«Der CEO der UBS ist sozusagen der achte Bundesrat»
Der Bundesrat schlägt neue Massnahmen zur Regulierung von Grossbanken vor. Finanzprofessor Marc Chesney ist skeptisch.
Veröffentlicht am 17. April 2024 - 17:49 Uhr
Es gibt Romane, die kürzer sind als der Bericht, den der Bundesrat letzten Mittwoch vorgestellt hat. Auf 339 Seiten zieht er die Lehren aus dem Untergang der Credit Suisse – und schlägt dem Parlament 22 Massnahmen vor, um künftige Bankenkrisen zu verhindern. Marc Chesney ist Professor für Finanzmathematik an der Universität Zürich und kritischer Betrachter des Finanzplatzes. Im Interview mit dem Beobachter zeigt er sich von den Vorschlägen nicht überzeugt.
Herr Chesney, 339 Seiten, 22 Massnahmen. Der Bundesrat war gründlich. Beruhigt Sie das?
Leider nein, im Gegenteil: Ich bin beunruhigt. Der Bericht geht zu wenig in die Tiefe. Weniger Seiten und mehr Inhalt wären besser gewesen.
Was fehlt?
Wo soll ich anfangen? Die Probleme beginnen eigentlich schon vor den Massnahmen, bei der Analyse des CS-Debakels. Der Bundesrat behauptete in seiner Medienmitteilung, «viele der national und international bereits eingeführten Massnahmen zur Erhöhung der Finanzstabilität» hätten sich grundsätzlich bewährt. Die Analyse zeige aber auch Lücken im bestehenden Instrumentarium, die man nun schliessen wolle. «Lücken»! Das ist eine starke Untertreibung.
Weshalb?
Die zuständigen Behörden haben oder wollten den Tsunami, der bei der CS unterwegs war, offenbar nicht kommen sehen. Das «Too big to fail»-Gesetz hat schlicht nicht funktioniert. Dabei war es genau für diesen Fall da. Ziel war es, ein Risiko für die Steuerzahler zu minimieren und die Bank sauber abzuwickeln. Stattdessen wurde die CS billig an die UBS verkauft – und für das Risiko gehaftet hat der Steuerzahler.
Die geordnete Abwicklung ist der letzte Schritt im Krisenfall. Die Finanzmarktaufsicht (Finma) versteht darunter, dass eine systemrelevante Bank in einer Krise saniert wird oder in Konkurs geht, ohne dabei die Finanzstabilität zu gefährden. Die wichtigen gesellschaftlichen Funktionen der Bank sollen erhalten bleiben. Dazu werden die verschiedenen Geschäftsteile der Bank aufgeteilt und an andere Banken oder eine staatliche Zwischenlösung verkauft. Der Plan zur Abwicklung der Credit Suisse wurde von der Finma bis 2022 noch als «umsetzbar» beurteilt, hat im Ernstfall aber nicht funktioniert.
Eine «saubere Abwicklung» einer Bank. Der Bundesrat sieht das im Bericht ja weiterhin als wichtige Lösung im Notfall.
Ich denke, das ist bei einer internationalen Grossbank eine sehr heikle und schwierige Aufgabe. Sehen Sie: Die Komplexität und Intransparenz dieser Institutionen hat ungeheuerliche Ausmasse erreicht. Die schlecht lesbare Zusammensetzung von Bilanz und Anhängen, der schnelle Kauf und Verkauf von Aktienpaketen, riesige Mengen komplexer Finanzprodukte, elektronische Transaktionen in grossem Massstab, ein Wirrwarr von Schulden – das sind Merkmale einer unbeherrschbaren Casino-Finanzwirtschaft. Eine ordentliche Abwicklung ist da schwer zu schaffen.
Eine Alternative wäre die Verstaatlichung gewesen. Der Bundesrat will dafür aber keine Gesetzesgrundlage schaffen.
Grundsätzlich finde ich, Verstaatlichen sollte im Notfall eine Option sein. Der Steuerzahler trägt ja bei systemrelevanten Banken sowieso die Risiken, da diese eine Staatsgarantie haben. Bei einer Verstaatlichung kann er immerhin auch von den möglichen Gewinnen profitieren. Statt einer Verstaatlichung der CS haben wir jetzt eigentlich eine gewisse Kontrolle des Staates durch die UBS.
Wie meinen Sie das?
Die UBS ist mit ihrer Grösse und Komplexität zu mächtig geworden, das ist gefährlich für die Demokratie. Der potenzielle Schaden aus einer Krise dieser Bank wäre dermassen schlimm – Armut, Inflation, Abwertung. Das führt dazu, dass die Bank den Staat beeinflussen oder sogar kontrollieren kann, nicht umgekehrt – ihr CEO ist sozusagen der achte Bundesrat.
Was braucht es denn Ihrer Meinung nach für Massnahmen?
Wichtig wäre zuerst, die Grösse und Komplexität der Bank zu reduzieren. Dann braucht es regelmässige Informationen und Daten – denn die Bilanz einer solchen Bank kann sich ständig ändern. Die Aufsicht muss in der Lage sein, die Bilanz und ihre Anhänge viel öfter zu analysieren und zu kontrollieren. Aber das Kernproblem bleibt die «Too big to fail»-Logik an sich: Das Management von «Too big to fail»-Banken hat Anreize, immer mehr Risiken einzugehen, weil der Steuerzahler für die Risiken haftet.
Der Bundesrat schlägt deshalb vor, dass Boni vom Management zurückgefordert werden können.
Das halte ich für schwierig. Diese Manager haben exzellente Anwälte und können ihr Geld verschieben. Das zurückzufordern, wird extrem mühsam und wahrscheinlich erfolglos. Boni – wenn überhaupt – sollten jahrelang zurückgehalten und nur ausgezahlt werden, wenn die Lage unter Kontrolle geblieben ist. Es braucht Zeit, bis man sieht, ob das Management verantwortungsvoll gehandelt hat.
Ein entscheidender Punkt bei Bankregulierung ist das Eigenkapital. Der Bundesrat will da höhere Anforderungen, aber die Details mit jeder Bank individuell regeln.
Davon bin ich nicht überzeugt. Geheime Individuallösungen sind schwer kontrollierbar. Es braucht ganz klare Regeln, die insbesondere für alle Grossbanken gleich gelten. Wenn ich als Bürger zum Beispiel einen Kredit brauche, um eine Wohnung zu kaufen, muss ich mindestens 25 Prozent Eigenkapital investieren. Diese Grössenordnung fände ich auch für das Eigenkapital einer Grossbank angebracht. Heute ist das viel weniger.
Das Eigenkapital ist vereinfacht gesagt das Geld, das eine Bank von den Investorinnen und Besitzern hat – oder aus Gewinnen. Mit diesem Geld kann die Bank Verluste auffangen und Kunden auszahlen. Nach den internationalen Abkommen zur Bankenregulierung gibt es verschiedene Vorgaben, wie viel Eigenkapital Banken mindestens haben müssen im Vergleich zu ihren Investments.
Der Bundesrat möchte die Finanzmarktaufsicht (Finma) stärken. Reicht das?
Die Finma hat schon heute die Kompetenz, einer Bank die Lizenz zu entziehen oder den Leiter des Verwaltungsrats auszutauschen. Das hat sie im Fall der CS aber nicht gemacht, obwohl die Zeichen lange auf Rot standen. Was fehlt, ist ein politischer Wille, heikle Themen oder Geschäfte zu untersuchen. Bezüglich der mächtigen UBS wird diese Hemmung noch grösser sein.
Sie machen nicht gerade Mut. Gibt es denn etwas, was ich als Bankkunde tun kann, um mich zu schützen? Mehrere Konten bei verschiedenen Banken eröffnen?
Das ist sicher nicht verkehrt. Und es ist wichtig, sich zu informieren. Vergleichen Sie Ihre Bank mit anderen und ziehen Sie die Konsequenzen. Fragen Sie sich: Bin ich zufrieden mit den Boni und Löhnen des Managements, mit der Risikostruktur? Gab es Skandale bei der Bank? Wie überzeugend kommuniziert die Leitung? Aber am Ende müssen Sie vor allem auch als Bürger denken.
Als Bürger denken?
Ja, in einer Demokratie sind wir nicht nur Kunden, sondern auch Bürger. Wenn Bürger unzufrieden sind, müssen sie sich äussern und politisch aktiv werden.
5 Kommentare
Der Kleinstaat Schweiz und die Macht des GELDES = Eigeninteressenverfolgung aus HABGIER!!
Zu viele habgierige, unkontrollierte Zuständige/Verantwortliche und Co.....
Lukrative VR-Mandate - Lobbyismus - Vetternwirtschaft!!
KONTROLLEN......durch wen wie ausgeführt???
Bankenregulierung nach wie vor ungenügend
Die heutige Lage verführt systemrelevante Banken dazu, grosse Risiken einzugehen, weil sie im Verlustfall darauf zählen können, dass sie von den Steuerzahlenden gerettet werden. Falls die UBS wie im Jahr 2008 wieder zahlungsunfähig würde, kann dies in der Schweiz zu hoher Inflation, hoher Arbeitslosigkeit und Armut führen. Die letzte internationale Grossbank der Schweiz setzt die Bevölkerung einem viel zu hohen Klumpenrisiko aus. Doch das Management der UBS liess verlauten, die Bank sei nicht zu gross, sondern vielmehr zu klein. Man weiss also, was uns erwartet.
Die Finma kann über die Probleme der Banken gar nicht offen informieren. Sonst würden sich die Probleme noch verschlimmern. Aus diesem Grund sind öffentliche Äusserungen der Finma immer von beschränkter Aussagekraft. So erfährt man etwa nicht, um welche Stresstests und Prüfungen es sich bei der UBS genau handelt. Und über die Resultate wird die Finma nicht vollständig informieren. (Auszug aus Prof. Marc Chesney in Infosperber vom 16.4.2024)
Managerlöhne: Lohndeckel sind gerechtfertigt!
Kein Top-Manager kann die hohen Verluste einer Fehlstrategie verantwortlich tragen, muss er auch nicht, weil die Ungewissheiten bei der Strategiewahl zu gross sind. Bei der richtigen Strategiewahl darf er aber auch nicht für etwas belohnt werden, bei dem die Umstände, sein Mitarbeiterstab und das Glück eine grosse Rolle gespielt haben. Zudem verliert ein Topshot bei Misserfolg lediglich seine Stelle und kann als gut Qualifizierter bald wieder eine neue antreten. Die Konsequenzen aus seiner Verantwortlichkeit sind beschränkt, rechtfertigen also auch keine überrissene Entschädigung im Erfolgsfall.
Der UBS-CEO wäre dann eher der 9. Bundesrat, denn als achten bezeichnet man den Bundeskanzler. Wie auch immer, der CEO einer so grossen Bank, die ein Land in den finanziellen Abgrund reissen kann, ist natürlich wichtig. Mindestens so wie ein Bundesrat. Hoffentlich ist er sich dessen bewusst.