Der Nazi mit dem roten Koffer
Der Gründer des Werkzeugherstellers Hilti war ein bekennender Nationalsozialist. Doch im Ländle schweigt man auch 70 Jahre danach.
Veröffentlicht am 2. Oktober 2017 - 10:42 Uhr,
aktualisiert am 2. Oktober 2017 - 09:57 Uhr
Das kam im Ländle gar nicht gut an, als der «Blick» Anfang August zu seinem Liechtenstein-Bashing ansetzte. 15 Vorwürfe, von «Liechtensteiner sind die grössten Rosinenpicker Europas» bis zu «Liechtenstein ist ein Steuerparadies für Reiche». Die Aussenministerin des kleinen Nachbarn wies die Vorwürfe am Tag danach offiziell zurück.
Kein Thema bei diesem Schlagabtausch waren die Nazi-Sympathien bekannter Liechtensteiner zwischen 1933 und 1945. Dabei würde es sich lohnen, auch hier genau hinzusehen. Zum Beispiel bei Martin Hilti (1915 bis 1997). 1941 hat er mit seinem älteren Bruder Eugen die Technologiefirma Hilti gegründet. Die mit dem roten «Hilti-Koffer». Der Werkzeugkasten hat Industriegeschichte geschrieben.
Politisch stand Martin Hilti in jungen Jahren allerdings mehr auf Braun als auf Rot. Er war Mitglied der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein (VDBL). Sie verfolgte vor allem ein Ziel: den Anschluss des Fürstentums an Hitlers Reich. Dafür betätigte sich Hilti unter anderem als «Schriftführer» – so hiessen im Dritten Reich die Chefredaktoren – der Zeitschrift «Der Umbruch». Der Titel war Programm. Hilti strebte mit dem Blatt neue Verhältnisse in seiner Heimat an. Jüdinnen und Juden sollten darin keinen Platz haben.
Punkto Judenhass stand die liechtensteinische Kopie dem reichsdeutschen Original «Der Stürmer» kaum nach. Jüdische Emigranten, die den braunen Häschern oft unter Lebensgefahr ins neutrale Fürstentum entkommen waren, wurden im «Umbruch» namentlich beschimpft, an den Pranger gestellt und denunziert.
«Jud Wollenberger ist ein Parasit und ein Zwietrachtstifter in der Gemeinde.»
Martin Hilti, Chefredaktor «Der Umbruch»
Zum Beispiel Paul Wollenberger, der 1939 mit seiner Frau und seinen Kindern aus Nazideutschland nach Schaan fliehen konnte. Sein Sohn Werner Wollenberger sollte Jahre später ein bekannter Schweizer Autor und Theatermann werden. Im Juni 1942 aber stand im «Umbruch»: «Jud Wollenberger ist ein Parasit und ein Zwietrachtstifter in der Gemeinde. Die Schaaner fordern eindeutig die Ausweisung des Juden Wollenberger.» Wollenberger prozessierte später gegen Hilti. Dieser wurde zu einer geringen Geldstrafe verurteilt.
Martin Hilti warf den Juden im «Umbruch» auch vor, sie seien Spione für England. Die unbelegten Anschuldigungen erfolgten wohl unter dem Motto «Angriff ist die beste Verteidigung». Denn man darf heute davon ausgehen, dass Hilti selbst für Nazideutschland spionierte. Zulasten der Schweiz, die ihn dafür nach dem Krieg 1945 jahrelang nicht einreisen liess.
In Liechtenstein, mit 37'000 Einwohnern sechstkleinster Staat der Welt, kennt sich auch heute noch jede und jeder. Die Nazi-Vergangenheit des Wirtschaftsführers Martin Hilti ist hier ein offenes Geheimnis – aber man spricht nicht darüber.
Man schweigt selbst nach Provokationen. Der Liechtensteiner Autor Stefan Sprenger thematisierte im Stück «Rubel, Riet & Rock ’n’ Roll» den Wirtschaftsaufschwung des Ländle nach dem Zweiten Weltkrieg. 2015 wurde es am Theater am Kirchplatz in Schaan gespielt, mit Erfolg. Sprenger spricht darin offen an, dass die Rolle Hiltis im Zweiten Weltkrieg, von der er sich nur halbherzig distanzierte, im Fürstentum nie öffentlich diskutiert wurde.
Das im Ländle praktizierte «Erzählarrangement» funktioniere nach dem Schema «Hilti gibt uns Arbeit, dafür behalten wir seine braune Vergangenheit unter uns, dort aber deutlich.» Das aktuelle Buch «Geschäftsmodell Judenhass» des in der Schweiz lebenden österreichischen Historikers Franco Ruault habe dieses «Erzählarrangement» nun durcheinandergebracht, so Sprenger.
Das ist vielleicht der Grund, warum sich im Fürstentum kaum jemand für die heikle Geschichtslektion interessiert. Die grösste Zeitung des Landes, das «Vaterland», begnügte sich mit einem knappen Hinweis auf das Buch «Geschäftsmodell Judenhass». Für das «Volksblatt», die zweite Tageszeitung Liechtensteins, war es überhaupt kein Thema.
Eine Nachfrage bei liechtensteinischen Landtagsabgeordneten zeigt: Das Buch wird in politischen Kreisen weitgehend ignoriert. Niemand unter den Angefragten hat es gelesen oder plant, das zu tun. Immerhin will der Historische Verein Liechtenstein in der kommenden Jahreschronik eine Besprechung von Franco Ruaults Buch veröffentlichen. Eine öffentliche Debatte darüber wird im Fürstentum gleichwohl kaum entstehen.
Auch die Firma Hilti, inzwischen mit fast 25'000 Angestellten in über 120 Ländern präsent, will sich der Vergangenheit ihres Gründers offensichtlich nicht stellen. Eine Stellungnahme zum Buch von Franco Ruault war nicht zu bekommen, unter anderem mit Hinweis auf länger dauernde Ferien der Kommunikationsleiterin.
«Hilti war überzeugter und aktiver Nationalsozialist, aber nicht der Leiter der Bewegung.»
Peter Geiger, Historiker
2016 hat der Hilti-Konzern sein 75-jähriges Bestehen gefeiert. Die Berichterstattung in den liechtensteinischen und in den internationalen Medien war überaus freundlich. Bereitwillig zitiert wurde der Hilti-Slogan «Bereit für die Zukunft». Die Vergangenheit liess man lieber in Ruhe.
Für Peter Geiger vom Liechtenstein-Institut macht das Verschweigen einen gewissen Sinn. Der Historiker hat die Geschichte Liechtensteins im 20. Jahrhundert in zwei Bändern aufgearbeitet und war Präsident der Unabhängigen Historikerkommission Liechtenstein Zweiter Weltkrieg. «Martin Hilti war überzeugter und aktiver Nationalsozialist», sagt er. Doch er habe in der Volksdeutschen Bewegung in Liechtenstein nicht die Rolle gespielt, die Ruault ihm zuschreibe: «Der Leiter der Bewegung war Alfons Goop, nicht Hilti.»
Auch dass das Unternehmen in der Firmengeschichte nicht auf die braune Vergangenheit des Gründers eingeht, kann Geiger nachvollziehen: «Hilti hat nie Zwangsarbeiter beschäftigt oder war sonstwie in die Todesmaschinerie Hitlers eingebunden.»
Der Hinweis ist wohl richtig. Nur: Dass sich kaum jemand im Fürstentum für die eigene Geschichte zwischen 1933 und 1945 interessiert, erwies sich nicht erst bei Martin Hilti.
Es zeigte sich auch 2010, als Armin Öhri seine Erzählung «Die Entführung» veröffentlichte. Darin behandelt er das tragische Schicksal zweier jüdischer Brüder, die 1933 nach erfolgreicher Flucht aus Berlin ins Fürstentum von liechtensteinischen Nazis entführt werden sollten. Die Aktion endete für die beiden tödlich.
Das «Vaterland» mochte das Buch damals nicht besprechen. Das Thema war der Zeitung, die der bürgerlichen Partei Vaterländische Union nahesteht, auch 70 Jahre danach zu heiss.
- Buchtipp
Franco Ruault: «Geschäftsmodell Judenhass. Martin Hilti – ‹Volksdeutscher› Unternehmer im Fürstentum Liechtenstein 1939–1945»; Verlag Peter Lang, 212 Seiten, CHF 69.90