Schwyz: Steueroase für Reiche
Mit einer geschickten Steuerpolitik ködert sich der Kanton Schwyz die Gutbetuchten aus den Nachbarkantonen und überlässt diesen die Durchschnittsverdiener und wenig Begünstigten. Eine Würdigung.
Veröffentlicht am 10. August 2000 - 00:00 Uhr
«Seit der Kanton Schwyz zum <Ösi-Land> geworden ist, darf er ohne Scheu auch wieder <Ebner-Land> sein», freute sich der Schwyzer Landammann Richard Camenzind im Neujahrsgruss an seine Mitbürgerinnen und Mitbürger.
«Ösi», Oscar Camenzind, Radweltmeister und Sportler des Jahres 1998 aus dem idyllischen Gersau am Vierwaldstättersee, habe das Bild des Kantons Schwyz wieder entpolarisiert. Mit Blick auf die «Causa Ebner» und an die Adresse der Neider gerichtet, meinte der Landammann: «Der Kanton Schwyz ist ein guter Kanton.»
Dem Kanton gehts tatsächlich gut, zumindest seiner Staatskasse. Selbst Finanzdirektor Franz Marty, bekannt für vorsichtiges Budgetieren und glänzende Abschlüsse, spricht von einem «Rekordjahr»: 312 Millionen Franken an Steuern flossen 1998 in die Staatskasse, 387 Millionen Franken sollen es 1999 sein. Mittlerweile hat der einst mausarme Kanton rund 300 Millionen Franken als Polster geäufnet. Da lasse sich, so Marty, «ein anspruchsvolles Investitionsprogramm mit überdurchschnittlichen Ausgaben realisieren, um Beschäftigungsimpulse auszulösen».
Zum dritten Mal in Folge wird dieses Jahr der kantonale Steuerfuss gesenkt. Frohgelaunt zitierte Franz Marty vor dem Schwyzer Kantonsrat alt Bundesrat Otto Stich: «Es gibt keinen Hund, der einen Wurstvorrat anlegt.» Gleichzeitig mahnte er: «Politiker sind den Hunden überlegen und verteilen den Wurstvorrat auf mehrere Jahre.»
Erst die Steuergesetzrevision im Jahr 2001 soll happige Ermässigungen bringen: Zugunsten von Ehepaaren mit Kindern soll der Staat auf jährlich 15 Millionen Franken Steuern verzichten, und der gleiche Betrag soll für noch bessere Steuerkonditionen für Unternehmen «geopfert» werden. Heute ist Schwyz für juristische und natürliche Personen der steuermässig viertgünstigste Kanton.
90 Millionen von Ebner
Für das enorme Wachstum der Steuererträge ist nicht allein der Zuzug von Martin Ebner und seiner BZ-Gruppe verantwortlich. Die Erträge der Holding- und Domizilgesellschaften aus dem Börsenjahr 1998 haben generell zugenommen. Allerdings alimentiert die BZ-Gruppe von Martin Ebner den Schwyzer Staatssäckel kräftig: Gegen 90 Millionen Franken liefert die BZ-Gruppe nach eigenen Schätzungen für 1998 dem Kanton ab.
In der Gemeinde Freienbach, wo Ebner aufgewachsen ist und nach seinem Zürcher Abstecher heute wieder lebt, wird er rund die Hälfte der Steuereinnahmen von rund 40 Millionen Franken bezahlen die Gemeinde quittiert mit einer happigen Steuersenkung. «Geldverdienen ist eine Tugend, und Martin Ebner hat diese Tugend», sagt Landammann Camenzind.
Diese Tugend kann in Schwyz, wo man weder Erbschafts- noch Schenkungssteuer kennt, noch anderen nachgesagt werden: etwa Stephan Schmidheiny, dem reichsten Schwyzer, dem Kosmetikunternehmer Leonard A. Lauder, der Familie Vögele (Bekleidung), Klaus Michael Kühne (Transporte) und Dietrich Bührle (Rüstung).
Eines ist dabei auffallend: Die Reichen bevorzugen den äusseren Kantonsteil, vor allem die Zürichseegemeinden Freienbach, Feusisberg, Wollerau und Lachen. 1995/96 hatten 48 der 56 Schwyzer Einkommensmillionäre ihr Steuerdomizil in diesem, nach Zürich orientierten Kantonsteil.
Ein Paradies für Reiche
In dieser Steueroase suchen nicht nur Superreiche gern Zuflucht: 64 Aktiengesellschaften verlegten 1998 ihren Sitz aus anderen Kantonen vor allem aus Zürich in den Innerschweizer Kanton, dazu kamen 104 Neugründungen von Aktiengesellschaften. 19 Unternehmen mit rund 130 Arbeitsplätzen siedelten sich neu im Kanton an. Der Trend dürfte anhalten, denn kürzlich senkte Schwyz den Steuersatz für reine Domizil- und Holdinggesellschaften.
In Zürich äussert man sich diplomatisch zum Schwyzer Rosinenpicken: Grundsätzlich begrüsse man den Steuerwettbewerb zwischen Nachbarkantonen, weil so die Steuern tief gehalten würden, sagt Daniel Brühlmeier, Informationsbeauftragter der Zürcher Finanzdirektion. Aber, fügt er vielsagend an: «Es darf nicht ausarten.» Härtere Kritik an der Steuerpraxis in Schwyz kommt aus dem eigenen Kanton: «Profiteure der extrem tiefen Steuern sind vor allem die Reichen. Jene mit einem tiefen Einkommen fahren im Vergleich zu anderen Kantonen extrem schlecht», kritisiert Elvira Jäger, Schwyzer SP-Kantonsrätin aus Lachen. Gerade bei den unteren Einkommen sei die Progression sehr steil, bei den mittleren flache sie ab, nur bei sehr hohen Einkommen sei sie ganz flach.
Ein Vergleich zwischen den Städten Schwyz, Zürich und Zug macht es deutlich: Zug und Zürich fassen kleinere Einkommen sanfter an als der Schwyzer Kantonshauptort. Ein Ehepaar ohne Kinder mit einem Einkommen von 30000 Franken musste 1997 in Zug 1,7 Prozent, in Zürich 2,9 Prozent und in Schwyz 3,5 Prozent dem Steueramt überweisen. Auch bei 60000 Franken Einkommen ist Schwyz mit 6,2 Steuerprozenten teurer als Zug und Zürich.
Während die Finanzdirektion in Zürich laut Brühlmeier auf die soziale Steuergesetzgebung pocht «keine höhere Belastung der tiefen Einkommen zugunsten der höheren» , verteidigt Schwyz die Privilegierung der Bessergestellten. Finanzdirektor Franz Marty: «Hätten wir, verglichen mit andern Kantonen, nicht eine so schwache Progression bei den höchsten Einkommen, würden uns entscheidende Steuererträge fehlen, um mittlere und tiefe Einkommen zu entlasten.»
Die höheren Einkommen brächten wie ein Motor die Steuererträge in Schwung, argumentiert Marty, davon profitierten dann die unteren Einkommen. Zudem seien viele der 30 Schwyzer Gemeinden auf die Steuererträge der kleinen und mittleren Einkommen angewiesen, weil Steuerzahler mit hohen Einkommen und Vermögen fehlten. «Würden wir tiefe und mittlere Einkommen ähnlich wie in der Stadt Zürich entlasten, wären zwei Drittel unserer Gemeinden nicht mehr lebensfähig.»
Wer hat, dem wird gegeben
Tatsächlich sind die Innerschwyzer Unterschiede beträchtlich: Das Schwyzer und Schweizer Steuerparadies liegt im Bezirk Höfe am Zürichsee. Hier machen sich die Gemeinden Freienbach und Wollerau den Spitzenplatz streitig. Das Betriebsdefizit des Regionalspitals Lachen verkraftet man hier locker. Im Nachbarbezirk March jedoch macht dasselbe Defizit eine Steuererhöhung nötig. Reichenburg etwa, in der äusseren March, aber auch die Berggemeinde Innerthal erheben bereits den maximalen Steuerfuss.
Allerdings ist die 2700 Einwohner zählende Gemeinde Reichenburg im Vergleich mit den Glarner und St. Galler Gemeinden immer noch steuergünstig. Und auch innerkantonal muss kaum eine Abwanderung in privilegiertere Gemeinden befürchtet werden. Klaus Kistler, Gemeindeschreiber von Reichenburg, macht sich jedenfalls keine Sorgen: «Für mittlere Einkommen ist Reichenburg interessant. In Wollerau und Freienbach sind die Steuern zwar tiefer, aber dafür sind auch die Mieten höher.»
Finanziell tragen vor allem die natürlichen Personen mit einem Lohnausweis die Gemeinde. Als einziges grosses Unternehmen hat die Hakle Hygienepapier AG ihren Sitz in Reichenburg. Das dürfte auch so bleiben. Selbst wenn sich die Gemeinde «aufs Allergrösste» bemühe, sehr gute Steuerzahler anzuziehen, sagt Kistler, würden Freienbach und Wollerau immer die besseren Bedingungen bieten können.
Allerdings: Der Graben zwischen Gemeinden mit tiefen Steuern und jenen mit hohen Steuern wird immer breiter. Gemeindeschreiber Kistler: «Es darf doch nicht sein, dass reiche Gemeinden sich ihre Schulhäuser vergolden und ein Hallenbad hinstellen, während sich kleinere Gemeinden nicht einmal eine einfache Turnhalle leisten können.»
Der Kanton versucht nun, mit einem neuen Finanzausgleichsgesetz die Diskrepanzen etwas zu verringern. Eine Berggemeinde wie Innerthal mit ihren rund 190 Einwohnerinnen und Einwohnern wird aber immer mit einer anderen Kelle anrichten müssen als etwa Wollerau oder Freienbach.
Für Marcel Buchmann, Innerthaler Gemeindeschreiber, Gemeindekassier und Posthalter in einer Person, ist das freilich kein Grund, neidisch zu sein: «Wir profitieren auch von den reichen Gemeinden, seis vom positiven Wirtschaftsklima im Kanton, seis vom tieferen Kantonssteuerfuss oder über den Finanzausgleich.» Als Beispiel nennt er den EDV-Verbund verschiedener Ausserschwyzer Gemeinden, bei dem Freienbach federführend ist: «Da sind wir sehr gut gehalten und fühlen uns nicht als Bittsteller.»
Andere geraten in Zugzwang
Verglichen mit vielen Zürcher und St. Galler Gemeinden stehen aber selbst die teuren Schwyzer Gemeinden wie etwa Innerthal als steuergünstig da. Nun ist zwar nicht anzunehmen, dass sich vermögende Steuerzahler gleich reihenweise im schönen Wägital niederlassen würden. «Wo sollten die denn hier bauen?» fragt Buchmann. Dazu fehlt es nämlich schlicht an flachem, gut bebaubarem Land.
Das Steuergefälle zwischen den Kantonen hat bedeutende Auswirkungen. So kritisiert etwa die SP-Kantonsrätin Elvira Jäger die Schwyzer Steuerpolitik grundsätzlich. Schwyz setze mit seinen Steuersenkungen Jahr für Jahr einen Steuerwettbewerb in Gang, was «schädlich und unsolidarisch» sei und gefährliche Folgen habe. So gab der Kanton St. Gallen anders als Zürich bereits dem Zugzwang nach und verzichtet seit Juni 1997 auf eine Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen.
Schwyz, so der Vorwurf der Linken, profitiere im Endeffekt dank seinem Steuervorsprung auf Kosten anderer Kantone. CVP-Finanzdirektor Marty führt dazu einige Zahlen zur Entlastung an: So seien im Budget 1999 für Leistungen, die Schwyz direkt von andern Kantonen bezieht, Abgeltungen in Höhe von 57,5 Millionen Franken eingesetzt. Zusätzliche 61 Millionen Franken zahle Schwyz 1999 in den Finanzausgleich zugunsten anderer Kantone. «Beide Beträge», sagt Marty, «sind innerhalb von vier Jahren verdreifacht worden.»
Auch an ausserkantonale Spitäler zahlt Schwyz allein in diesem Jahr 25 Millionen Franken. Der gleiche Betrag fliesst in den Bildungsbereich (Universitäten, Fachhochschulen, Berufsbildung). Ans Zürcher Opernhaus aber zahlt Schwyz im Unterschied zu Zug noch immer keinen Rappen.
Für Marty haben die sehr guten Kantonsfinanzen aber auch noch einen andern, edleren Grund: «die schlanke Schwyzer Verwaltung». Tatsächlich liegen die administrativen Kosten auf Kantonsebene mit einem Aufwand von knapp 4590 Franken pro Kopf (1996) tiefer als in allen andern Kantonen und mehr als 3000 Franken unter dem gesamtschweizerischen Durchschnitt.
Sparsame Verwaltung
Auch bei den Verwaltungskosten von Kanton und Gemeinden pro Kopf liegt Schwyz mit Abstand vorn nicht nur, weil die Schwyzer Beamten tüchtig sind. Die Kosten seien auch so tief, weil vielerorts «auf Sparflamme» gekocht werde, sagt SP-Kantonsrätin Jäger. So zahle der Kanton bei der Verbilligung für die Krankenkassenprämien nur das Minimum, beim kulturellen Angebot sei der Kanton praktisch nicht engagiert, und im Umweltbereich herrsche «ein Vollzugsnotstand».
Mit der Wirtschaftskriminalität habe sich bis vor einem Jahr nur ein einziger Verhörrichter befasst, kritisiert Jäger, nun seien es immerhin zwei. An Arbeit mangelt es ihnen nicht: 170 Bundesordner füllen allein die Untersuchungen über jene Schwyzerinnen und Schwyzer, die als Mitglieder des European Kings Club an die wundersame Geldvermehrung glaubten.
Beim Schwyzer Volk haben öffentliche Ausgaben eben seit jeher nur dann die Zustimmung auf sicher, «wenn überzeugend nachgewiesen wird, dass sie einem echten Bedürfnis entsprechen und einen greifbaren Nutzen abwerfen», weiss Franz Marty.
Am Jubiläum vor 50 Jahren, als der Beitritt des Kantons Schwyz zum Bundesstaat 1848 gefeiert wurde, schrieb der offizielle Chronist: «Unsere Väter haben nie gern gesteuert, und ihre Söhne und Enkel werden es auch in Zukunft nicht tun.»