Missbrauchsopfer müssen weiter warten
Die katholische Kirche verzögert die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen weiter – und will die Opfer nicht dabeihaben.
Veröffentlicht am 2. November 2021 - 15:56 Uhr
Wer erahnen will, welcher Sturm der katholischen Kirche in der Schweiz droht, muss nicht weit nach Westen schauen. «Meine Herren, Sie sind eine Schande für die Menschlichkeit!», warf François Devaux Anfang Oktober den französischen Bischöfen an den Kopf. «Sie haben die göttliche Verpflichtung verletzt, das Leben und die Menschenwürde des Einzelnen zu schützen.»
Devaux, der als Jugendlicher von einem Priester missbraucht worden war, sprach bei der Präsentation des Berichts einer unabhängigen Untersuchungskommission zu den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche Frankreichs (CIASE). Deren Recherchen brachten Erschütterndes zutage: Rund 330'000 Personen sollen zwischen 1950 und 2020 in der katholischen Kirche Opfer von sexueller Gewalt geworden sein. Auf die Schweiz umgerechnet, wären hierzulande rund 20'000 Personen betroffen.
Viele Ankündigungen, kaum Informationen
Während in Frankreich die Fakten endlich auf dem Tisch liegen, geschieht in der Schweiz: nichts. Die «umfassende Aufklärung», welche die Bischofskonferenz im Dezember 2019 angekündigt hatte, lässt auf sich warten. Mittlerweile ist von einer «Pilotstudie» die Rede.
Im Interview mit dem Beobachter hatte der neue Churer Bischof Joseph Bonnemain im letzten April noch angekündigt, diese starte «im Sommer». Mittlerweile ist klar: Die Missbrauchsopfer müssen sich gedulden. Die Arbeiten kämen «planmässig voran», schreibt Encarnación Berger-Lobato, die Sprecherin der Bischofskonferenz. «Voraussichtlich im Frühling 2022» starte die eigentliche Arbeit an der Pilotstudie.
Über weitere Details wird eisern geschwiegen, sowohl bei der Bischofskonferenz als auch bei der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ), die die Pilotstudie mitfinanziert. So gibt es auch keine Reaktion zum von «Le Temps» kolportierten Gerücht, wonach die Studie an der Universität Zürich unter der Leitung der Historikerin Marietta Meier durchgeführt werde. Auch Meier selbst nimmt dazu keine Stellung.
Kein Mitspracherecht für Opfer
Bereits jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass die Opfer weder bei der Gestaltung der Studie oder der Auswahl der Quellen noch bei der Entscheidung, wer angehört wird (und wer nicht), werden mitreden können.
Jacques Nuoffer, Präsident der Opferorganisation Groupe Sapec und selber Mitglied des Fachgremiums «Sexuelle Übergriffe im kirchlichen Umfeld» der Bischofskonferenz, sagt: «Es ist die offizielle Position des Fachgremiums, dass die Betroffenen nicht beim Studiendesign mitreden können.» Dabei zeige gerade das Ergebnis der Untersuchung in Frankreich, wie wichtig es sei, die Opfer anzuhören.
Nuoffer hat eine Vermutung, warum die Opfer nicht mitreden sollen: «Die katholische Kirche in der Schweiz ist eine komplexe Institution, in der viele verschiedene Stellen mitreden und Einfluss nehmen. Offenbar wollte man die Sache nicht verkomplizieren, indem man Opfer miteinbezieht.» Bei der RKZ sagt dazu deren Generalsekretär Daniel Kosch: «Die Studie soll vollkommen unabhängig sein, also auch unabhängig von den Opfern.»
Enttäuschte Erwartungen
Ein Interview mit RKZ-Präsidentin Renata Asal-Steger vom letzten Juli deutet bereits an, dass die Opfer nicht allzu grosse Erwartungen an die Studie haben sollten. Der Anspruch der Studie sei «wesentlich bescheidener» als etwa derjenige des vergleichbaren Forschungsprojekts der deutschen Bischofskonferenz, erklärte sie der Plattform kath.ch. Zuerst soll der Stand der aktuellen Aufarbeitung erhoben werden. Dann würden sich die Forschenden «einen Überblick über die Quellenlage verschaffen, eine generelle Forschungsmethodik entwickeln und an Einzelfällen erproben».
Die Pilotstudie soll dem Vernehmen nach rund ein Jahr dauern. Nach dem aktuellen Zeitplan wäre sie im Frühling 2023 abgeschlossen, dreieinhalb Jahre nach der ersten Ankündigung. Erst danach soll entschieden werden, wie die eigentliche Untersuchung durchgeführt wird und wer sie bezahlt. Für manche Opfer von Missbräuchen in den 1950er- und 1960er-Jahren dürfte das zu spät sein.
3 Kommentare
Kirchen erachtete ich schon immer als ganz schlimme Organisation. Geldeintreibereien mit leeren Versprechen, massenhaft Kriege geführt, mit Lügen und Intrigen die Macht erhalten, Minderheiten verfolgt und verbrannt. Es ging und geht nur um die Macht.
Ich wundere mich schon lange, wieso wird die Kath. Kirche nicht als kriminelle Organisation verboten? Kindsmisshandlung, Sex mit Minderaehrigen, Vegewaltigung etc. sind doch schon lange verboten und strafbar!?
Für mich sind Kirchen und deren Organisationen reine Geldeintreibereien, schon immer. Mit Angstmacherei wurde das Volk unter Druck gesetzt. Wer nicht zahlte wurde gebrandmarkt. Im Namen Gottes wurde Krieg geführt. Schändlich.