«Windmessungen auf dem Chroobach gestartet», meldeten Schaffhauser Medien Ende 2012. Die Projektgruppe Energieleuchttürme Schaffhausen hatte das an Deutschland grenzende Waldgebiet bei Hemishofen für einen Windpark ins Auge gefasst. Doch schon bald hingen Plakate neben der Hauptstrasse mit der Forderung: «Hände weg vom Chroobach!» Die Interessengruppe Gegenwind Chroobach will die Windräder verhindern.

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Mit 58,2 Prozent stimmten die Schweizerinnen und Schweizer im Mai 2017 für die Energiewende und den Atomausstieg bis 2050. Doch nun stossen die Erneuerbaren auf massiven Widerstand. «Systeme für erneuerbare Energie brauchen mehr Platz als herkömmliche Kraftwerke. Man sieht sie», sagt Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und Klimaanpassung an der ETH. Ein AKW löse zwar noch immer mehr Ängste aus. «Aber es gibt in der Schweiz nur wenige davon. Für jedes AKW, das man ausschaltet, müssten je nach Energieform hundert, wenn nicht Hunderte neue, alternative Kraftwerke oder Energiesysteme gebaut werden. Und die müssen halt irgendwo stehen.»

Die Ängste vor den Alternativen

Anders als Erdöl und Gas, die weitgehend unsichtbar verarbeitet werden, sind Solarpaneele und Windräder weithin sichtbar. Ausserdem produziert auch die Alternativenergie Ängste. Bei Stauseen denkt man an geflutete Dörfer, bei Geothermie und Fracking an Erdbeben.

«Keine Bohrerlaubnis in Etzwilen TG», hiess es im Januar 2015, knapp zwei Jahre nach der ersten Informationsveranstaltung. Die Anwohner hatten Unterschriften gesammelt und sich als Gruppe besorgter Etzwiler politisch engagiert. Mit Erfolg. Das Projekt, der Bau einer Geothermie-Anlage, wurde auf Eis gelegt.

Infografik Energiewende

Infografiken: Beobachter/AS

Quelle: ETH/A. Patt, Geo-Energie Suisse AG/P. Meier

«Die Euphorie um die erneuerbaren Energien ist etwas vorbei», sagt Peter Meier, Geschäftsführer der Geo-Energie Suisse AG, die das Geothermie-Kraftwerk in Etzwilen geplant hat. «Aber angehen muss man die Energiewende trotzdem.» Jetzt konzentriert sich die Firma auf eine Anlage im Jura. Meier vermutet, dass die Geothermie auf weniger Widerstand stossen werde, sobald ein erstes Projekt erfolgreich und problemlos umgesetzt ist. «Wichtig ist nicht so sehr, wann das gelingt, sondern dass es gelingt.» 

Dieselbe Erfahrung macht Patrick Schenk, der das Windenergieprojekt in Hemishofen leitet. Grundsätzlich würden zwar viele Leute die Energiewende befürworten und sich eine Schweiz ohne AKWs wünschen. «Wenn dann aber Projekte für erneuerbare Energie in der Nähe entstehen sollen, werden öffentlich vor allem einzelne, extrem kritische Stimmen wahrgenommen.» Nimby heisst dieser Effekt. Der Begriff bedeutet: not in my backyard, nicht in meinem Hinterhof.

Katzen sind gefährlicher als Windräder

Ein Argument, das beispielsweise Gegner von Windrädern immer wieder ins Feld führen, sind die Geräusche, der Schattenwurf und die potenzielle Gefahr für Vögel. «Natürlich sind das alles Themen, die man ernst nehmen muss», sagt Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie. «Abgesehen von der bereits gut etablierten und breit akzeptierten Wasserkraft fehlt es im Moment noch an Vorzeigeprojekten in der Schweiz. Die würden helfen, Ängste abzubauen.» 

Der Bund setze die Bevölkerung sowie Fauna und Flora nicht blindlings Gefahren aus. «Wir geben regelmässig Studien zu den verschiedenen Aspekten in Auftrag.» So wisse man, dass ein Windrad pro Jahr im Schnitt 20 Vögel das Leben koste. Das ist zwar nicht erfreulich – aber eine einzige Katze tötet jedes Jahr mehr Vögel. Einzig die Fotovoltaik ist laut Zünd in der Schweiz mittlerweile recht gut akzeptiert: «Das war zu Anfangszeiten nicht so.» 

Dass es etwas schon lange gibt, hat allerdings nicht zwingend zur Folge, dass man es akzeptiert. So wehrt sich der Grimselverein, eine 1600 Leute starke Truppe, gegen ein weiteres Wasserkraftwerk im Berner Oberland, den Trift-Stausee. Möglich würde die Anlage durch die Klimaerwärmung – wo einst ein Gletscher war, liegt seit knapp 20 Jahren ein See.

Die Folgen der Energiestrategie

Der Wasserspiegel ist heute auf 1650 Metern über Meer. Würde man eine Mauer bauen, die einen maximalen Wasserstand von 1767 Metern erlaubt, könnte man jedes Jahr Strom für weitere 30'000 Haushalte produzieren. Die Kraftwerke Oberhasli haben Ende 2017 ihr Konzessionsgesuch eingereicht. Sowohl Pro Natura als auch der WWF «können damit leben». 

«Natürlich tun solche Eingriffe in die Natur weh», sagte der WWF-Biologe Jörg Rüetschi im Schweizer Fernsehen. «Aber wir haben Ja gesagt zur Energiestrategie, und jetzt können wir nicht bei jedem einzelnen Projekt Nein sagen.»

Hans Anderegg, Präsident des Grimselvereins, sagte im selben TV-Beitrag, das Projekt sei unnötig: «Was fehlt, wenn man die AKWs abstellt, kann man niemals mit Speicherseen ersetzen.» Er macht sich allerdings keine allzu grossen Hoffnungen, das Projekt wirklich verhindern zu können. 

Immer mehr Erneuerbare

Der Anteil erneuerbarer Energie am Gesamtverbrauch.

Der Anteil erneuerbarer Energie am Gesamtverbrauch ist seit 1990 auf mehr als einen Fünftel gestiegen.

Quelle: BFE Schweizerische Statistik der erneuerbaren Energien
Aus diesen Quellen stammte die 2016 verbrauchte erneuerbare Energie.

Aus diesen Quellen stammte die 2016 verbrauchte erneuerbare Energie.

Quelle: BFE Schweizerische Statistik der erneuerbaren Energien

Infografiken: Beobachter/Anne Seeger

Doch die Verzögerungen durch die Einsprachen sind allein schon gravierend. Peter Meier von der Geo-Energie Suisse AG befürchtet, dass Investoren zögern, in erneuerbare Energie zu investieren, wenn man nie wisse, ob ein Projekt nach jahrelanger Forschung und Planung wegen lokalen Widerstands steckenbleibt. «Und in fünf Jahren fragen dann alle: Wo bleibt jetzt die erneuerbare Energie?» Über die Trift-Staumauer wird seit vier Jahren geredet. Bis zu einem möglichen Baubeginn werden mindestens vier weitere Jahre vergehen.

Zentrale Anlaufstelle geplant

Um die Projekte ein bisschen zu beschleunigen, plant der Bund nun für die Windenergie eine zentrale Anlaufstelle, Guichet unique genannt. «Damit könnten zumindest die Verfahren auf Bundesebene koordiniert und beschleunigt werden», hofft Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie. 

Doch der lokale Widerstand gegen jede neue Kraftwerkanlage ist und bleibt ein Thema. Der ETH-Professor Anthony Patt vermutet aus diesem Grund: «Wir werden nicht darum herumkommen, erneuerbare Energie im grossen Stil zu importieren. Denn es gibt einfach zu vieles, was wir hier nicht wollen. Oder besser gesagt: was irgendjemand hier nicht will.»

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