Blut, Schweiss und Schläge
Sie suchen den Kampf um jeden Preis – auf dem Spielfeld und daneben. Ein Undercover-Bericht aus der Ultra-Welt des FC Basel.
Veröffentlicht am 12. April 2018 - 15:07 Uhr,
aktualisiert am 12. April 2018 - 14:22 Uhr
«Mir sinn woorschinli in dr Unterzaal», seufzt ein stämmiger Fan mit Bart, bevor er im Extrazug verschwindet. «Fuck», schnaubt ein anderer. Er ballt die Fäuste.
Es ist der 10. Februar, 22.30 Uhr. Ein bitterkalter Samstagabend, der Wind geht scharf. Der FC Basel hat den FC Thun mit 2 : 0 besiegt. Kein Match der Emotionen, kein grosses Spiel. Dennoch liegt etwas in der Winterluft, als die rund 700 Basler Fans im Extrazug auf die Heimfahrt warten. Man isst Sandwiches, trinkt Bier, kifft. Mit zehn Minuten Verspätung rollt der Zug an.
Kurz nach Bern beginnen Mitglieder der Ultra-Gruppierung 187, sich aufzuwärmen, boxen in die Luft, machen Dehnübungen. Schlag um Schlag. Rechter Haken, linker Haken. Hände werden bandagiert, Gesichter vermummt. 187 ist ein Zusammenschluss militanter Basel-Fans. Die Zahl steht im kalifornischen Gesetzbuch für Mord. Die Gruppe hat im Extrazug einen Waggon für sich. Auch ein paar Hooligans aus Deutschland sind angereist.
«Es sinn zvill ann d Fasnacht vo uns.»
Die Nachricht verbreitet sich im Zug wie ein Lauffeuer: «Notbremse und ‹Feld-Wald-Wiese› kurz nach Sissach BL.» Auf einem Feld will man sich mit eigens angereisten GC-Fans treffen, für eine «dritte Halbzeit» mit klaren Regeln. Kampf, Mann gegen Mann. Wer alle Gegner niederschlägt, hat gewonnen.
Männer mit Reebok-Schuhen und dunklen Kapuzenpullis trippeln durch die Gänge im Extrazug. Bankangestellte, Lehrer und Bauarbeiter. Auf dem WC wird gekokst, Anweisungen werden genuschelt. «D Zyyrcher sinn in dr Überzaal», sagt einer, «es sinn zvill ann d Fasnacht vo uns.»
«Come on!»
Der Trupp, manche vermummt, läuft zu den Türen. Einer schreit: «Come on!», die Hand an der Notbremse. Die meisten sind um die 30. Sie wirken heiss, suchen den Kampf. Sissach rauscht vorbei. Bandagen werden kontrolliert, Mundschütze über Zähne geschoben.
«E paar miend vo inne uf d Türe stoo», sagt ein Mittfünfziger, graues Haar, verlebtes Gesicht. So kämen die GC-Hools nicht in den Zug. Der Mann ist die Ruhe selbst, er kennt das Prozedere. Andere sind aufgeregter. Sie ballen die Fäuste. Die Fans in den anderen Waggons sind genervt. Sie wollen ins Bett, es ist kurz vor Mitternacht.
Dann die Meldung per SMS. Die Zürcher Hools wurden von der Polizei geschnappt. Die «dritte Halbzeit» findet nicht statt. Gebrüll und Schläge gegen die Zugwand. Die Männer kehren zu ihren Plätzen zurück. Bandagen werfen sie achtlos in die Ecke. «Die sind doch bescheuert», «Vollidiote», hallt es durch die Gänge. «Wie cha me so doof sii?», «Alles für nüd». Zehn Minuten später fährt der Extrazug in Basel ein.
Wochen später in Luzern. Wasser und Gummischrot treffen viele der 1000 angereisten FCB-Fans unvorbereitet. Die Luzerner Polizei beschiesst die Fangruppe von hinten. Zuvor haben sich rund 40 Vermummte aus der Hauptgruppe gelöst. Sie haben in einem Wohnviertel Anhänger des FC Luzern angegriffen. Die Polizei in Kampfmontur will verhindern, dass sich weitere Basler beteiligen. Mit Gummi und Wasser treibt sie die Fans vor sich her.
Mehrere Mädchen weinen. In der Hektik gehen sie unter, die Fans lassen sich treiben. Es herrscht ein Gefühl von Machtlosigkeit. Viele sind wütend, sehen den Einsatz der Polizei kritisch. «Dasch doch kei Deeskalation, das isch Eskalation», schreien mehrere. Ein Glatzkopf mit Stiernacken und Sonnenbrille brüllt: «Scheissbulle!», andere rufen: «Chönnet au zerscht e Warnig gäh».
Plötzlich rennen einige Vermummte auf die Polizisten zu, sie wollen Rache. Die Uniformierten antworten mit noch mehr Wasser und Gummi. Wenige Minuten später ist das Scharmützel vorbei. Der Marsch geht weiter. Vorne die 1000 nassen Fans, im Schlepptau die Polizei.
Mit «Basel! Basel!»-Gesängen marschieren die Nassen ins Stadion. Schwarze oder weisse Reebok-Schuhe. Die dunkelblaue Jacke mit den rot-blauen Streifen an den Armen, die Jacke der Muttenzerkurve. Eingenäht darin die Sturmmaske, die «Standard-Ausrüstung» der Ultras. Der Match ist ernüchternd. Die Luzerner jagen Basel drei Punkte ab. Der FCB spielt schlecht, die Fans sind frustriert. Mit gellenden Pfiffen werden die Spieler nach Matchende entlassen. Sie stehen auf dem Rasen und hören sich die Schreie der Fans an. «Krieget eure Arsch mol ufe!», «Kämpfet!», «Sind ihr Basler odr kei Basler?». An vorderster Front stehen die in Gruppen organisierten Fans. Der Capo gibt den Ton an. Er choreografiert die Gesänge. Was er schreit, ist Gesetz.
Der Rückmarsch verzögert sich um 45 Minuten. Die Polizei hat eine Blocksperre verhängt. Bewaffnete Polizisten stehen auf dem Rasen, die eingepferchten Basler im Blick. Als die Fans dann gegen 19 Uhr den Bundesplatz passieren, brechen erneut ein paar aus. Sie attackieren Schaulustige am Strassenrand – unter ihnen den Luzerner Polizeikommandanten Adi Achermann.
Am Ostermontag ist der Extrazug nach Bern gerammelt voll. «Wieso ’sch denn de Zug so kurz?», ruft ein junger Mann. Er trägt ein schwarzes T-Shirt mit kleinem FCB-Logo. Viele Fans müssen stehen, einige sitzen auf dem Boden. Wer in die Wagen eins bis drei möchte, wird von einem jungen Mann mit Muttenzerkurve-Jacke zurückgewiesen: «Do ’sch besetzt.» Im Wagen eins sitzen auch ein paar Kontrolleure der SBB, die ein Viererabteil für sich haben. Sie sind in Zivil. Es herrscht eine klare Hierarchie im Zug. Die Kurvenleute geben den Ton an.
«Wenn mr hütte gwünne, hanni no Hoffnig», sagt ein älterer Mann mit Bierbauch und inhaliert den Rauch seiner Zigarette, während der Zug aus dem Bahnhof Basel SBB rollt. Dann fehlen nur noch 13 Punkte. Für die Basler ist es das Spiel der letzten Chance. Wenn der FCB nicht gegen die Young Boys gewinnt, steht der neue Meister fest.
Die Luft im Zug ist geschwängert von Cannabis, Zigaretten, Bier- und Wodkadunst. Nur die SBB-Kontrolleure passen nicht recht ins Bild. Sie sollten die Tickets kontrollieren – der Zug nach Bern ist aber zu voll. Kurz nach Olten zücken die ersten Fans ihre Portemonnaies.
Zwei Kurvenmitglieder verkaufen Tickets für den Match. Einer hat ein Geldbündel mit Zehner- und Fünfzigernoten in der Hand, der andere die Tickets. Es geht schnell. Praktisch alle verlangen ein Studententicket. Das ist billiger. Kontrollen gibt es nicht beim Stadion.
«Wenn mr hütte gwünne, hanni no Hoffnig.»
«Verlore!», schreit ein junger Mann, «du muesch suufe!» Er streckt seinem Kollegen mit Bartflaum und Freundin auf dem Schoss den Wodka entgegen. Der seufzt und trinkt einen grossen Schluck. Er ist wohl das erste Mal auf Auswärtsfahrt und will richtig feiern. Der Boden klebt. Das Bier. Überall leere Dosen und Flaschen. Abfallsäcke hängen an den Sitzen. Die Fans rauchen, reden, machen Trinkspiele. Die Ultras bereiten sich auf den Match vor. Sie rollen Fahnen zusammen, verstecken Pyros. Bei längeren Fahrten wird mitgebrachtes Essen und Trinken verkauft. Doch Bern ist zu nah.
Um 14.45 fährt der Zug im Bahnhof Wankdorf ein. Hektik breitet sich aus. Der Basler Block formiert sich und läuft Richtung Stade de Suisse. Laute «Scheiss YB»-Rufe begleiten den Marsch. Dunkelblaue Kurvenjacke neben dunkelblauer Kurvenjacke. Einigkeit und Geschlossenheit. Die Ultras schreiten mit dem Capo vorne, die Hools an der Seite, der Rest im Schlepptau. Links und rechts Gitterzäune, dahinter bewaffnete Polizisten und Schaulustige. Der Junge mit Flaum und Freundin bekommt davon und vom spektakulären Remis nichts mit. Der Alkohol. Er hat schon bei der Ankunft in Bern das Zugabteil vollgekotzt. Er blieb am Bahnhof zurück.