Geil war nicht immer «geil»
Übermütig, aufrecht oder lüstern? Wie sich die Bedeutung eines Wortes über die Jahrhunderte gewandelt hat.
Auch wenn Röbis «geiler Schlitten» röhrt wie ein brünstiger Hirsch, ist höchstens Röbi paarungswillig. Und Benis «krass geiler Computer» hat mit Sex nichts am Hut, es sei denn, Beni sucht Entsprechendes im Internet. Dingen ist alles Triebliche fremd. Dennoch ist das Adjektiv «geil» seit Jahrzehnten beliebt bei Jugendlichen und Berufsjugendlichen, um ihrer Bewunderung für Sachen oder Situationen Ausdruck zu verleihen. Die «Geilheit» entsprang indogermanischen Wurzeln. Sie hat, und damit auch das Adjektiv «geil», einen massiven Bedeutungswandel erfahren. Im Althochdeutschen bedeutete es «übermütig» und «überheblich». Im Mittelhochdeutschen kamen «kraftvoll, üppig, lustig, froh» dazu. Das Wort war so harmlos, dass es in Zürich ein Haus «zum geilen Mönch» gab – im Sinne von fidel. Ab dem 15. Jahrhundert wurde geil aufgeladen, es wurde zum Synonym für «lüstern» und «sexuell begierig».
Zugleich bezeichnete das Wort aufwärtsgerichtete Baumtriebe, in der Analogie zum erigierten Penis. Davon abgeleitet, wurde es später im Gartenbau verwendet: Pflanzen richten sich stets nach dem Licht. Junge Pflänzchen, die zu wenig Licht erhaschen können, werden lang und dünn. Dann spricht man – bis heute – von Vergeilung.
Bis weit ins 20. Jahrhundert wurde «geil» so angewandt wie ursprünglich. Wenn jemand sagte: «Du machst mich geil», wusste die oder der Angesprochene: «Der oder die ist spitz wie Nachbars Lumpi und möchte mit mir etwas dagegen unternehmen.» Und ein geiler alter Sack war genau das: ein lüsterner alter Mann eben. Ab den siebziger Jahren hiess geil vermehrt nicht nur lüstern, sondern auch sexuell attraktiv. Mit «geiler Tusse» war nicht etwa eine Nymphomanin gemeint, sondern ein – so nannte man das damals – steiler Zahn.
1986 drehte das britische Pop-Duo Bruce & Bongo einen Videoclip zu ihrem Song «Geil», in dem sie sich über den inflationären (und eigentlich falschen) Gebrauch des Wortes lustig machten. Mit heute nur schwer nachvollziehbarem Erfolg: Sie landeten in Deutschland und Österreich auf Platz eins der Hitparade.
Was die Jungen damals den Hit fanden, war für andere anrüchig: Thomas Gottschalk, damals Radiomoderator, lud das Duo wegen des Songs aus seiner Sendung aus. Der Bayerische Rundfunk spielte die Single ebensowenig, wie verschiedene Fernsehsender den angeblich anstössigen Clip zeigen wollten – der selbst für die damalige Zeit so sexfrei war wie Schlümpfe-Comics. Trotzdem schaffte es der Song auf die Liste der jugendgefährdenden Medien. Aus heutiger Sicht ist «Geil» höchstens fürs gesunde Musikempfinden gefährlich und das Video fürs ästhetische. Eigentlich ein «hueregeiles» Stück Pop-Geschichte.
Übrigens: Wenn Sie finden, Ihr Onkel, Lehrer oder Chef sei eben doch «en geile Siech», hätten Sie ihn noch vor wenigen Jahrzehnten als «lüsternen, sexuell erregten Kranken» bezeichnet.
Autor: Andrea Haefely
Illustration: Thilo Rothacker
Bild: Rahel Nicole Eisenring