Die Strafe zahlen sie mit einem Achselzucken
Das neue Strafrecht versagt ausgerechnet bei den Drogendealern - wie an der Zürcher Langstrasse.
Es sind immer die gleichen Gesichter, die direkt vor unseren Geschäften um Kunden werben. Polizei und Justiz sind offenbar machtlos», sagt André Bleiker, Besitzer eines kleinen Geschäfts im Zürcher Kreis 4 und Gewerbevertreter im Quartierverein. Die sogenannten Chügeli-Dealer verkaufen Kleinstmengen von Kokain. Die Mehrheit dieser Ameisenhändler stammt aus Schwarzafrika. Immer mehr von ihnen verfügen über eine Niederlassungsbewilligung, meist nach Heirat mit einer Schweizerin. Ihr Berufsrisiko: eine Geldstrafe, für Ersttäter sogar auf Bewährung. Freiheitsstrafen sind nur noch in Ausnahmefällen möglich, etwa für illegal eingereiste Täter.
Die Geldstrafen sind zudem bescheiden, denn sie müssen dem Einkommen und dem Vermögen der Täter angepasst werden. Die meisten von ihnen verfügen aber weder über das eine noch das andere, viele leben von Sozialhilfe. Die kleinen Beträge zahlen sie mit einem Achselzucken, das Geld ist im Handel schnell wieder verdient. «Ein Kleindealer, der mit einer unbedingten Freiheitsstrafe rechnen müsste, würde sich wohl eher Gedanken über einen Ausstieg machen, als wenn ihm bloss einige hundert oder tausend Franken Geldstrafe drohen», sagt der Zürcher Oberstaatsanwalt Ulrich Arbenz.
Im September eskalierte die Situation: Ein Ladenbesitzer massregelte einen Dealer vor seinem Geschäft, dieser traktierte den Gewerbler mit einer Eisenstange. Anwohner demonstrierten darauf gegen die immer arroganter auftretenden Drogenhändler. Und hinter den Kulissen gleisten Polizei und Staatsanwaltschaft eine neue Strategie auf: Dealer werden mit versteckten Kameras über längere Zeit überwacht. Die Händler sollen nicht mehr wegen Kleinstmengen zu wirkungslosen Geldstrafen verurteilt werden. Die während der gesamten Observation aufsummierten Taten sollen es vielmehr möglich machen, Strafen von mehr als sechs Monaten auszusprechen. Erst ab dieser Dauer lässt das neue Gesetz Freiheits- statt Geldstrafen zu.
Die Justiz hat auf die wirkungslosen Geldstrafen mit einer weiteren Massnahme reagiert: «Um uns vor den Tätern nicht lächerlich zu machen, verhängen wir
in der Regel keine Geldstrafen unter 30 Franken pro Tag. Das entspricht einer Empfehlung der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden», so Arbenz. Nach dieser Vorgabe wird auch in anderen Städten vorgegangen. Das Gesetz sieht allerdings keine Untergrenze vor: Ein völlig mittelloser Täter müsste theoretisch mit einem Franken pro Tag bestraft werden.
Ob die aus der Not geborene Strategie der Strafverfolger bestehen wird, ist fraglich: Das Bundesgericht hat sich für nach unten offene Geldstrafen ausgesprochen. An einer Gesetzesanpassung wird darum kaum ein Weg vorbeiführen. Mehrere SVP- und FDP-Politiker fordern gar die Abschaffung der Geldstrafen. Arbenz und andere Praktiker sind dagegen: Bei anderen Delikten hätten sich Geldstrafen bewährt, etwa bei Diebstahl oder Sachbeschädigung. «Das Problem ist, dass sich der Gesetzgeber Täter vorgestellt hat, die alle über Einkommen oder Vermögen verfügen. Das entspricht nicht der Realität», so Arbenz. Das Gesetz sollte darum auf andere Weise verbessert werden. «Man muss den Richtern die Wahl lassen, im Einzelfall zwischen Geld- oder Freiheitsstrafe zu entscheiden.» Dann könnten Freiheitsstrafen ausgesprochen werden, wenn sich ein Täter von Geldstrafen nicht beeindrucken lässt – und sich ein weiteres Delinquieren bereits abzeichnet.