf Prozent einen so genannten «Verzugsschaden gem. Art. 106 OR» in Rechnung – das kann Geldschulden bald einmal in ungeahnte Höhen treiben.
Als es etwa Deborah König mit der Inkassofirma Ifag zu tun bekam, kannte sie die Rechtslage nicht und unterschrieb eine Schuldanerkennung, in der neben dem Verzugsschaden auch noch «Adressprüfkosten» und «Fremdkosten» verrechnet wurden: total 450 Franken ungerechtfertigte Taxen auf eine Forderung von knapp 4300 Franken. Die Schuld stotterte sie in monatlichen Raten von 165 Franken ab.
Das ging gut, bis die Ifag von Intrum übernommen und die beiden Computersysteme zusammengeführt wurden. Intrum forderte plötzlich die Restschuld von 660 Franken in einer einzigen Zahlung, lenkte dann auf eine Weiterführung der monatlichen Ratenzahlung ein, schickte aber über Monate hinweg keine neuen Einzahlungsscheine. Stattdessen erhielt Deborah König Zahlungsaufforderungen, in denen sich der bereits eingerechnete Verzugsschaden laufend erhöhte. Königs Reklamationen per E-Mail und Telefon blieben in Schwerzenbach unerhört. Dass ein Verzugsschaden zweimal berechnet wird, sei «absolut nicht Usus», erklärt Direktor Hutter. Man werde den Fall «noch einmal genau prüfen».
Tatsache ist: Ein «Verzugsschaden» darf nicht einmal bei der ersten Zahlungsaufforderung verrechnet werden. Denn laut Obligationenrecht gilt, dass der Gläubiger nur Anspruch auf den Ersatz der notwendigen Kosten hat. Deshalb dürfen die Aufwendungen einer Inkassofirma dem Schuldner nicht belastet werden. Intrum Justitia verrechnet jedoch – wie andere Inkassofirmen auch – einen Tarif, der sich an der Höhe der Forderung orientiert.
Intrum-Direktor Thomas Hutter mag sich zu dieser Praxis, die seiner Firma Millionen einbringt, nicht äussern: «Wir halten uns in diesem Punkt an die Richtlinien und Tariflisten des VSI.» Und dessen Vertreter Heiner Geering hält an der unzulässigen Praxis fest: «Der Verzugsschaden wird grundsätzlich geschuldet.»
Deborah König hat wegen ihrer Schulden jetzt einen negativen Eintrag in der Bonitätsdatenbank von Intrum Justitia – und einen falschen obendrein: Statt mit den noch geschuldeten 660 Franken steht sie laut Datenbank immer noch mit 1880 Franken in der Kreide. Ein Umstand, der für Intrum Justitia «absolut nicht nachvollziehbar» ist. «Der effektive Ausstand ist mit 1880 Franken nicht korrekt wiedergegeben», sagt Ruedi Kubli, der bei Intrum für die Datenbanken zuständig ist. Möglicherweise hat der Intrum-Vertreter bloss zu spät nachgeschaut: Wenige Tage nach der Beobachter-Intervention wurde der Eintrag gelöscht.
Die Personendaten aus der Bonitätsdatenbank liefert Intrum auch an die Wirtschaftsdatenbank Teledata – an der Intrum selber beteiligt ist. Wer ein Teledata-Abo besitzt, kann praktisch unbeschränkt in der Datenbank surfen und prüfen, wer kreditwürdig ist und wer nicht. «Unsere Kunden sind vertraglich verpflichtet, das Datenschutzgesetz strikte einzuhalten und nur diejenigen Personen zu überprüfen, für die sie auch einen Interessennachweis im Sinne des Datenschutzgesetzes beziehungsweise des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes besitzen», sagt Intrum-Mann Ruedi Kubli.
Allerdings verlangte der eidgenössische Datenschutzbeauftragte bereits vor drei Jahren, dass dieser Interessennachweis bei jeder Abfrage per Mausklick bestätigt werden müsse. Diese Forderung stiess bei Intrum bisher jedoch auf taube Ohren. Wer sich nicht an diese Bestimmung halte, so Ruedi Kubli, müsse mit einer «Konventionalstrafe gemäss den allgemeinen Geschäftsbedingungen auf den Credit-Decision-Verträgen rechnen. Dies schützt unseres Erachtens wirkungsvoller als ein Mausklick, der bestenfalls automatisch bestätigt wird.»
Nach Ansicht des eidgenössischen Datenschutzbeauftragten dürfen Bonitätsdatenbanken keine Angaben enthalten, die zur Abklärung der Kreditwürdigkeit gar nicht notwendig sind. «Die Aufnahme des Heimatorts in eine solche Datenbank beispielsweise widerspricht dem Gebot der Verhältnismässigkeit», sagt Pressesprecher Kosmas Tsiraktsopulos.
Auch die Intrum-Konkurrentin Infoscore aus Schlieren, die mit «850'000 Negativdaten» und «8,6 Millionen Adressen» wirbt, handelt nach Tsiraktsopulos’ Ansicht fragwürdig, wenn sie Schuldnern droht, «Mahndaten» in ihre Bonitätsdatenbank aufzunehmen. «Solche Angaben haben höchstens dann eine Aussagekraft, wenn jemand notorisch nicht bezahlt», so Tsiraktsopulos. «Aber jedermann erhält ab und zu eine Mahnung, zum Beispiel während der Ferien.»
Beim Beobachter-Beratungszentrum sind Bonitätsdatenbanken ständig ein Thema – nicht wegen der wackligen Rechtsgrundlage, auf die sich die Betreiber jeweils berufen, sondern wegen falscher Einträge. Marktleaderin auch auf diesem Gebiet: Intrum Justitia.
Beat Möller zum Beispiel wurde plötzlich von einer Firma, bei der er jahrelang Kunde gewesen war, nur noch gegen Nachnahme beliefert. Seine Nachforschungen bei Intrum brachten zutage, dass er das Opfer eines so genannten Haushalttreffers war: Bei Intrum war eine Person namens Möller als schlechter Zahler registriert. Deren «Haushalt» befand sich zwar an derselben Strasse – allerdings fünf Häuser weiter.
Auch Raymond Bruderer staunte über ungebetene Post von Intrum. Er erhielt an seine Firmenadresse in der Ostschweiz eine Rechnung über knapp 10'000 Franken, weil er seine Tankkarte überzogen habe. Bruderer besitzt allerdings gar keine solche Karte. Erst ein findiger Angestellter brachte Licht ins Dunkel: Im Kanton Bern existiert eine Firma mit einem ähnlich klingenden Namen. «Da sind uns Fehler passiert», gibt Intrum-Direktor Thomas Hutter zu. «Wir haben uns bei den Betroffenen entschuldigt.»
Noch nicht entschuldigt hat sich Intrum bei den «nur 200 bis 300 Personen», die, so Direktor Thomas Hutter, «Zielpublikum eines Pilotprojekts» wurden. Wer nämlich im vergangenen Dezember auf das «Weihnachtsgeschenk» von Intrum nicht reagierte, fand im Februar eine offene Postkarte im Briefkasten: «Ihr Weihnachtsgeschenk liegt immer noch für Sie bereit», konnten so Postbeamte und Wohnpartner lesen. Und weiter: «Allerdings nicht mehr lange: Am 28.2.2003 verfällt das 40-Prozent-Angebot. Mit freundlichen Grüssen: Intrum Justitia.»
Thomas Hutter rechtfertigt diese Verletzung des Datenschutzes: «Es gibt hartnäckige Schuldner, die die Briefe der Intrum Justitia konsequent nicht öffnen. Wir müssen neue Wege finden, um mit solchen Schuldnern – die unserer Wirtschaft schaden – in Kontakt zu treten.»
Bleibt die Hoffnung, dass Intrum Justitia die an sie gerichteten Briefe öffnet. Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte hat in dieser Angelegenheit nämlich bereits einen geschrieben.