Vor zwei Jahren verschwand ihr Partner von einem Tag auf den anderen im Ausland. Er hinterliess Chantal Bacher* einen Stapel unbezahlter Kreditkartenrechnungen. Die alleinerziehende Mutter lebt seither von einem bescheidenen Einkommen als Verkäuferin in Teilzeit und von bevorschussten Alimenten. Das Geld reichte nicht, um die letzten zwei Steuerrechnungen zu bezahlen. Die 34-Jährige liess auch die Krankenkassenrechnungen liegen. Um eine drohende Leistungssperre abzuwenden, nahm sie dann aber einen Kredit auf. Alles in allem haben sich bis heute über 50'000 Franken Schulden angehäuft. Chantal Bacher weiss nicht mehr weiter.

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Die Gläubiger sind nicht abzuschütteln

«Mach doch einfach Privatkonkurs!», riet ein Kollege. Das sei das Beste in ihrer Situation. Doch da hat er sich geirrt. Denn ein Privatkonkurs befreit nicht von Schulden. Wäre Chantal Bacher hingegen als Geschäftsfrau mit eigener Firma in Schieflage geraten, könnte sie ihren Kopf viel leichter aus der Schlinge ziehen. Wer mit einer Aktiengesellschaft Millionenschulden einfährt, muss bei einem Firmenkonkurs nicht dafür geradestehen: Nach dem Konkursverfahren wird die Firma im Handelsregister gelöscht, und der Inhaber kann mit einem neuen Unternehmen weitergeschäften.

In der Schweiz erhalten überschuldete Privatpersonen keine zweite Chance. Nach einem Privatkonkurs bleiben die Schulden in Form von Verlustscheinen bestehen, die frühestens nach 20 Jahren verjähren. Sie können jederzeit wieder von den Gläubigern mit einer Betreibung eingefordert werden. Stellt sich heraus, dass der Schuldner zu «neuem Vermögen» gekommen ist, wird er zur Kasse gebeten. Neues Vermögen ist bereits eine Erbschaft von wenigen tausend Franken oder ein Einkommen, das einem erlaubt, etwas Geld auf die Seite zu legen. Nach üblicher Gerichtspraxis ist dazu in der Lage, wer nach Abzug der Steuern mit seinem Verdienst rund 1000 Franken über dem betreibungsrechtlichen Existenzminimum liegt.

Noch schlechter ist die Situation von Verschuldeten nur noch in Liechtenstein und Italien. Dort gibt es den Privatkonkurs nicht einmal. Die Folge: Eine überschuldete Person kann bis ans Lebensende auf das Existenzminimum gepfändet werden.

Der Staat verliert einen Steuerzahler

Doch das Gesetz genügt hier nicht: Wer ins Schuldenschlamassel gerät, sollte die Chance erhalten, neu anzufangen. Denn ohne Aussicht auf ein schuldenfreies Leben fehlt dem Schuldner die Perspektive. Er bleibt in der Schuldenfalle hängen. Früher oder später droht der Abstieg in die Sozialhilfe. Davon hat niemand etwas, am wenigsten der Staat, der einen Steuerzahler verliert, und zwar für immer.

Auch Rechtsprofessor Ivo Schwander von der Uni St. Gallen würde eine Restschuldbefreiung begrüssen: «Auch wer durch die Fahrprüfung fällt, erhält eine zweite Chance.»

«Der muss in hartes Brot beissen»

In Österreich dagegen besteht sogar die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung. Der Schuldner muss zuvor allerdings während sieben Jahren mit dem Existenzminimum auskommen – bei einem Nettoeinkommen von beispielsweise 2000 Euro mit nur 1155 Euro. Den Rest des Einkommens muss er an einen Treuhänder abgeben, der es an die Gläubiger verteilt. Dafür werden dem Schuldner nach Ablauf der Frist seine Schulden vom Gericht erlassen, sofern er mindestens zehn Prozent der Gläubigerforderungen begleichen konnte.

In Deutschland ist die Frist ein Jahr kürzer als in Österreich. Während dieser sechs Jahre muss sich der Schuldner aber «wohl verhalten». Das bedeutet im Klartext: Er wird teilweise entmündigt. So muss er etwa den Treuhänder fragen, ob er die Arbeitsstelle wechseln darf. Oder er muss ihn über einen Wohnortswechsel informieren. «Der Schuldner muss in hartes Brot beissen», sagt der deutsche Rechtsanwalt Michael Moser aus Bad Wörishofen. Die Restschuld kann dem Schuldner aber sogar erlassen werden, wenn die Gläubiger keinen einzigen Euro erhalten haben, sofern er kein (pfändbares) Einkommen hatte.

Am schnellsten ermöglicht Frankreich eine Restschuldbefreiung, wo das Gericht sie nach 9 bis 18 Monaten bewilligen kann.

In der Schweiz dagegen muss sich der Schuldner selber um eine Lösung mit den Gläubigern bemühen. Das Gesetz sieht zwar zwei Wege vor: die einvernehmliche private Schuldenbereinigung und den gerichtlichen Nachlassvertrag. Bei beiden ist aber das Einverständnis der Gläubiger Voraussetzung.