Hilfloses Warten auf die «Crack-Welle»
Die extrem süchtig machende Gettodroge Crack breitet sich auch in der Schweizer Rauschgiftszene aus. Doch noch immer existieren keine Hilfsangebote für die Kokainraucher.
Veröffentlicht am 4. April 2001 - 00:00 Uhr
Ob auf der Bäckeranlage in Zürich oder vor den diversen Basler Gassenzimmern: Das Rauchen von Kokain in Form von Freebase und Crack nimmt auch unter den Schweizer Drogensüchtigen zu.
«Während die Zahl der Fixer abnimmt, liegt das Kokainrauchen voll im Trend», bestätigt Daniel Meili, Chefarzt der Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen (Arud). Der Grund: Gerauchtes Kokain ist – zumindest am Anfang – billiger als gespritztes. Zudem ist das Infektionsrisiko niedriger. Meili: «Deshalb steigen vor allem altgediente Junkies vom Spritzen auf das Rauchen um.»
Kommt dazu, dass viele Neueinsteiger das Rauchen von Kokain oder Heroin als eine harmlose Konsumationsform betrachten. Ein verhängnisvoller Trugschluss: «Beim Kokainrauchen dreht die Suchtspirale sogar schneller als beim Fixen», warnt Daniel Meili.
Eine «Crack-Welle», wie sie das deutsche Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» über Europa hereinbrechen sieht, ist für den Zürcher Drogendelegierten Michael Herzig zurzeit allerdings nicht in Sicht.
«In gewissen deutschen Städten existiert tatsächlich ein Crack-Problem. Doch die Situation ist nicht so dramatisch wie in den Medien dargestellt.»
Drogenexperten interpretieren das Kokainrauchen vor allem als Änderung des Konsumverhaltens. Michael Herzig: «Die meisten Kokainraucher sind Langzeitkonsumenten. Über 90 Prozent nehmen gleichzeitig mehrere Drogen.»
Fixerstübli für Raucher öffnen
Auch Arud-Chefarzt Daniel Meili warnt vor einer «Skandalisierung des Problems». Andererseits sei es durchaus möglich, dass die neuen Konsumgewohnheiten den Weg in die Schweiz finden. «So gesehen schadet es bestimmt nicht, wenn Vorsichtsmassnahmen getroffen werden.»
Die Drogenhilfe beschränke sich zurzeit vor allem auf Überlebensangebote für intravenös Konsumierende, kritisiert Meili. «Kokainraucher haben gegenwärtig nicht einmal Zutritt zu den Gassenzimmern.» Nötig seien Raucherräume, wie sie in Holland bereits existieren. Meili: «Erfahrungen kann man schliesslich nur in der Praxis sammeln.»
Die Stadt Zürich prüft derzeit die Öffnung der Gassenzimmer für Kokain- und Heroinraucher. «Den Konsumenten fehlt eine konkrete Anlaufstelle», sagt der Drogendelegierte Michael Herzig. «Aber es gibt noch eine Reihe von fachlichen Abklärungen zu treffen – und bis dahin liegt unser Schwerpunkt in der Aufklärungsarbeit auf der Gasse.»